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Tourismusförderung und Klassik auf hohem Niveau

Mit Vivaldi Rekordverkäufe erreicht: In Gstaad spielt Nigel Kennedy Jazz. Klaus Muempfer

Stars wie Nigel Kennedy, Valery Gergiev oder Cecilia Bartoli, preisgekrönter Nachwuchs und Musiker aus andern Kulturen. Bekannte Symphonien, wenig bekannte Kammermusik und Improvisation: Das ist der Mix des Menuhin Festivals in Gstaad.

Yehudi Menuhin tat als erster das, was heute zum Modebegriff geworden ist: Crossover. Schon in den 1960er-Jahren spielte der weltberühmte Virtuose der abendländischen Klassik mit Musikern aus andern grossen Kulturen.

“Ich versuche meine eigene Handschrift einzubringen und gleichzeitig ein Programm in seinem Geiste zu gestalten”, sagt der künstlerische Leiter, Christoph N.F. Müller gegenüber swissinfo.

Die Konzertreihe “Tout le Monde du Violon” bezeichnet Müller als seine “Spielwiese”. Es sei ein “Kontrastprogramm zum eher steifen Korsett der Symphoniker. Hier begegnen sich Jazz-Violinisten, Zigeuner-Geiger und klassische Musiker. Aufeinander zugehen, ein musikalisches Risiko eingehen, improvisieren, das ist der Geist von Menuhin”.

Christoh N.F. Müller, Musiker und Kulturmanager, leitet das Festival seit 2002. “Im Prinzip bin ich bei der Programmierung frei, aber ich muss auch wirtschaftliche Ziele erfüllen. Es gibt einen gewissen Druck, die Bandbreite einzuhalten.”

Violinisten aus der ersten Liga

“Bandbreite”, das heisst Werke von Strauss, Beethoven, Mozart bis hin zu Schönberg, Bartók und Barber; Interpreten wie das London Symphonie Orchestra unter der Leitung von Valery Gergiev; Zugpferde wie die Sängerin Cecilia Bartoli, die Cellistin Sol Gabetta und eine ganze Reihe Violinisten aus der ersten Liga des Klassikbetriebs.

An den sieben Samstagen stellt das Festival “Junge Preisträger” vor, alles Interpretinnen und Interpreten, die mitten in einer internationalen Karriere stehen und bereits mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden sind.

Bei den Puristen ist er berühmt und berüchtigt: Der Menuhin-Schüler Nigel Kennedy ist ein Grenzgänger. Er spielt virtuos Mozart, Beethoven oder Vivaldi, aber auch Blues, Heavy Metal, Punk und Jazz. Nach Gstaad bringt er sein Quintett und eigene Kompositionen zwischen Be-Bop, Blues, Bossa Nova und Metal.

Der Einzug der Event-Kultur

Zur Bandbreite gehören auch eine Lesung des bekanntesten Schweizer Komikers Emil oder ein Abend im Gletscherrestaurant mit Noëmi Nadelmann, Fondue-Chinoise und Evergreens von Cole Porter und George Gershwin.

“Wir haben aber auch Grenzen. Man hat uns auch schon gesagt, wir sollen im Zelt VIP-Lounges an die Decke hängen. Das machen wir nicht. Knallende Champagnerkorken stören die Musik”, erläutert Festival-Präsident Leonz Blunschi.

“Im Fussball gab es vor 20 Jahren auch noch keine VIP-Lounges. Wir könnten auch mit den Konzerten in den Kirchen und im Zelt überleben, aber das Festival musste auch etwas populärer werden. Wir müssen uns immer wieder hinterfragen und anpassen.”

Sommerflaute – das war einmal

Stark verändert hat sich auch das Umfeld. In den vergangenen 20 Jahren entstanden in zahlreichen Städten und Tourismusorten Klassikfestivals. “Sicher spüren wir die Konkurrenz. Unser Festival hat den Vorteil einer langen Geschichte und einer klaren Philosophie. Dank der grossartigen Natur haben wir ein grosses Stammpublikum”, so Blunschi.

Viele Besucher verbinden mit dem Festival auch ihre Ferien. Gstaad liegt abseits der grossen Verkehrsachsen. Ausser den Leuten aus der Region kommen nur wenige für ein einziges Konzert ans Festival, zumal viele Künstler auch in den grossen Städten der Schweiz und Europas auftreten.

“Exklusivitätsklauseln in den Verträgen, das war früher viel leichter machbar. Da war im Sommer flaute und jeder war dankbar, wenn er ein Engagement kriegte. Das hat sich massiv verändert”, erzählt Blunschi.

Defizite mit Neuer Musik

Vor zehn Jahren stand das Festival vor dem Ruin. Der 1999 verstorbene Menuhin setzte wenige Jahre vor seinem Tod den Violinisten Gidon Kremer als Nachfolger ein. Die Fachwelt war begeistert. Kremer programmierte Neue Musik. Defizite waren die Folge.

Es kam zum Eklat zwischen dem Verwaltungsrat und dem künstlerischen Leiter. “Ich habe schon damals gesagt, dass wir zwei Ziele haben, nämlich klassische Musik in Topqualität in die Berge bringen und einen Sommertourismus, der gut läuft”, erklärt Blunschi.

Seit Müller die künstlerische Leitung übernommen hat, geht es laut dem Präsidenten ökonomisch aufwärts. “1999 hatten wir ein Budget von 850’000 Franken für die Künstler. Heute sind es 1,75 Millionen.”

swissinfo, Andreas Keiser, Gstaad

Die 52. Ausgabe des Menuhin Festivals findet vom 25. Juli – 7. September 2008 statt.

Der Violinist, Dirigent und Humanist Yehudi Menuhin (1916-1999) liess sich mit seiner Familie zu Beginn der 1950er-Jahre in Gstaad nieder.

Das Festival entstand aus der Idee Menuhins, Künstlerkollegen aus aller Welt einzuladen und zusammen zu musizieren.

1957 gründeten Menuhin und der Verkehrsverein Gstaad gemeinsam den “Yehudi Menuhin Musiksommer”, eine Konzertreihe in der Kirche Saanen.

Das Festival ist nach den Luzerner Musikfestwochen (1938) das zweitälteste Klassik-Festival der Schweiz.

Seit 1996 finden die Konzerte auch in einem Zelt mit bis zu 2000 Plätzen statt.

Eine vor zwei Jahren durchgeführte Studie weist für den Anlass eine jährliche Wertschöpfung von 10 bis 12 Millionen Franken aus.

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