Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Umstrittene Integrationsbemühungen

Integrationskurse für junge Ausländer gibt es in mehreren Kantonen der Schweiz - hier eine solche in Basel. Keystone

Das Zürcher Stimmvolk entscheidet am 27. November, ob der Kanton für weitere drei Jahre Integrationskurse für jugendliche Fremdsprachige unterstützen soll.

Für die einen ist die Integration eine individuelle Frage, für die anderen eine Staatsaufgabe.

Es geht um jährlich 2,05 Millionen Franken – im Vergleich zum Jahres-Gesamtbudget des Kantons von 11 Milliarden Franken eine ziemlich unbedeutende Summe.

Wichtiger dagegen ist das politische Signal der Abstimmung: Ist die Integration ausländischer Jugendlicher eine persönliche Angelegenheit oder Sache des Staates?

Vor drei Jahren hatte das Zürcher Stimmvolk denkbar knapp den Kredit für die Kurse der Jahre 2003 bis 2005 gutgeheissen. Nachdem 2002 der Bund der Steuerzahler das Referendum gegen den Entscheid des Kantonsrates für die Integrationskurse ergriffen hatte, war es dieses Jahr die Schweizerische Volkspartei (SVP).

Seit über 20 Jahren eine Realität

Seit 25 Jahren werden im Kanton Zürich Integrationskurse angeboten. Sie richten sich an Fremdsprachige im Alter von 15 bis 20 Jahren, die neu und rechtmässig in der Schweiz leben und auch hier bleiben werden. Es sind vor allem junge Leute, die durch den Familiennachzug in die Schweiz kamen, oder jugendliche Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.

Die jährlichen Kurskosten pro Kopf belaufen sich auf 13’000 Franken.

Wo hört die Rolle des Staates auf?

“Diese Integrationskurse sind ein wichtiger Pfeiler unseres Systems. Es liegt im Interesse von uns allen, dass sich diese jungen Ausländer, die legal in der Schweiz leben, sozial und beruflich in unsere Gesellschaft integrieren können”, sagt Fiammetta Jahreiss, sozialdemokratische Abgeordnete im Zürcher Gemeinderat gegenüber swissinfo. Sie ist auch Leiterin der Fondazione Ecap Zürich, ein Berufs-, Weiterbildungs- und Forschungsinstitut der italienischen Gewerkschaft CGIL, das seit 1970 in der Schweiz aktiv ist.

Roger Liebi, SVP-Gemeinderat der Stadt Zürich, stellt den Nutzen der Kurse zwar nicht in Frage, hält aber fest, dass die Integration keine Aufgabe des Staates sei.

“Der Staat setzt die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die es Ausländern überhaupt ermöglichen, in die Schweiz zu kommen. Die Ausländer selbst müssen aber dafür sorgen, auch mit eigenen finanziellen Mitteln, dass sie Sprachkurse besuchen und sich beispielsweise über Vereine in das Gemeinwesen ihrer Wohngemeinde integrieren”, so Liebi zu swissinfo.

Gefährliche Perspektivenlosigkeit

Für Liebi ist es wichtig, dass Ausländer, die in die Schweiz kommen, “nicht von Beginn weg das System ausnützen und sich sozusagen im Lehnstuhl finanzielle Vorteile und Hilfe verschaffen”. Integration sei zudem Sache jedes Einzelnen.

“Im übrigen gilt das zum Beispiel auch für Deutschschweizer, welche in die französische Schweiz ziehen, also auch in eine teilweise andere Kultur mit fremder Sprache. Und Liebi weiter: “Haben Sie je gehört, dass in diesem Fall der Staat Zuschüsse und Kurse auf Kosten des Steuerzahlers gibt?”

Eine solche Haltung schliesse die Augen vor der Realität, sagt Fiammetta Jahreiss. “Ich glaube überhaupt nicht, dass die Ausländer in der Schweiz ihre Kinder nachkommen lassen, weil es da die Möglichkeit von Integrationskursen gibt.”

Eine der Aufgaben des Staates sei es, allen die Möglichkeit einer Grundschul-Ausbildung zu ermöglichen. “Wenn der Staat nichts täte, fänden sich diese Jugendlichen ohne Arbeit, fielen der Sozialhilfe zur Last oder schlimmer, würden in die Kriminalität abgleiten mangels Perspektiven”, so Jahreiss.

Investition statt Kostenfaktor

Ein Szenario, das den Steuerzahler wesentlich teurer zu stehen käme. Jugendliche, die von der Sozialhilfe abhängig sind, erhalten jährlich pro Kopf zwischen 7140 und 11’500 Franken. Dazu kommen die Kosten für eine mögliche Ausbildung und Miete. Und ein Heimplatz in einer Erziehungsanstalt würde sogar zwischen 100’000 und 200’000 Franken im Jahr kosten.

Für den SVP-Politiker Liebi handelt es sich nicht um eine unvernünftige Sparmassnahme. Es heisse immer wieder, das sei doch eine kleine Summe, da mache es doch keinen Sinn zu sparen. “Die Summe der kleinen Summen und die ohnehin immensen Ausgaben im Ausländerwesen führen aber doch unzweifelhaft dazu, dass Bund, Kantone und Gemeinden ihre Finanzen nicht mehr im Griff haben.”

Für Fiammetta Jahreiss dagegen entspricht die staatliche Unterstützung von Integrationskursen einer pragmatischen Politik. “Gerade weil diese Kurse fakultativ sind, nehmen daran motivierte Jugendliche teil mit dem Willen, sich in der Gesellschaft zu verpflichten und aufzuwachsen, in der sie leben. Es ist sicher besser, sich um die Jugendlichen zu kümmern als sie auf der Strasse zu lassen.”

swissinfo, Daniele Mariani
(Übersetzung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

An den Integrationskursen im Kanton Zürich nehmen jedes Jahr ca. 300 Jugendliche teil.

Erfahrungsgemäss findet ein grosser Teil der Teilnehmenden nach dem Jahreskurs einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.

Kurs-Jahreskosten pro Kopf: 13’000 Fr. Soviel kostet in etwa auch ein Mittelschüler.

Der Kanton bezahlt die Hälfte (ca. 2 Mio. Fr. pro Jahr), die Gemeinden 26%, der Bund 15%. Die restlichen 9% (1200 Fr. pro Person) müssen die Eltern bezahlen.

Die Zürcher Stimmberechtigten entscheiden am 27. November darüber, ob der Kanton Zürich für weitere drei Jahre Integrationskurse für jugendliche Fremdsprachige unterstützen wird. Es geht um jährlich 2,05 Millionen Franken.

Die Kurse sind fakultativ, dauern ein Jahr und konzentrieren sich vor allem auf das Erlernen der deutschen Sprache. Daran teilnehmen können Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren im Besitz einer Aufenthalts-Bewilligung, ebenso in die Heimat zurückgekehrte jugendliche Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.

Der Kredit für die Integrationskurse wird von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und dem Bund der Steuerzahler bekämpft.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft