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Regen und Liebesgetändel

Schmachtende Blicke: "The Importance Of Being Earnest". www.pardo.ch/"The Importance Of Being Earnest"

Ab ins Vorführlokal Fevi, heisst es kurz vor Mitternacht auf der Piazza Grande von Locarno. Dort startet das Filmfestival süffig: Mit "The Importance Of Being Earnest".

Kalt ist der Regen, der die Zuschauerinnen und Zuschauer von der Piazza verscheucht. Warm brandet dagegen Festival-Direktorin Irene Bignardi der Applaus entgegen, als sie den Eröffnungsfilm ansagt. Mit nassen Haaren und dampfenden Kleidern freuen sich die Leute auf das erste Kinovergnügen des 55. Internationalen Filmfestivals von Locarno.

Platz genug im Fevi

Das Warten auf den Film hat sich in die Länge gezogen. Locarno bietet keine 1. August-Feierlichkeiten, bis Mitternacht hat’s deshalb gedauert und hier und dort ist Müdigkeit aufgekommen. Doch der Wechsel ins Vorführlokal Fevi hat Bewegung in die Menge gebracht. Diese ist allerdings recht überschaubar: die hintersten Ränge im gedeckten Vorführsaal bleiben leer. “Das hat’s noch nie gegeben”, meint eine Festival-Besucherin.

Dennoch: Es sind wohl knapp 3000 Personen, die zu dieser späten Stunde gekommen sind, und sie begrüssen nicht nur Irene Bignardi mit viel Wärme, sondern auch Rupert Everett, Schauspieler in “The Importance Of Being Earnest”. Vor dem Film hat er einen kleinen Auftritt. Er rühmt den Schriftsteller Oscar Wilde, dessen Geschichte dem Film zu Grunde liegt: “Seine Stories sind einfach die lustigsten überhaupt”.

Earnest und Earnest

Der Sprachwitz Oscar Wildes ist denn auch die besondere Qualität von “The Importance Of Being Earnest”. Ein Sprachwitz, der unterhält und das Publikum während der Vorführung regelmässig lachen und schmunzeln lässt. So sagt etwa Judy Dench in der Rolle der strengen Tante Augusta zum elternlosen Mann, der ihre Tochter heiraten möchte: Es sei Pech, einen Elternteil zu verlieren, beide zu verlieren grenze hingegen an “Leichtsinn”.

Die Geschichte ist eine Gesellschafts-Satire des viktorianischen Englands. Zwei junge Dandies geben sich eine andere Identität, einen anderen Namen, und suchen damit im London Ende des 19. Jahrhunderts nach Aufregung und Abwechslung. Sie geben sich zweitweilig als Brüder aus und nennen sich beide Earnest.

Sie buhlen um die Gunst zweier Frauen und es gelingt ihnen, ihre Angebeteten für sich zu gewinnen. Der Grund: Die Frauen – sie lernen sich erst im Verlauf der Geschichte kennen – sind überzeugt, dass ihr Liebster den Namen Earnest tragen soll. Nur heissen die Dandies aber in Wahrheit Jack und Algy. Es kommt zu etlichen Verwirrungen. Und Entwirrungen: der Schluss ist überraschend.

Getändel aus viktorianischer Zeit

Trotz der sprachlichen Raffinesse erzählt der Film von Regisseur Oliver Parker eine gewöhnliche Geschichte. Wohlhabende Männer werben um behütete Töchter, die zwar spitzzüngig sind, aber, nachdem sie sich gebührlich geziert haben, der Heirat zustimmmen. Insgeheim haben sie es sich natürlich gewünscht.

Die Liebe – sie ist und bleibt immer ein Thema. Dennoch: Brauchen wir noch Filme, die dieses Getändel aus viktorianischen Zeiten darstellen, nur um zu unterhalten? Filme, die veraltete Rollenbilder hervorkramen und in pompösen Köstümen verpackt präsentieren – was fürs Auge durchaus seinen Reiz hat? Wohl kaum, den glücklicherweise sind die damaligen Vorstellungen von Richtig und Falsch durch Emanzipation aufgeweicht.

“The Importance of being Earnest” – ein süffiger Auftakt für das Festival. Der Film wird dem Anspruch von Irene Bignardi gerecht, die mit den Vorführungen auf der Piazza bewusst unterhalten will. Zu dieser späten Stunde im Fevi war er mit seinen sommerlichen und romantischen Bildern vielleicht gerade richtig.

Kathrin Boss Brawand, Locarno

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