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Wie kann ein Medikament 2,1 Mio. Franken kosten?

Zwei Fläschlein Zolgensma
Zolgensma soll die bis anhin tödliche Krankheit spinale Muskelatrophie heilen können. Keystone

Die US-Behörden haben ein Medikament des Schweizer Pharmaherstellers Novartis zur Behandlung einer tödlichen Muskelkrankheit bei Kindern freigegeben. Die einmalige Gentherapie mit Zolgensma kostet 2,1 Millionen Franken. Damit ist es das teuerste Medikament aller Zeiten. Ist dieser Preis gerechtfertigt?


So soll Zolgensma funktionieren: In den Zellen defektes genetisches Material, das eine Krankheit hervorruft, durch die Kopie des richtigen, guten Gens ersetzen. Und die Patienten so heilen.

Die Forschenden hoffen, mit Gentherapie eine Vielzahl von tödlichen Kinderkrankheiten, seltenen Bluterkrankungen und Erbkrankheiten besiegen zu können.

Nach diesem Muster soll Zolgensma Kinder heilen, die an spinaler MuskelathropieExterner Link leiden. Das ist eine tödliche Krankheit, die durch einen Gendefekt verursacht wird. Dabei werden die Muskeln so stark geschwächt, dass die erkrankte Person sich nicht mehr bewegen kann. Weil die Patienten schliesslich nicht mehr Schlucken oder Atmen können, sterben sie.

Neugeborene, die mit der akuten Form der Krankheit geboren wurden, sterben oft vor dem zweiten Altersjahr. Etwa jedes 10’000. Neugeborene ist von der Krankheit betroffen. Damit zählt spinale Muskelathropie unter den seltenen Krankheiten zu jenen, die am häufigsten auftreten.

Die beiden Schweizer Pharmariesen Novartis und Roche sind führend bei der Entwicklung von Medikamenten zur Gentherapie. Ihre Position stärken sie auch mit Übernahmen von kleineren Biotech-Unternehmen, wie gerade jüngst erfolgt.

Bei Zolgensma sticht natürlich der Preis einer Anwendung ins Auge. Das ist nicht das erste Mal der Fall: Vor einigen Jahren kam es in der Schweiz schon zu einer Debatte über den Preis eines Medikaments zur Behandlung von Hepatitis C. Der Preis damals: 60’000 Franken. Im Vergleich dazu sind 2,1 Mio. Franken aber in einer anderen Liga.

Novartis-Boss Vas Narasimhan argumentierteExterner Link, dass Gentherapien einen medizinischen Durchbruch darstellten, indem sie mit einmaliger Anwendung Hoffnung auf Heilung einer tödlichen Erbkrankheit böten. Er sagte aber auch, dass in bestimmten Fällen auch eine wiederholte Behandlung mit Zolgensma angezeigt sei, um eine schrittweise Verbesserung zu erreichen.

Zolgensma, zugelassen für Kinder unter zwei Jahren, ist eine einmalige Infusion. Die Behandlung dauert etwa eine Stunde. Konkurrent Roche entwickelt auch eine orale Lösung gegen die Krankheit.

Die heute gängige Alternative ist die Behandlung mit dem Medikament Spinraza , das viermal jährlich und lebenslänglich  eingenommen werden muss. Es kostet im ersten Jahr 750’000 Franken, danach 350’000 Franken. In zehn Jahren kommen somit Kosten von vier Millionen Franken zusammen.

Laut dem unabhängigen und gemeinnützigen Institute for Clinical and Economic Review, das den Nutzen von neuen, hochpreisigen Medikamenten berechnetExterner Link, ist der hohe Preis von Zolgensma gerechtfertigt. Dies, weil das Medikament “die Lebensqualität der von dieser verheerenden Krankheit betroffenen Familien stark verbessert.”.

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Es gibt mehrere Punkte. Erstens: Wie wird ein solcher Preis überhaupt bestimmt, und welche Margen erzielen die Pharma-Unternehmen. Diese Frage stellt sich vor allem angesichts der Tatsache, dass über die Entwicklungskosten solcher Medikamente kaum je etwas bekannt wird. 

Novartis hat Zolgensma nämlich nicht selbst entwickelt, sondern via Übernahme des US-Unternehmens AveXis – Kaufpreis 8,7 Milliarden Dollar Externer Link– also eingekauft.

Zweitens: Viele Preise sind aufgrund eines Modells berechnet, das eine Vielzahl von heiklen Fragen aufwirft. Wie jene, wie viel ein Leben wert ist. Wer aber kann darauf eine auch nur halbwegs gültige Antwort geben? Schwierig.

Drittens herrscht ein Mangel an Beweisen, dass die Behandlungen mit teuren Medikamenten wirksam sind. Nicht bekannt sind auch die potenziellen Risiken, insbesondere die langfristigen, die für die Patienten bestehen.

Viele Gentherapien haben das Potenzial, seltene Krankheiten zu bekämpfen und damit das Leben von – ganz wenigen – kranken Menschen zu verbessern. Kritische Stimmen aber sagen viertens, dass Forschung und Wissenschaft auf die Bekämpfung der weitaus häufigeren Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck fokussieren sollten.

Fünftens: Kritiker befürchten, dass die Gentherapie das Eintrittsticket zum so genannten Designer BabyExterner Link darstelle. Ambitionierte Eltern erhielten mit Genmanipulation die Möglichkeit, ihr ungeborenes Kind nach ihren Wünschen optimieren zu können.

Hauptpunkt der Debatte ist aber klar die Frage, wer denn die Kosten für solche teuren Medikamente bezahlen soll. Das schweizerische System mit den obligatorischen Krankenversicherungen ist auf solidarische Verteilung der Gesundheitskosten auf die ganze Breite ausgelegt. Preisliche Aussreisser à la Zogensma würden sich für die Versicherten wohl eher früher als später in erhöhten Prämien bemerkbar machen.

Novartis hat bereits signalisiert, dass die Firma für den “Fall Zogensma” mit den Krankenversicherern an einer Lösung arbeitet. Diese sähe vor, dass Zahlungen über einen Zeitraum von fünf Jahren tranchenweise erfolgen könnten. Eine solche Jahres-Tranche würde also 425’000 Franken betragen. Falls die Behandlung nichts fruchtet, will der Hersteller auch Rabatte gewähren. Ob das auch in anderen Ländern so gehandhabt würde, bleibt unklar.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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