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Presseschau vom 02.11.2002

Der Aufmarsch der Berner Kantonsangestellten wurde breit kommentiert - und als Rote Karte an die Regierung gedeutet.

Das Festhalten an der Gewissensprüfung für den Zivildienst, von der Nationalrats-Kommission gefordert, wurde schlecht benotet.

Ein wichtiges Thema in der Schweizer Presse vom Samstag war der Aufmarsch von 20’000 Menschen in Bern am Freitag. Die Demonstrantinnen und Demonstranten protestierten gegen den Abbau des Service Public, den die Berner Kantonsregierung plant.

Diese will im Rahmen ihrer SAR – der strategischen Aufgabenüberprüfung – einen einschneidenden Sparkurs fahren. Buslinien in Randregionen sollen gestrichen und Polizeiposten geschlossen werden. Besonders in Mitleidenschaft gezogen von den Plänen würde das Bildungs- und Sozialwesen.

Was eigentlich ein Kantonal-bernerisches Problem sein könnte, ist in Zeiten der wirtschaftlichen Hiobsbotschaften, der durchhängenden Konjunktur und über 100’000 Arbeitslosen in der Schweiz eine Kundgebung mit nationaler Bedeutung.

Der Tessiner CORRIERE DEL TICINO berichtet mit einem Bild des vollen Bundesplatzes und der Zürcher TAGES-ANZEIGER titelt im Inlandteil:

“20’000 gegen das Sparen”

Die BERNER ZEITUNG schreibt dazu:

“Der Aufschrei von 20’000 Angestellten, Lehrkräften und Pflegepersonen des Kantons Bern überrascht nicht. Denn die Staatsbediensteten haben in den letzten Jahren Hunderte von Millionen Franken zur Verbesserung der finanziellen Lage des Kantons Bern beigesteuert – mit entsprechenden Abstrichen. (…) Mit der vom Regierungsrat verabschiedeten (…) strategischen Aufgabeüberprüfung droht den Staatsangestellten weiteres Ungemach.”

Und die andere Zeitung aus Bern, der BUND, gibt unter dem Titel “Rote Karte für Regierung” zu bedenken, dass alles so einfach nicht ist:

“Sie jammern, alle jammern. Jene, die nicht über die Sparmassnahmen jammern, jammern über das jammernde Personal. Sollen es doch froh sein, überhaupt Arbeit zu haben (…), und einsehen, dass der Kanton nicht umhin kommt, weiter zu sparen (…). ‘Panikmache’ wirft etwa der Verband Bernischer Arbeitgeber-Organisationen den (…) Gewerkschaften vor. Just jener Verband, der (…) eine Steuersenkung um 10 Prozent fordert und damit seinerseits die Sanierungsbemühungen des Kantons torpediert. (…) Die Politik muss Antworten finden. Und sie muss sowohl den Druckversuch der Wirtschaft wie auch den eindrücklichen Aufmarsch des Personals ernst nehmen. Beides sind Misstrauensvoten an die Politik, die im Kanton Bern klar bürgerlich dominiert ist.”

Unverständnis für die Gewissensprüfung

Vom Bundesplatz ins Bundeshaus. Die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates hat am Freitag ihren Entscheid bekannt gegeben, an der Gewissensprüfung für Zivildienstleistende festzuhalten. Das heisst, wer nicht als Soldat seine Dienstpflicht erfüllen will, muss vor einer Kommission seine Motivation überzeugend darlegen, bevor er seinen Zivildienst antreten darf, der anderthalbmal so lange dauert wie das Militär. Eine zu grosse Attraktivität des Zivildienstes könnte der Armee Bestandesprobleme schaffen, begründete die SIK ihren Entscheid.

Die NEUE LUZERNER ZEITUNG stellt der Nationalrats-Kommission kein gutes Zeugnis aus. Dass – von Retuschen abgesehen – alles so bleibe wie es ist, erklärt die NLZ so:

“Zu gross war wohl die Angst, nach einer Abschaffung der Gewissensprüfung fänden sich zu wenig junge Männer, die Militärdienst leisten wollen. Tatsächlich hat die Armee ernsthafte Probleme, ihre Bestände zu füllen. Nur hat dies mit dem Zivildienst recht wenig zu tun. Die Zahl derjenigen, die sich auf dem sogenannten blauen Weg von der Wehrpflicht verabschieden, sich also für untauglich erklären lassen (…), beträgt jährlich beinahe das Zehnfache der Zivildienstleistenden.”

Die Armee müsse hier ansetzen und die medizinische Dispensierung als Schlupfloch für Drückeberger schliessen. Die NLZ kommt zum Schluss:

“Es ist nicht nachvollziehbar, wenn die Kommissionsmehrheit (…) an der Gewissensprüfung festhalten will. Denn wer bereit ist, einen Dienst an der Gemeinschaft zu leisten, anstatt den bequemen blauen Weg zu wählen, dem sollten nicht zusätzliche Schikanen in den Weg gelegt werden.”

swissinfo, Philippe Kropf

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