Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Schulden-Kompromiss: Obama als Verlierer

US-Präsident Barack Obama: Laut Schweizer Presse der Verlierer im Ringen um den Schuldenkompromiss. AFP

Erhöhte Schuldenobergrenze, massives Sparprogramm: Der Kompromiss zur Abwendung des Bankrotts der USA sei eine Niederlage für US-Präsident Barack Obama, urteilt die Schweizer Presse. Frohlocken dürfen die Republikaner und vor allem die Tea Party.

Die Aargauer Zeitung stellt erst einmal grundsätzliche Überlegungen an: “Falls es wirklich stimmt, dass ein gelungener Kompromiss die Verhandlungspartner unzufrieden zurücklässt, dann gleicht der Deal, den der demokratische Vizepräsident Joe Biden mit dem republikanischen Senator Mitch McConnell schmiedete, einem exzellenten Verhandlungsergebnis.” Sowohl Demokraten als auch Republikaner hätten umgehend Kritik geäussert, so die Zeitung. 

“Die Pleite scheint abgewendet. Aber ist das die Rettung?”, fragt der Blick. “Vielleicht sogar das Gegenteil”, schreibt die Boulevardzeitung mit Verweis auf die schlechte Verfassung der US-Wirtschaft. Statt Staatsmilliarden für einen neuen Aufschwung bereit zu stellen, “wurde Obama von den Republikanern – vor allem von den Tea-Party-Hardlinern – gezwungen, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen”.

Tea Party zieht den Karren

Le Temps aus Genf spricht von einer “Tragikomödie um den amerikanischen Budget-Engpass”. Jetzt wisse man, wer in den USA den Karren ziehe. “Die Vertreter der Tea Party haben die Begriffe der Debatte definiert, die Route (des Karrens) gewählt, die Geschwindigkeit vorgegeben und die Insassen mit dem nahen Abgrund erschreckt. So haben sie die Tapfersten erschöpft.”

Das Zurückweichen Obamas in den meisten wichtigen Punkten komme einer “beispiellosen Niederlage” des Präsidenten gleich, so Le Temps.

Ebenfalls hart ins Gericht mit dem US-Präsidenten geht das St. Galler Tagblatt,  das den Kompromiss als “Tiefpunkt einer Präsidentschaft” bezeichnet. “Mit einem ausgewogenen Kompromiss, wie ihn Obama versprach, hat dieses Paket wenig zu tun. Es ist ein Spardiktat, das ihm die Rechtspopulisten der Tea Party abpressten.”

Die “verquere Tea-Party-Logik”, die Begleichung bereits eingegangener Verbindlichkeiten mit künftiger Ausgabenpolitik zu verknüpfen, hätte Obama niemals akzeptieren dürfen, so das St. Galler Tagblatt.

“Das Schuldendrama illustriert, wie aus dem hoffnungsvollen ‘Yes we can’ ein desillusioniertes ‘Ich kann nicht’ geworden ist. Ohne eigene Mehrheit im Kongress und mit einer Opposition, die vor kaum einer Grenze zurückschreckt, ist der Präsident, der historischen Wandel versprach, heute in den USA die lahmste aller ‘lahmen Enten'”.

Obamas neue Rolle als Schiedsrichter

Etwas milder gestimmt sind 24 heures und die Tribune de Genève. Obama habe schon lange begriffen, dass die Wahlen 2012 in der Mitte entschieden würden. Dafür nehme er schwierige Abstriche in Kauf, wie den Verzicht auf Steuererhöhungen für sehr Reiche und bei den Sozialprogrammen.

Mit diesem Realitätssinn habe Obama “sein Anfangscharisma eingebüsst”, folgern die beiden Westschweizer Zeitungen. Doch der Schuldenstreit habe ihm erlaubt, an seiner neuen Rolle zu feilen: “Als Schiedsrichter, der die verschiedenen Interessen gegeneinander abwägt.”

Schuldenbremse wie die Schweiz 

“Wenig Grund zur Beruhigung” sieht ebenfalls die Neue Zürcher Zeitung. “Indem die Vereinbarung freie Bahn schafft für eine Erhöhung der Schuldenobergrenze, löst sie zwar das unmittelbare Liquiditätsproblem, ändert aber nur wenig daran, dass die USA dabei sind, sich strukturell zu überschulden.”

Die NZZ rät dem Land deshalb zu einer Schuldenbremse, wie die Schweiz sie kenne: “Auch die USA brauchen dringend ein Instrument, das Politik und Regierung dazu zwingt, mit einem über den Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichenen Finanzhaushalt zu planen und zu wirtschaften”, so die NZZ.

Mit der Anhebung der Schuldenobergrenze sei “die Finanzkatastrophe mit Kettenreaktion rund um den Globus” verhindert worden, schreibt der Tages-Anzeiger, doch “können wir endlich aufatmen?”

Wohl kaum, lautet die Antwort, denn das drastische Sparprogramm der nächsten zehn Jahre schränke die Fähigkeit der Regierung massiv ein, “mit Investitionen gegen die bereits manifeste Schwäche auf dem Arbeitsmarkt und beim Wirtschaftswachstum zu reagieren”, warnt der Tages-Anzeiger.

Die gesetzliche Schuldenobergrenze der USA wird um 2,1 Mrd. Dollar auf 16’400 Mrd. Dollar erhöht (16,4 Billionen Dollar).

Der Entscheid im Repräsentantenhaus fiel mit 269 gegen 161 klar, obwohl die Tea Party und Teile der Demokraten vehement gegen den Kompromiss waren.

Der Senat wird am Dienstag darüber abstimmen.

Die neuen Kredite reichen bis 2013, im Wahljahr 2012 sollte deshalb kein neuer Schuldenstreit drohen.

Gleichzeitig muss Barack Obama die staatlichen Ausgaben in dieser Zeit um 2,4 Mrd. Dollar herunter fahren. Laut US-Präsident folgen daraus die “tiefsten Staatsausgaben seit Dwight Eisenhower” (Amtszeit 1953 bis 1961).

Ein so genannter Super-Kongress, bestehend aus je sechs Demokraten und Republikanern, soll zudem bis Herbst ein weiteres Sparpaket im Umfang von 1,5 Mrd. Dollar schnüren.

Die aktuelle Verschuldung der USA liegt bei 1430 Mrd. Dollar.

Hätte jemand seit der Geburt Christi jeden Tag eine Million Dollar ausgegeben, wäre er heute noch nicht bei 1000 Mrd. Dollar angelangt. Es wären erst etwas über 700 Mrd. Dollar.

Auch mit dem Kompromiss wird die Staatsverschuldung weiter anwachsen, obwohl diese bereits dabei ist, 100% des Bruttoinlandprodukts zu übertreffen.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft