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Nein zur Sozialcharta des Europarates

Das Streikrecht war auch einmal ein Grund, die Sozialcharta nicht zu ratifizieren. Keystone

Nach jahrelangem Hin und Her klassiert der Nationalrat eine parlamentarische Initiative, die die Ratifikation der Europäischen Sozialcharta gefordert hatte.

Die Schweiz gehört damit zu den wenigen Ländern, die das Dokument nicht ratifiziert haben.

Die Ratifikation der Europäischen Sozialcharta ist in weite Ferne gerückt. Der Nationalrat hat es am Freitag abgelehnt, die Behandlungsfrist einer parlamentarischen Initiative zu verlängern. Diese verlangte die Genehmigung des Abkommens.

Die Schweiz hatte die Sozialcharta des Europarats 1976 zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert. 1993 gab der Nationalrat der parlamentarischen Initiative der SP-Fraktion Folge, die die Ratifikation des Abkommens verlangte.

Politischer Dauerbrenner

Die Vorlage entwickelte sich zum politischen Dauerbrenner. Mit der Erstellung neuer Gutachten und der Anpassung von Berichten an die Rechtsentwicklung vergingen die Jahre.

Insgesamt vier Mal musste die Behandlungsfrist der Initiative verlängert werden. 1996 waren die Bestimmungen zum Streikrecht und zum Recht der Wanderarbeiter Stein des Anstosses, 1998 wurde die Behandlung bis zum Entscheid über die neue Bundesverfassung vertagt.

Kommissionsmehrheit unterliegt

Am Freitag hätte die Behandlungsfrist der SP-Initiative nach dem Willen einer Mehrheit der Sozialkommission ein weiteres Mal verlängert werden sollen. Eine bürgerliche Minderheit verlangte dagegen die Abschreibung.

Für eine Ratifizierung müsste die Schweiz mindestens fünf Kernbestimmungen der Charta erfüllen, sagte der Berner Freisinnige Pierre Triponez. Es wären Anpassungen von Gesetzen nötig, was bei den Kantonen in der Vernehmlassung auf Ablehnung gestossen sei.

Eine Mehrheit des Nationalrats ist dieser Auffassung gefolgt. Die Initiative wurde mit 104 zu 84 Stimmen abgeschrieben. Eine Ratifikation der Sozialcharta ist damit in absehbarer Zeit wenig wahrscheinlich. Beide Kammern hatten schon in den achtziger Jahren die Genehmigung des Abkommens verweigert.

Schwester der Europäischen Menschenrechts-Konvention

Die Sozialcharta ist das Schwesterabkommen der Europäischen Menschenrechts-Konvention. Während diese die bürgerlichen und politischen Rechte der Bürger und Bürgerinnen schützt, befasst sie sich mit sozialen Standards.

Wer der Sozialcharta beitreten will, muss fünf der sieben Hauptartikel als bindend anerkennen. Die sieben Kernbestimmungen betreffen das Recht auf Arbeit, die Gewerkschafts-Freiheit, das Streikrecht, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf Schutz der Familie sowie den Schutz der Wanderarbeiter.

Die einzelnen Rechte der Europäischen Sozialcharta sind im Gegensatz zur Europäischen Menschenrechts-Konvention für Privatpersonen nicht direkt anwendbar, und es ist nicht möglich, diese auf gerichtlichem Weg durchzusetzen.

swissinfo und Agenturen

Folgende Länder haben die Sozialcharta unterzeichnet jedoch nicht ratifiziert:

Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien
Liechtenstein
Rumänien
Schweiz
Slowenien
Ukraine

Die Europäische Sozialcharta wurde am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichnet und trat am 26. Februar 1965 in Kraft.

1996 verabschiedete der Europarat die Revidierte Sozialcharta, die den Entwicklungen der europäischen Gesellschaften seit 1961 Rechnung trägt.

Die Revidierte Sozialcharta fasst in einem einzigen Text alle bisherigen Änderungen der Sozialcharta zusammen und gewährt zusätzliche Garantien, wie etwa ein Recht auf Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, ein Recht auf unentgeltlichen Schul-Unterricht, ein Recht auf Wohnung sowie ein Recht auf Schutz vor Armut und sozialen Ausschluss.

Die Revidierte Sozialcharta ist von 16 Staaten ratifiziert worden.

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