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Sind alle verrückt nach Facebook?

Facebook zeichnet sich vor allem durch eine rasende Expansion aus. Reuters

Facebook hat eben die historische Marke von einer halben Milliarde Nutzern überschritten. Auch in der Schweiz wird es immer schwieriger, den Verlockungen dieser populären Plattform zu widerstehen. Einigen jedoch gelingt es.

Es ist wie ein neuer Kontinent: Die Summe der Facebook-Nutzer umfasst die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten, Japans und Deutschlands. Ein Riesenheer von Menschen hält seit 2004 untereinander Kontakt über die vom Studenten Mark Zuckerberg geschaffene Plattform, die ihn auch zum weltweit jüngsten Milliardär gemacht hat.

Bei der Ankündigung der historischen Nutzerzahl hat sich der Facebook-Gründer an die – leicht utopische – Idee erinnert, die für ihn aber vor allem zu einer veritablen Geldmaschine geworden ist: “Schaffung einer offeneren und besser miteinander verbundenen Welt, in der wir mit den Menschen, die wir lieben, Kontakt halten können.”

Immer mehr

Niemand könne die Frage mit Sicherheit beantworten, wie lange Facebook weiter wachsen werde, sagt Informatik-Journalist Paolo Attivissimo, der diese Szene mit einem Blog verfolgt.

“Auch weil dieses Phänomen eine Ausnahmeerscheinung gegenüber anderen sozialen Netzwerken darstellt: Diese erreichen ihren Spitzenwert nach dem Aufschalten und nehmen nach rund zwei Jahren wieder ab”,

Facebook dagegen ist seit sechs Jahren andauernd gewachsen und hat nie nennenswerte Anteile verloren. “Das Projekt hat vermutlich aufgrund seiner Grösse die kritische Masse überschritten. Das macht sich fast uneinholbar. Wer sich noch nicht auf dieser Plattform befindet, ist fast gezwungen, beizutreten.”

Zu den Erfolgsfaktoren von Facebook gehört auch die einfache Bedienung, die nicht nur junge Menschen zum Mitmachen verführt. “Die Webseite ist wirklich einfach zu bedienen. Es gelingt in kürzester Zeit ein Profil zu erstellen, mit dem man Inhalte mit anderen Nutzern teilen kann, zum Beispiel Fotos”, erklärt Attivissimo.

Direkter Draht

Facebook ist jedoch nicht nur ein Mitteilungs- und Unterhaltungsinstrument. Viele Unternehmen nutzen es, um ihre Produkte anzupreisen und um den ständigen Kontakt mit der Öffentlichkeit zu gewährleisten.

“Vor allem in englischsprachigen Ländern ist Facebook ein sehr oft verwendeter Kommunikationskanal. Er macht den direkten Dialog zwischen dem Produkt und dem Zielpublikum sichtbar. So unterhalten auch die BBC und viele andere Medien Links zu Facebook.

Auch in nicht-anglophonen Ländern wird eine passable Steigerung beobachtet: Führend bei der Anzahl Fans in Europa sind Der Spiegel und die italienische La Repubblica. Sogar Arabisch ist im Zunehmen begriffen, wie die Erfahrung von swissinfo mit dieser Sprache zeigt. swissinfo ist dank seiner weltweiten Leserschaft das führende Schweizer Medium auf Facebook.

Auch in der Schweiz nutzen viele Unternehmen – unter ihnen PostFinance, Swisscom oder Swatch – längst die Möglichkeiten, welche diese soziale Plattform bietet. Mit Wettbewerben, Veranstaltungen oder Produktpräsentationen soll ein jüngeres Publikum gewonnen werden, das über die traditionellen Werbekanäle nicht mehr so gut erreicht werden kann.

Wie anderswo auch, wird Facebook auch in der Schweiz vor allem von Jugendlichen genutzt. Laut einer aktuellen Umfrage liegt über die Hälfte aller Schweizer Nutzer in der Altersgruppe zwischen 18 und 35 Jahren. 16% befinden sich im Segment 35 bis 44 Jahre. Nur 3% sind älter als 55 Jahre.

Den vernünftigen Gebrauch lernen

Bei aller Euphorie darf allerdings nicht vergessen werden, dass sehr wohl Risiken bestehen für den Missbrauch personenbezogener Daten.

