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Schweiz will humanitäre Irak-Konferenz

Im Fall eines Krieges in Irak wird die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung prekär werden. Keystone

Im Hinblick auf den drohenden Krieg in Irak laufen die Vorbereitungen der Schweiz für die humanitäre Hilfe auf Hochtouren. In Genf soll Mitte Februar eine humanitäre Konferenz stattfinden.

Die internationalen Reaktionen sind abwartend bis positiv.

“Wir sind mit allen Beteiligten in Kontakt”, sagte Walter Fust, Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) am Dienstag an der DEZA-Jahresmedienkonferenz. Konkrete Zusagen gebe es noch keine, doch diese “werden kommen”.

“Wir hoffen, dass wir die Konferenz am Wochenende vom 15./16. Februar in Genf durchführen können”, sagte Fust. Die humanitäre Konferenz war am Vortag von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey lanciert worden.

Nach Angaben des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) handelt es sich um ein Treffen auf Expertenebene. Die offiziellen Einladungen sollen am Mittwoch verschickt werden.

Daran teilnehmen sollen Iraks Nachbarstaaten, die USA, Grossbritannien sowie EU-Vertreter. Neben der Organisation der humanitären Hilfe sei die Konferenz auch “eine Manifestation, um zu zeigen, welche Folgen ein solcher Krieg haben könnte”, sagte Fust.

Zusage der UNO-Organisationen

Die UNO-Organisationen sind bereit, an der Konferenz in Genf teilzunehmen. “Wir finden den Vorschlag der Schweiz sehr interessant”, sagte Elisabeth Byrs, Sprecherin des UNO-Büros für die Koordination der humanitären Hilfe (OCHA) am Dienstag in Genf. Man sei bereit, an einer solchen Konferenz teilzunehmen, warte derzeit aber noch auf eine offizielle Einladung.

Für Ruud Lubbers, UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, ist der Schweizer Vorschlag eine “gute Idee”. Es sei notwendig, die Last der humanitären Auswirkungen eines möglichen Krieges zu teilen.

USA wollen mehr Information

Die USA erwarten genauere Angaben zu dem Schweizer Vorschlag einer humanitären Konferenz über die Auswirkungen eines möglichen Irak-Kriegs in Genf. Washington habe noch keine offizielle Einladung erhalten und warte auf Informationen, erklärte der Sprecher der US-Botschaft in Bern, Bruce Armstrong, gegenüber swissinfo.

“Gegenwärtig können wir keinen Kommentar abgeben”, sagte Armstrong. Dieselbe Antwort erhielt swissinfo von der britischen Botschaft.

Eine offizielle Stellungnahme von Bagdad liegt noch nicht vor. Gegenüber swissinfo erklärte der irakische UNO-Botschafter Samir Khairi Annama, es gebe noch keine offizielle Einladung der Schweiz. “Wir haben via Nachrichtenagenturen von der Sache erfahren.”

Den Vorschlag der Schweiz betrachte er persönlich als “positiv”. “Eine solche Konferenz würde ein Augenmerk auf die schlimmen Folgen eines möglichen militärischen Angriffs auf Irak richten”, sagte der irakische UNO-Botschafter.

Schweizer Experten stehen bereit

Die DEZA bereitet sich auch in der Krisenregion auf eine Zuspitzung des Konflikts vor, wie DEZA-Direktor Walter Fust weiter ausführte.

Zusätzlich zu einem in Bagdad stationierten Koordinator halten sich Experten des Korps für humanitäre Hilfe für einen Einsatz bereit. Je nach Verlauf der Situation würden diese die direkt betroffene Bevölkerung aktiv unterstützen, vor allem im Hinblick auf Flüchtlingsströme.

Gute Zusammenarbeit mit Bagdad

Die bisherige Zusammenarbeit der DEZA mit Bagdad sei gut gewesen, sagte Walter Fust gegenüber swissinfo. “Wir haben recht gute Erfahrungen mit den irakischen Behörden. Natürlich, in der Vergangenheit gab es eine stereotype Position der irakischen Regierung, die sagt, ‘wir brauchen keine humanitäre Hilfe; lockert nur die Sanktionen, dann können wir uns selbst helfen’.”

