Alpenkonvention: Schweiz soll Farbe bekennen
Rund zwei Wochen, nachdem der Nationalrat die Ratifizierung der Zusatzprotokolle zur Alpenkonvention nicht einmal diskutieren wollte, war das Verhalten der Schweiz Thema an einem internationalen Kongress der Alpenschutzkommission Cipra in Niederösterreich.
Eigentlich wollte die Cipra an ihrer Jahrestagung in Semmering den Themenkreis ”Die Alpen im Wandel“ beleuchten. Stark diskutiert wurde dann allerdings die Entscheidung der grossen Kammer des Schweizer Parlaments, die Zusatzprotokolle zur Alpenkonvention diskussionslos unter den Tisch fallen zu lassen.
Die meisten Kongressteilnehmenden konnten sich keinen Reim auf diesen Entscheid machen. Die Verunsicherung über die künftige Rolle der Schweiz in diesem Gremium war gross. Deshalb musste Dominik Siegrist, der Schweizer Präsident von Cipra International, das Verhalten der Schweizer Parlamentarier erklären. Dies fiel ihm nicht leicht, wie er im Gespräch mit swissinfo.ch ausführte.
swissinfo.ch: Der Nationalrat hat kürzlich die Zusatzprotokolle zur Alpenkonvention abgeschmettert. Weshalb?
Dominik Siegrist: Es ist ein Entscheid, der mich empört und entsetzt. Im Ausland zeigt man sich darüber, milde ausgedrückt, sehr überrascht. Ich erkläre mir dieses Abstimmungsergebnis vor allem durch die meiner Ansicht nach anti-ökologische und anti-internationalistische Zusammensetzung des Nationalrats.
swissinfo.ch: Hat diese Verweigerung auch Auswirkungen auf den internationalen Ruf der Schweiz? Denn bis auf Italien haben alle Alpenländer diese Zusatzprotokolle ratifiziert.
D. S.: Klar, isoliert sich die Schweiz damit – nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren. Es ist ein zusätzliches schlechtes Zeichen, das man den Nachbarn gegenüber gesetzt hat.
Vielleicht lässt sich der Schweizer Schritt teilweise auch damit erklären, dass die Alpenkonvention in der Schweiz nie eine sehr grosse Wirkung hatte. Offenbar haben viele Parlamentsmitglieder keinen Zusatznutzen gesehen, da die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern recht gute Berggebiets- und Umweltgesetze besitzt.
swissinfo.ch: Könnte das für die Schweiz Konsequenzen haben?
D. S.: Ja, aber vermutlich eher auf der psychologischen Ebene. So könnte die neue Schweizerische Umweltministerin Doris Leuthard Mühe haben, Fuss zu fassen. Es ist kein optimaler Einstieg für eine neue Ministerin, wenn sie so quasi als erste Aktion eine Alpenkonvention nicht ratifiziert.
Ich befürchte auch, dass wir unseren Vorsprung verlieren könnten, den wir auch im Umwelt- oder Nachhaltigkeitsbereich lange hatten. Da muss die Schweiz aufpassen, dass sie gegenüber Österreich, dem anderen wichtigen Tourismusland in den Alpen, nicht plötzlich als Verliererin dasteht.
swissinfo.ch: Frau Leuthard wird im kommenden Jahr bis 2013 den Vorsitz des internationalen Übereinkommens Alpenkonvention übernehmen. Wird diese Funktion von vornherein unter einem schlechten Stern stehen?
D.S.: Der jetzige Umweltminister Bundesrat Leuenberger hat in der Parlamentsdebatte betont, dass man die neue Ministerin nicht im Regen stehen lassen dürfe. Doch das ist leider geschehen.
Die Cipra erwartet von der Schweiz eine klare Stellungnahme für die Alpenkonvention. Die neue Umweltministerin soll aktiv sein, ein Zugpferd der Alpenkonvention. Sie soll zeigen, dass die letzte Abstimmung ein Missgeschick war, und sie beim Verkehr, Tourismus, Landwirtschaft, Natur- und Klimaschutz politisch andere Zeichen setzen möchte.
Ich denke, andere Länder, insbesondere Österreich, werden die Schweiz auffordern, Farbe zu bekennen.
swissinfo.ch: Die kleine Parlamentskammer, der Ständerat, hat die Zusatzprotokolle ohne Probleme angenommen. Weshalb hatte der Nationalrat so viel Mühe damit?
D. S.: Die Bergkantone hatten früher mit der Alpenkonvention Probleme. Aber diese wurden 1996 an der berühmten Konferenz von Arosa gelöst, mit Bundesrätin Ruth Dreifuss. Damals hatten die Bergkantone grünes Licht gegeben und waren seither der Alpenkonvention gegenüber immer positiv eingestellt.
Die Regierungen der Gebirgskantone wollen heute die Alpenkonvention. Es gab im Nationalrat bereits im Frühling eine sehr knappe Abstimmung. In der Folge setzte eine Lobbyarbeit von Wirtschaftsverbänden ein. Bürgerliche Kreise haben den Teufel an die Wand gemalt, es waren irrationale Argumente im Spiel, es wurden Unwahrheiten angeführt, die mit vernünftigen Argumenten nicht korrigiert werden konnten.
swissinfo.ch: Wurden irgendwelche Interessen tangiert, da so viel Lobbyarbeit gemacht wurde?
