The Swiss voice in the world since 1935

Medaillen für in der Schweiz internierte US-Piloten

Ein beim Einsatz über Deutschland getroffener B-17-Bomber (Flying Fortress) landete am 24. April 1944 in Genf. Ein Verletzter wurde hospitalisiert, der Rest der Crew interniert. Archives fédérales, Berne

Fast 70 Jahre nach ihrer Internierung in einem Straflager in der Innerschweiz ehrt der US-Kongress 157 amerikanische Piloten und Crewmitglieder aus dem II. Weltkrieg mit einer Medaille für Kriegsgefangene. Sie waren meist wegen versuchter Flucht ins Straflager versetzt worden.

«Ich bin froh, jetzt nach 68 Jahren diese Kriegsgefangenen-Medaille und damit die Anerkennung zu erhalten, ich bin aber auch enttäuscht, dass es so lange gedauert hat», erklärt der heute 91 Jahre alte pensionierte Oberstleutnant James Misuraca, der in Florida lebt. Die Auszeichnung durch den Kongress betrachte er nicht als Revanche.

Er sei nie wütend gewesen auf das Schweizer Volk. «Den militärischen Behörden aber nehme ich es übel, dass sie mich in der Hölle des Wauwilermooses einkerkerten. Ich wurde verhört von dem Tyrannen Hauptmann Béguin, der eine Schande war für das Schweizer Militär», sagt Misuraca. «Ich wurde gezwungen, in einer schlecht geheizten Holzhütte zu leben, auf einer Koje auf schlechtem Stroh voller Läuse zu schlafen.»

Die IKRK-Delegierten, die das Straflager Wauwilermoos inspiziert hatten, zeigten sich nicht eben scharfsinnig: «Es mag eine eiserne Disziplin herrschen, aber man findet auch einen Geist von Gerechtigkeit und Verständnis, was die Wiedererziehung und Besserung schwieriger Elemente angeht, die hierher geschickt werden», notierte der Delegierte Frédéric Hefty.

Das Lager sei ein Ort der Entspannung, an den sie gerne zurückkommen würden, erklärten Internierte, die Lagerkommandant Béguin gegen Vorzugsbehandlung für seine Zwecke eingespannt hatte.

1944 warnte der amerikanische Militärattaché in Bern den Schweizer Aussenminister Marcel Pilet-Golaz, dass die schlechte Behandlung der amerikanischen Piloten und Crews «Navigationsfehler» der US-Luftwaffe bei deren Angriffsflügen gegen Deutschland nach sich ziehen könnte.

Am 19. Juli 1944 stürzte ein amerikanischer Bomber in den Turm des Schlosses Wyden in Ossingen bei Zürich. Das Schloss gehörte Max Huber, der bis 1946 IKRK-Präsident war und später unter anderem Verwaltungsrats-Präsident von Alusuisse und der Maschinenfabrik Oerlikon.

1946 erhielt Huber von Washington eine Entschädigung in Höhe von 769’000 Franken, um das 48-Zimmer-Schloss wieder in Stand zu setzen.

Der Absturz war aber kein Akt der Vergeltung gewesen. Der B-24-Bomber war auf der Rückkehr von einer Mission in Deutschland, in rund 30 Kilometern Entfernung, als die Crew die Maschine aufgeben und sich mit Fallschirmen retten musste.

Die Summe, die Huber erhielt, ist aber die höchste, die in der Schweiz im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als Entschädigung an eine Einzelperson ausbezahlt wurde.

Lagerkommandant – Schweizer Nazi-Sympathisant

Hauptmann André Béguin, der Kommandant des Straflagers Wauwilermoos nördlich von Luzern, hatte seine Nazi-Sympathien nicht versteckt. Nach dem Krieg wurde er zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, degradiert und aus der Armee ausgeschlossen.

Um ein Doppelleben führen und seine Schulden bezahlen zu können, hatte er das Geld der Gefangenen konfisziert. Bei seiner Festnahme waren 200 (nie der Post übergebene) Briefe von Internierten gefunden worden, die sich über die Haftbedingungen im Wauwilermoos beklagt hatten.

Für James Misuraca unterschied sich das Wauwilermoos kaum von einem deutschen Kriegsgefangenenlager. «Die Nahrung bestand aus dünner Suppe mit Kohl, Kartoffeln und etwas Schwarzbrot. Wir hatten ständig Hunger. Die Wächter waren vulgär und primitiv. Das Lager war umgeben von einer Doppelreihe Stacheldraht mit Wachttürmen, dazu kamen die Hunde-Patrouillen. Kein fliessend Wasser oder Seife, mehr als primitive Latrinen… Schliesslich gelang mir endlich die Flucht aus dieser Hölle, und am 1. November 1944 fand ich Unterschlupf in Frankreich.»

Nachdem er 1964 nach 22 Jahren im Dienst der US-Luftwaffe in den Ruhestand getreten war, arbeitete James Misuraca als Broker. In die Schweiz kehrte er nie mehr zurück, auch nicht nach Davos, wo er vor seinem ersten Fluchtversuch interniert gewesen war. «Davos, den schönsten Ort meiner Internierung, hätte ich eigentlich gerne noch einmal gesehen. Und von den Schweizer Behörden habe ich nie eine Entschuldigung erhalten.»

