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Presseschau vom 16.11.2002

Die Frontseiten und Kommentare der Schweizer Presselandschaft werden am Samstag von zwei Frauen dominiert: Micheline Calmy-Rey und Ruth Lüthi. Eine der beiden soll die abtretende Ruth Dreifuss ersetzten.

Nicht aufs Wahlticket geschafft haben es die Tessiner Regierungsrätin Patrizia Pesenti, die Nationalrats-Präsidentin Liliane Maury Pasquier und der Neuenburger Ständerat Jean Studer.

“Damendoppel gesetzt”, schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.

“Es soll also wieder eine Frau sein”, titelt die BASLER ZEITUNG.

Die BERNER ZEITUNG vermutet im Titel auch schon welche: “Kronfavoritin ist Calmy-Rey”.

Während der BUND das noch offen lässt und neutral titelt: “Calmy-Rey und Lüthi gekürt”.

Bei den Befragungen durch die Fraktion – es ging um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, Sparen unter der Schuldenbremse und um die Wirtschaftslage – hätten besonders die nominierten Calmy-Rey und Lüthi brilliert, wissen mehrere Zeitungen zu berichten.

Pesenti im Stress

Für den TAGES-ANZEIGER ist klar: “Calmy-Rey und Lüthi waren eindeutig die besten. So kam die Forderung von Tessinern, jetzt seien sie wieder an der Reihe, nicht zum Tragen. Patrizia Pesenti hat einfach zu wenig überzeugt.”

Der BLICK widmet beinahe seine ganze – kurze – Berichterstattung zum Thema der glücklosen Kandidatin aus dem Tessin. Das Massenblatt titelt: “Pesenti verlor die Nerven” und schreibt “Die Tessiner Regierungsrätin war dem Auswahl-Stress in der SP-Fraktion nicht gewachsen. Sie verlor vollkommen die Nerven.” So habe sie stundenlang mit ihrem Medienberater im Hotel Bellevue auf den Entscheid gewartet, zu dem sie verspätet erschienen sei.

Kein Gunst dem Tessin

Die BERNER ZEITUNG beurteilt die Nicht-Berücksichtigung der Kandidatin der italienischsprachigen Schweiz so: “Arrividerci Ticino – auf Wiedersehen Tessin”.

Dass es die Tessinerin nicht auf ein Dreier-Ticket schaffte, erklärt die Zeitung so: “Einmal mehr wurden die reformistischen Kräfte innerhalb der Partei mit aller Deutlichkeit zurückgebunden.”

Denn dieser Teil der SP hätte sich durchaus mit Pesenti als Kandidatin anfreunden können, da sie als pragmatisch und unideologisch gilt.

Mann unerwünscht

Der einzige Mann der ins Rennen steigen wollte, Jean Studer, hatte kein Glück. Die BASLER ZEITUNG stellt den Genossinnen und Genossen der Fraktion dafür ein gutes Zeugnis aus:

“Die SP hat einen Praxistest in Sachen Frauenförderung bestanden. Sie hat den Anspruch der Frauen auf eine angemessene Vertretung der Frauen in der Landesregierung höher gewichtet als die persönlichen Ambitionen eines Mannes.”

Und der BUND konstatiert: “Die Linke erntet die Früchte ihrer langjährigen Frauenförderung.”

Dreckiges Kalkül gewittert

Für den welschen LE TEMPS ist aber bei den Nominationen nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, er schreibt von “les manouvres les plus grossières” – also dreckigen Manövern.

Die Kandidatur des Neuenburger Mannes sei einfach abgeschmettert worden, stattdessen sei eine Alibi-Kandidatin präsentiert worden, Liliane Maury Pasquier. Und die Genferin habe wiederum hinhalten müssen, um Ruth Lüthi nominieren zu können. Denn für LE TEMPS ist klar: “Ruth Lüthi est germanophone” – Ruth Lüthi ist Deutschschweizerin.

Es genüge nicht, aus einem zweisprachigen Kanton zu kommen, um als Romand zu gelten. Sonst würden auch Adolf Ogi oder der derzeitige Bundesrat Samuel Schmid als Welsche gelten.

swissinfo, Philippe Kropf

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