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Patricia Highsmith – Eremitin, Freundin, Hexe

Patricia Highsmith mit Katze. Schweizerische Nationalbibliothek

Ihre Helden sind Aussenseiter, Homosexuelle, Künstler, Fremde und Psychopathen. Ihre Bücher packend und fantastisch. Sie selber liebte die Ruhe.

Eine Ausstellung in der Schweizerischen Landesbibliothek in Bern zeichnet ein differenziertes Bild über Patricia Highsmith’s Leben und Werk.

22 Romane, teils von Grössen wie Alfred Hitchcock oder Wim Wenders verfilmt, und unzählige Erzählungen hat sie geschrieben. Sie war eine fleissige Schriftstellerin, die präzise recherchierte. Werk und Leben waren eng verflochten.

Die multimediale Ausstellung, entstanden aus dem umfangreichen Nachlass der 1995 verstorbenen Texanerin, ist in acht Stationen unterteilt, wie etwa “Die Familie als Heimat und Hölle”, “Moral normal”, “Die Gesellschaft als Gefängnis”. Man kann der Autorin beim Arbeiten zusehen und sie sogar Französisch und Deutsch reden hören – beides gar nicht so schlecht.

Umfangreicher Nachlass

Bekannt wird auch einiges aus dem Privatleben der weltberühmten Schriftstellerin. “Bisher wusste man nicht, wie intensiv oder exzessiv ihr Liebesleben bereits in jungen Jahren war. Sie hat ihre Homosexualität ausgelebt und nicht unterdrückt, wie das bei ihrem Romanhelden Tom Ripley der Fall war”, sagt Ulrich Weber, gemeinsam mit Stéphanie Cudré-Mauroux Kurator und Betreuer des Nachlasses im Schweizerischen Literaturarchiv, im Gespräch mit swissinfo.

Weber konnte nicht nur Tagebücher, Briefe, literarische Notizbücher, Zeichen- und Skizzenhefte, Manuskripte und Fotoalben durchforsten und in die Ausstellung integrieren, auch Gegenstände wie Highsmith’s Schreibmaschine oder selbst gezimmerte Möbel konnte er verwenden.

Highsmith wird immer wieder eine Nähe und starke Sympathie zu ihren psychopathischen und neurotischen Protagonisten nachgesagt. Laut Weber neigte Highsmith zwar nicht wie ihre Figuren zu Gewalttätigkeiten, lebte aber stark in Fantasien. Sie konnte so sehr in die Haut der an mörderischen Konflikten beteiligten Personen hineinschlüpfen, dass sich die Grenzen zwischen ihrem und dem Leben ihrer Figuren verwischten.

Als Quelle für ihre Geschichten dienten ihr auch Tageszeitungen, insbesondere die “faits divers”: “Ich erfinde nichts, ich lese nur die Zeitungen, von der ersten bis zur letzten Zeile. Darin können Sie eine Menge täglicher Grausamkeiten finden”, schrieb sie einmal.

Das Genre unterwandern

Highsmith war keine typische Kriminalautorin. Wenn Detektive überhaupt vorkamen in ihren Büchern, dann scheiterten sie oft. Gerechtigkeit bezeichnete sie als eine “allgemeine Passion”, die sie langweilte. Auch die Bestrafung der Täter interessierte sie nicht.

“Sie war atypisch, aber nicht isoliert in diesem Genre. Ähnliche Infragestellungen des Kriminalromans kann man etwa auch bei Friedrich Dürrenmatt feststellen”, so Weber.

Eine unruhige Seele

Patricia Highsmith war in ihrem Leben unzählige Male umgezogen, hatte an verschiedenen Orten in den USA und die zweite Hälfte ihres Lebens vor allem in England, Frankreich und der Schweiz verbracht.

Ging wieder einmal eine ihrer heftigen Liebesbeziehungen in die Brüche, zog sie von dannen und suchte etwas Neues. Sie hatte auch immer wieder Konflikte mit den Behörden. Sie reiste aber auch aus Interesse an der Welt, an Europa.

Highsmith galt als menschenscheu, schrullig, Lärm ertrug sie schlecht. Sie konnte aber auch eine herzliche Freundin sein und pflegte enge Brieffreundschaften.

Am Liebsten lebte sie jedoch alleine mit ihren Katzen. Auf Skizzen – Highsmith war auch eine begnadete Zeichnerin – und in den ausgestellten Fotoalben sind Katzen fast häufiger zu finden als Menschen.

Würde sie auf der Strasse unbeobachtet einem hungernden Kind und einer hungernden Katze begegnet, würde sie die Katze füttern, besagt eine Anekdote. Hinter dieser Aussage steckt wohl ihr schwarzer Humor, aber vielleicht auch ein Stückchen Wahrheit.

“Sie fühlte sich mit Katzen unheimlich wohl. Sie gaben ihr eine Nähe, die sie mit Menschen auf die Dauer nicht ertrug. Die Katzen brauchte sie für ihr psychisches Gleichgewicht”, sagt Kurator Ulrich Weber.

Faszination bleibt

Die letzten knapp 14 Jahre verbrachte Patricia Highsmith im Tessin, wo sie 1995 im Alter von 74 Jahren gestorben ist. Ihre Beziehung zur Schweiz war nicht besonders eng, aber hier konnte sie in Ruhe arbeiten. Auch die Nähe zum Diogenes Verlag in Zürich, bei dem sie publizierte und der über die Weltrechte an ihrem Werk verfügt, dürfte eine Rolle gespielt haben.

Literaturwissenschafter Weber, der sich die letzten 10 Jahre mit Highsmith auseinandergesetzt hat, ist noch immer fasziniert von der aussergewöhnlichen Person und Schriftstellerin.

“Das ist ein Qualitätsmerkmal guter Autoren: Je länger man sich mit ihrem Werk beschäftigt, desto grösser wird die Lust, sich auf sie einzulassen.”

swissinfo, Gaby Ochsenbein

Patricia Highsmith wurde am 19. Januar 1921 in Fort Worth, Texas, USA geboren.
Kindheit und Jugend in Texas und New York.
1938 – 1942: Studium Englische Literatur am Barnard College Columbia University, New York.
1951 – 1953: Reise durch Europa (England, Italien, Frankreich, Spanien, Schweiz, Deutschland, Österreich).
1960er- bis 80er-Jahre verbringt sie in England und Frankreich.
1982 zieht Highsmith ins Tessin, Schweiz.
Am 4. Febr. 1995 stirbt sie im Spital von Locarno.

1950 veröffentlichte Highsmith ihren ersten Roman “Strangers on a Train”, der später, wie viele andere ihrer Bücher, verfilmt wurde.

1955 erscheint “The Talented Mr Ripley”, später folgen vier weitere Ripley-Romane, mit denen sie weltberühmt wurde.

Insgesamt schrieb sie 22 Romane und viele Erzählungen.

Den Nachlass verkaufte Daniel Keel, Highsmiths literarischer Testament-Vollstrecker, mit ihrem Willen ans Schweizerische Literaturarachiv.

Die Ausstellung in der Schweizerischen Landesbibliothek in Bern dauert noch bis am 10.09.06.

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