Entschuldigung des Bundespräsidenten

Dan Culler, ein anderer US-Internierter, der im Straflager Wauwilermoos sass, wurde 1995 vom damaligen Bundespräsidenten Kaspar Villiger in Bern empfangen, der sich damals im Namen der Bundesbehörden offiziell bei ihm entschuldigte.

Culler war zuerst in einem leerstehenden Hotel in Adelboden interniert, von wo aus er versuchte, über das Tessin aus der Schweiz zu fliehen. Nachdem er giftige Beeren gegessen hatte und danach schwer erkrankte, war er aus eigenem Antrieb nach Adelboden zurückgekehrt.

Nach dem Fluchtversuch wurde er jedoch verlegt – ins Straflager Wauwilermoos, wo er in einer Baracke mit Internierten aus Osteuropa landete. Sie würden in mehrmals vergewaltigen, bereits in der ersten Nacht.

«Vier von ihnen hielten mich fest, während der fünfte zur Tat schritt. Und so ging das der Reihe nach. Ich blutete überall. Ich kam aus einem kleinen Dorf in Indiana und hatte nie zuvor sexuelle Beziehungen gehabt.»

Am nächsten Tag wandte er sich gleich an den Lagerkommandanten Béguin aus Neuenburg, doch zeigte sich dieser von der Geschichte nur belustigt. Er schickte Culler zurück in die gleiche Baracke, wo er von seinen Peinigern weiter vergewaltigt, gequält und gedemütigt wurde. «Ich dachte mehrmals, ich würde sterben», erinnert sich Culler, der auch nie vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besucht worden war.

Mehr

Flucht nach Frankreich

Dan Culler erkrankte im Lager an Tuberkulose und wurde in ein Spital verlegt. Mit der Komplizenschaft des amerikanischen Militärattachés wagte Culler einen weiteren Fluchtversuch. Er erinnert sich, dass er nach Genf ging und in einem Restaurant in Cornavin drei weitere Flieger traf.

Ein Taxi fuhr sie an die mit Stacheldraht gespickte Grenze. «Dann rannten wir unter dem Kugelhagel der Schweizer Soldaten, die ohne Vorwarnung feuerten, bis wir auf französische Fluchthelfer stiessen.»

Auf Weihnachten 2001 schrieb die Tochter Béguins an Dan Culler: «Nach all den Jahren des Leidens ist es an der Zeit, Sie im Namen meiner ganzen Familie und auch meines Vaters um Verzeihung zu bitten. Gott segne Sie.»

Mehr

Mehr

Rehabilitierung der «Kriegshelden» abgeschlossen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Kommission des Schweizer Parlaments hat die Rehabilitierung aller 137 bekannten Personen zu Ende geführt, die während des Nationalsozialismus hauptsächlich jüdischen Flüchtenden illegal die Einreise in die Schweiz ermöglichten und dafür von Schweizerischen Militärgerichten verurteilt worden waren.   Fast 70 Jahren später sind die Urteile nun aufgehoben und die Namen der Flüchtlingshelfer, nun Kriegshelden, publiziert worden. Es handelt sich um Schweizer, Franzosen, Italiener, Deutsche…

Mehr Rehabilitierung der «Kriegshelden» abgeschlossen

Grosskind eines Internierten

Sein Grossvater war einer der amerikanischen Flieger, die in der Schweiz interniert waren. Nun hat Major Dwight Mears seine Doktorarbeit den amerikanischen Internierten in der Schweiz gewidmet. Die Arbeit trägt den Titel: «‪Interned Or Imprisoned?: ‪The Successes and Failures of International Law in the Treatment of American Internees in Switzerland, 1943-45» (University of North Carolina, Chapel Hill, 2012).

Gemäss den Recherchen von Mears im Bundesarchiv in Bern und beim IKRK in Genf haben insgesamt 154 Piloten oder Crewmitglieder Anrecht auf eine Kriegsgefangenen-Medaille, 11 von ihnen leben heute noch. Den Verstorbenen soll die Ehre posthum verliehen werden, wann und wo ist noch offen.

Um ihren Wärtern zu entkommen, hatten sich einige der Internierten auch als Frauen verkleidet, zum Beispiel Leutnant Stuart Goldsmith, der aus Davos floh und sich dem Maquis, dem französischen Widerstand, anschloss. (Quelle: «Internés en Suisse 1939-1945», Olivier Grivat, Editions Ketty & Alexandre, 1995)

Strikte Schweiz

«General Guisan hatte das IKRK – als Bedingung für den Zugang – dazu gezwungen, seine Berichte zu den Inspektionen der Internierungslager der Zensur (der Armee) vorzulegen», erklärt Mears, der durch Zufall auf ein Dokument des IKRK gestossen ist, das dies belege.

In seiner Doktorarbeit vergleicht Mears das Verhalten der Schweiz mit dem anderer neutraler Staaten wie Schweden, der Türkei oder Portugal, die unter der Haager Konvention von 1907 ebenfalls verpflichtet waren, fremde Soldaten bis zum Ende des Konflikts interniert zu halten.

«Die Schweiz war aber das einzige Land, welches das Abkommen bis Mai 1945 buchstabengetreu umsetzte», erklärt der amerikanische Historiker. Die anderen hätten nicht derart lange gewartet auf einen Austausch mit Deutschland, und sie hätten bei Fluchtversuchen eher ein Auge zugedrückt.

(Übertragung aus dem Französischen; Rita Emch)

Mit der Schweiz verbunden

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft