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Presseschau vom 23.02.2004

Für den Sieg der iranischen Konservativen bei den Parlamentswahlen spenden die Schweizer Zeitungen keinen Applaus. Sie sehen noch härtere Zeiten für die iranische Bevölkerung anbrechen.

Freude, durchsetzt mit dem obligaten Schuss helvetischen Realitätssinns, herrscht dagegen über den ersten “MusicStar” Carmen Fenk.

Als “eine traurige Wende im Iran”, wertet die NEUE LUZERNER ZEITUNG den sich abzeichnenden Wahlsieg der Konservativen. Dieser stand bereits fest, da der Wächterrat zuvor rund 2500 liberale und reformerische Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen hatte.

Obwohl ihr Coup gelungen sei, sei der Triumph der Konservativen nicht ungetrübt. “Die Wahlbeteiligung von nur 50% macht es Kritikern möglich, die Legitimität des neuen Parlaments in Frage zu stellen.”

“Iran ohne Feigenblatt”, so die BERNER ZEITUNG. Nach deren Niederlage müsse die islamische Republik ohne das demokratische Feigenblatt der Reformer funktionieren.

Nie Chance für Reformer

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG konstatiert den “Abschied von der Reformbewegung im Iran”. Eine eigentliche Chance habe diese jedoch nie besessen: “An den Schalthebeln der Macht sitzen fundamentalistische Geistliche und machthungrige Opportunisten, die entschlossen sind, jeden Anlauf der Lockerung der gesellschaftlichen Regeln und zur Demokratisierung der politischen Ordnung zu blockieren.”

Die Konservativen würden jetzt an ihrer Fähigkeit bemessen, die Wirtschaft anzukurbeln, um den Millionen jungen Iranern eine Ausbildung, Einkommen und Wohnungen zu verschaffen, so die NZZ.

Die “geistliche Mafia an den Schalthebeln der Macht” habe mit dem Ausschluss der Reformer auf Nummer sicher gehen wollen und “sich damit selbst blossgestellt”, so der Berner BUND.

Das Ränkespiel habe gezeigt, dass die demokratischen Elemente im politischen System des Irans nur Fassade seien. “Die Ära politischer Reformen ist deshalb am Freitag nicht zu Ende gegangen. Sie hatte gar nie begonnen.”

Obwohl sich die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner von der Politik abgewandt und ins Private zurückgezogen habe, sieht der BUND dennoch einen Schimmer Hoffnung. Denn gerade im Privatbereich seien echte Reformen festzustellen: “Die einst strikten Kleider- und Moralvorschriften werden nicht mehr durchgesetzt, die ‘Verwestlichung’ scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein.”

Carmen, erster Schweizer “MusicStar”

“Oh Gott, ich bin ein Star!”, lässt die Boulevardzeitung BLICK Carmen auf der Frontseite ausrufen. Das Schweizer Fernsehpublikum hat die St. Gallerin am Samstag Abend zur Siegerin des ersten Schweizer TV-Castingshow gewählt.

Für die NEUE LUZERNER ZEITUNG ein Glücksfall. Carmen stehe für einen Trend im Musikbusiness, “dass es auch Leute schaffen, die optisch nicht gängigen Idealen entsprechen, aber Talent und Persönlichkeit haben”.

Für den TAGES-ANZEIGER verkörpert die Gewinnerin “packende Energie”, ihr “Urschrei” tauge allemal als “Aufbruch zum Aufbruch”.

Die BASLER ZEITUNG allerdings sieht, wenn’s um die Frage nach den wirklichen Siegern von “MusicStar”geht, alle Beteiligten als solche. Oder zumindest fast alle: Das Schweizer Fernsehen, dank traumhafter Einschaltquoten, ein abgehalfterter Ex-Rocker als Jury-Mitglied und ein schlagfertiger Moderator.

Wo aber bleibt der neue “MusicStar” selbst? Die BAZ sagt es so: “Nach bewährtem Rezept angerührt und gut geknetet geht im TV-Brutkasten derzeit mancher Teig von alleine auf. Ob Carmen im Musikmarkt Schweiz aber nochmals überwintern kann, ist fraglich.”

Carmen – Spiegel helvetischer Volksseele

Der Berner BUND bilanziert leicht mokant, dass die Schweiz mit ihrem neuen “MusicStar” zufrieden sei, “weil es noch schlimmer hätte kommen können”.

Die “26-jährige Verkörperung übermütiger Dörflichkeit” könne als “Schadensbegrenzung gewertet werden, vielleicht gar als Zeichen zierlichen Mutes zum Nonkonformismus”, so der BUND.

In der Siegerin erblickt er das Spiegelbild der Schweizer Volksseele. “Carmen Fenk lebt der Durschnittsschweiz genau jene Dosis an Unverschämtheit und unverblümter Daseinsfreude vor, welche hier als erstrebenswert gilt – nie wirklich frech, aber doch ein putziges bisschen vorlaut.”

swissinfo, Renat Künzi

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