In der Schweiz hat der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte die Bevölkerung wiederholt davor gewarnt. Denn Benutzer haben keine Möglichkeit zu kontrollieren, wie ihre Daten verwendet werden, und können deshalb mit unangenehmen Folgen konfrontiert werden.

“Material zu publizieren ist fast zu einfach. Schwieriger ist es dagegen, genau zu verstehen, was öffentlich zugänglich ist und was privat bleiben soll. Deshalb werden manchmal Informationen, die nur für eine begrenzte Nutzergruppe bestimmt sind, weltweit verbreitet”, warnt Attivissimo.

“Viele Menschen denken nicht daran, dass zum Beispiel ein potentieller Arbeitgeber Kommentare lesen oder gewisse Fotos zu Gesicht bekommen könnte. Die richtige Handhabung ist also eine Frage der persönlichen Verantwortung und der Vertrautheit mit diesem neuen Kommunikationsmittel.”

Facebook wurde auch oft kritisiert, weil einige Gruppen Empörung hervorgerufen haben wie jene, die auf Kinder mit dem Down-Syndrom zielte oder jene, die für einen mutmasslichen Todesschützen Sympathie hegte.

Laut Attivissimo “möchten viele Menschen beachtet werden. Sie wollen im grossen Facebook-Universum über sich sprechen. Aber auch hier müssen sie lernen, richtig mit diesem neuen Instrument umzugehen und die Regeln zu respektieren.”

Es geht auch ohne

Facebook verdreht aber nicht jedem den Kopf – aus Sicherheits- und anderen Gründen. Die 35-jährige Sarah Contini arbeitet in der Kommunikationsbranche. Sie hat beschlossen, Facebook nicht zu nutzen.

“Ich habe keinen guten Grund dafür gefunden, weshalb ich mich anzumelden sollte. Ich bin sicher nicht technologiefeindlich.Die Entwicklung des Internets habe ich von Anfang an verfolgt und mir sofort eine E-Mail-Adresse besorgt, als ich deren Nutzen einsah.”

Anders erging es ihr bei Facebook: “Meiner Meinung nach werden hier dieselben Argumente gebraucht, wie für die neuesten Handys mit den vielen Gadgets, die aber nur wenige wirklich nützliche Funktionen zu bieten haben. Letztlich wird man vom Werkzeug beherrscht, anstatt es zu gebrauchen”, sagt Sara Contini.

Aber ist es nicht seltsam, dass jemand, der sich mit Kommunikation beschäftigt, ein so weit verbreitetes Werkzeug nicht verwendet? “Nein”, meint Contini. “Ich versuche Informationen mit Werkzeugen auszutauschen, die bereits existieren: Blogs, Foren oder Sharing-Webseiten.”

Einen weiteren Grund, sich nicht auf Facebook anzumelden, sieht Sarah Contini – und das ist derselbe, weshalb viele Unternehmen ihren Mitarbeitenden den Zugang während der Arbeitszeit verbieten – im Faktor Zeit.

“Ein Tag hat 24 Stunden. Wenn ich auch nur eine Stunde mit jenen diskutiere oder Trivialitäten austausche, die 10’000 km von mir entfernt wohnen, ist es doch eine Stunde, die mich von meiner Familie und dem realen Leben entfernt.”

Andrea Clementi, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)

Sechs von sieben Departementen und die Schweizerische Bundeskanzlei haben den Facebook- Zugang seit dem 15. September 2009 gesperrt.

Eine vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation durchgeführte Untersuchung zeigte, dass Facebook die beliebteste Plattform für Online-Kontakte und in der Bundesverwaltung zudem die am zweithäufigsten besuchte Webseite war.

Trotz eines Aufrufes zur Zurückhaltung zeigten weitere Erhebungen keine signifikanten Verbesserungen.

Daher beschlossen das Eidgenössische Departemente für Justiz und Polizei, Verteidigung, Finanzen, Volkswirtschaft, Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation sowie die Bundeskanzlei, den Zugang zu Facebook zu blockieren.

Mitarbeitende, die aus beruflichen Gründen einen Facebook-Zugang brauchen, müssen die Erlaubnis ihrer Vorgesetzen einholen.

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