D. S.: Ich glaube eher, das Problem liegt darin, dass der Zusatznutzen nicht überzeugend genug dargestellt werden konnte. Denn für viele Parlamentarier ist die internationale Zusammenarbeit kein wirkliches Argument. Es herrscht immer noch den Eindruck, man kann alles im Alleingang lösen.
swissinfo.ch: Ist die Alpenkonvention überholt?
D. S.: Die Alpenkonvention stammt von 1991. In der Folge wurden die Zusatzprotokolle erarbeitet. Klar gibt es immer Dinge, die sich verändern. Da kann man mit der Zeit Anpassungen vornehmen. Es wäre allerdings zum heutigen Zeitpunkt für die Alpenkonvention gefährlich, deren Protokolle neu zu verhandeln. Ich möchte hinzufügen, dass die Schweiz die Protokoll und die Rahmenkonvention unterzeichnet und letztere bereits 1999 ratifiziert hat.
Auch hat sie bei der Ausarbeitung der Protokolle eine starke Rolle gespielt, vor allem im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Dort hat das Land wesentlich dazu beigetragen, dass das Thema Berggebietsentwicklung einen ganz zentralen Stellenwert erhalten hat.
swissinfo.ch: Gibt es Beispiele, in denen die Schweiz von anderen Ländern lernen könnte?
D. S.: Bestimmt, die Schweiz kann von internationalen alpenweiten Projekten profitieren. Aber sie kann auch ihre grosse Erfahrung in solche Projekte eingeben. Unser Land hat eine lange Tradition in der Berggebietspolitik und der nachhaltigen Entwicklung der Alpenregionen.
Und ich verstehe eigentlich nicht, weshalb man das nicht als Stärke begreift. Ein Beispiel sind die Schutzgebiete, die Pärke von nationaler Bedeutung, wie es in der Schweiz heisst. Sie sind vernetzt in der Alpenkonvention und dieses Netzwerk betreibt Erfahrungsaustausch, um die einzelnen Parkprojekte weiterzuentwickeln. Davon profitiert die Schweiz sehr stark.
Erstaunlicherweise nimmt das Land auf der praktischen Ebene an solchen Projekten teil, nur ist sie nicht bereit, auf der übergeordneten Ebene die Rahmenbedingungen zu ratifizieren.
Weiter versuchen Regionen mit Projekten im Energie-, Verkehrs-, und Baubereich Klimaneutralität zu erreichen. So hat etwa eine Therme in Slowenien Klimaneutralität erreicht durch den Einsatz von erneuerbaren Energien. Das ist ein Beispiel, wie man auch bei uns eine Alpentherme realisieren könnte.
Dominik Siegrist, geb. 1957, ist Leiter der Forschungsstelle für Freizeit, Tourismus und Landschaft im Institut für Landschaft und Freiraum der HSR Hochschule für Technik in Rapperswil im Kanton St. Gallen.
Er studierte Geografie an den Universitäten Zürich und FU Berlin.
1993 – 2003: Partner der Beratungsfirma AlpenBüroNetz.
2002 – 2003: Gastforschungsjahr an der Universität für Bodenkultur in Wien.
1998 – 2004: Präsident von CIPRA Schweiz
Seit 2004 Präsident von Cipra International (Internationale Alpenschutzkommission).
Siegrist ist Mitautor zahlreicher Publikationen und Studien im Themenfeld naturnaher Tourismus, Regionalentwicklung und Landschaftsplanung.
Die Alpenkonvention ist ein internationales, ursprünglich von der Cipra ivorgeschlagenes Abkommen zwischen den Alpenstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, die Schweiz und Slowenien.
Sie zielt ab auf die nachhaltige Entwicklung des Alpenraums und den Schutz der dort ansässigen Bevölkerung. Eingeschlossen sind ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Dimensionen.
Dazu wurden eine Rahmenkonvention und acht Zusatzprotokolle angenommen, die den Themen Boden, Energie, Landwirtschaft, Natur und Landschaft, Raumplanung, Tourismus, Verkehr und Wald gewidmet sind. Die Schweiz und Italien haben die Zusatzprotokolle nicht ratifiziert.
Der Sitz des Ständigen Sekretariats der Alpenkonvention ist in Innsbruck.
Die Internationale AlpenschutzkommissionCIPRA (französisch Commission Internationale pour la Protection des Alpes, Internationale Alpenschutz-Kommission) ist ein alpenweiter Dachverband von über 100 Umweltschutz- und Alpinorganisationen in den 7 Alpenländern.
Die internationale Organisation und ihre nationalen und regionalen Vertretungen setzen sich seit 1952 für den Schutz und die nachhaltige Entwicklung in den Alpen ein.
Die Cipra möchte Natur, Wirtschaft und Soziales in Einklang zu bringen.
Sitz von Cipra International ist Schaan im Fürstentum Liechtenstein. In jedem Alpenland gibt es ein nationales Cipra-Komitee, so auch in der Schweiz.
Das Alpengebiet erstreckt sich auf einer Länge von rund 1100 km über 8 Staaten, 5954 Gemeinden und 190’568 km2 Fläche, und beherbergt rund 13’000 Pflanzen- und 30’000 Tierarten.
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