Sorge bereiten der DEZA die sogenannten “Hungertaschen”, das heisst jene Gegenden oder Gruppierungen von Menschen im Land, zu denen die internationale Hilfe nicht gelangt oder gelangen darf, aus inneren Sicherheitsgründen oder anderen Überlegungen.

“Darauf haben wir ein besonderes Augenmerk. Vergessen wir nicht, das ist Mesopotamien, das ist ein ‘melting pot of civilisations’, 13 verschiedene Religionen, verschiedenste ethnische Gruppierungen, ein Gebiet, das alles andere als einfach zu begehen ist”, so Fust.

Gravierende Folgen für Zivilbevölkerung

“Die Schweiz arbeitet eng mit dem Welternährungs-Programm und dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zusammen. Kommt es zum offenen Konflikt, so würde im Irak die Zivilbevölkerung in grossem Masse in Mitleidenschaft gezogen”, sagte Fust.

Neben Toten und Verletzten wäre zudem mit intern Vertriebenen und Flüchtlingen in den Nachbarländern zu rechnen. Betroffen wäre auch die Infrastruktur in den Bereichen Wasser, Gesundheit, Elektrizität, Transport und Kommunikation.

Fust präzisierte, die Folgen für die Zivilbevölkerung würden stark von der Art der militärischen Auseinandersetzung abhängen. Er unterschied dabei zwischen einem kurzen “chirurgischen Luftkrieg” oder einer längeren militärischen Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Bodentruppen.

Unabhängigkeit von den USA bewahren

Wenn die USA angreifen – mit oder ohne zweiter UNO-Resolution – werden sie erfahrungsgemäss versuchen, die humanitäre Hilfe unter ihre Kontrolle zu bringen. Die DEZA will jedoch autonom handeln.

Walter Fust zu swissinfo: “Wir sagen ganz klar unseren Kollegen in den USA – und das hat Frau Calmy-Rey US-Aussenminister Powell klargemacht – , dass es wichtig ist für die militärischen Planer, die Bedürfnisse der humanitären Akteure mit einzubeziehen. Aber es darf nicht sein, dass humanitäre Hilfe Teil der militärischen Intervention ist.”

Das sei ein ganz zentraler Punkt, betonte Fust. “Ob das unsere Partner in den USA – militärische oder nicht militärische Kreise – genau gleich sehen, das wird sich dann weisen.”

Mehr Mittel bereitstellen

Die DEZA ist seit 1993 im Irak mit humanitärer Hilfe präsent. Zusammen mit ihren Partner-Organisationen wie der UNO und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unterstützt sie die schwächsten Glieder der Bevölkerung, vor allem Kinder.

Für das laufende Jahr sind dafür rund 5 Mio. Franken budgetiert. Im Kriegsfall müssten mehr Mittel bereitgestellt werden. Das hatte am Montag auch Bundesrätin Calmy-Rey bekräftigt.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

DEZA seit 1993 im Irak präsent

Humanitäre Hilfe im Irak: Für 2003 rund 5 Mio. Franken budgetiert. Im Kriegsfall braucht die DEZA mehr Gelder.

Hilfsgüter im Wert von 250’000 Franken bereitgestellt

UNHCR rechnet im Fall eines Krieges mit bis zu 1,2 Mio. Flüchtlingen und fordert 37,4 Mio. Dollar für humanitäre Hilfe

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) will mit dem Jahresthema “Sicherheit durch Entwicklung” einen Kontrapunkt zur aktuellen Politik setzen. Aktuell ist die Direktion mit den Vorbereitungen auf einen allfälligen Irak-Krieg und den Brennpunkten Nordkorea und Elfenbeinküste beschäftigt.

Angesichts des Kriegs gegen Terrorismus hätten weltweit jene Kräfte Oberwasser, die auf Repression setzten, um Sicherheit zu gewährleisten, sagte DEZA-Direktor Walter Fust an der Jahres-Pressekonferenz in Bern. Die DEZA wolle Zusammenhänge und Wirkung von einer anderen Sichtweise her aufzeigen. Für mehr Sicherheit vor Ort brauche es mehr Entwicklung.

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