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Verstimmung vor italienischem Staatsbesuch

Die Parlamentarier Enrico Nan und Giovanni Kessler wurden am 8. Mai in Lugano festgehalten. Keystone

Die vorübergehende Festnahme von italienischen Parlamentariern in Lugano hat vor dem Besuch von Staatspräsident Ciampi zu einer heftigen Kontroverse geführt.

Ministerpräsident Berlusconis Regierungspartei wirft der Schweiz vor, das Spiel der linken Opposition zu spielen.

Die beiden Parlamentarier und vier Begleitpersonen waren in Zusammenhang mit der mutmasslichen Schmiergeldaffäre “Telekom Serbia” auf der Suche nach Beweismaterial spontan ins Tessin gereist.

Den mitgekommenen Hauptzeugen, der Financier Igor Marini, liess die Bundesanwaltschaft verhaften. Ihm wird Geldwäsche vorgeworfen.

Gegen alle sechs Staatsangehörige wird wegen Verdachts auf verbotene Handlungen für einen fremden Staat ermittelt. Laut dem Sprecher der Bundesanwaltschaft, Hansjürg Mark Wiedmer, wird abgeklärt, ob die Schweizer Souveränität verletzt wurde. Für die Einsicht von Akten müsse ein Rechtshilfe-Ersuchen gestellt werden.

Nach eigenen Angaben hatte die Bundesanwaltschaft der italienischen Justiz schon vor der Festnahme mitgeteilt, dass eine Akteneinsicht nur über den Weg eines Rechtshilfe-Gesuchs möglich ist.

Dass die informelle Anfrage der italienischen Justiz wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Schmiergeldaffäre und der Aktensuche im Tessin stand, habe man erst nachträglich festgestellt, präzisierte Wiedmer einen Bericht der “SonntagsZeitung”.

In einem Interview mit der “SonntagsZeitung” sagte der Präsident der italienischen Untersuchungskommission, Enzo Trantino, dass er von einem vorgängigen Gespräch mit der Bundesanwaltschaft nichts gewusst hätte. Für ihn sei das Vorgehen seiner Delegation so oder so “technisch lupenrein”.

Schmiergeldaffäre

Bei den von der Tessiner Kantonspolizei vorübergehend festgehaltenen Parlamentariern handelte es sich um Enrico Nan von Ministerpräsident Silvio Berlusconis Partei Forza Italia und um den Linksdemokraten Giovanni Kessler.

Beide sind Mitglieder der Parlamentarischen Untersuchungs-Kommission (PUK), die die angeblichen Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit der Beteiligung von Telecom Italia an Telekom Serbia abklären soll. Sie sind inzwischen wieder nach Italien zurückgekehrt.

Der Fall ist brisant, weil die Empfänger der Schmiergelder bei dem Deal von 1997 hochrangige Politiker der damaligen Mitte-Links-Regierung gewesen sein sollen.

Top-Politiker betroffen

Darunter der frühere Aussenminister Lamberto Dini, der frühere Regierungschef und heutige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi sowie Oppositionsführer Piero Fassino.

Die Beschuldigten haben die Vorwürfe als haltlos zurückgewiesen. Doch der umstrittene Hauptzeuge und Financier Igor Marini behauptete vor der PUK, stichhaltige Beweise für die Bestechungsthese liefern zu können.

Die entsprechenden Dokumente lägen in Schachteln auf dem Konkursamt von Lugano. Diese würde zum Nachlass des verstorbenen Notars Gianluca Boscaro gehören und dort verwahrt werden.

Spontan angereist

Anlass genug für die italienische PUK-Delegation, am Donnerstag spontan ins Tessin zu reisen. Die Delegation konnte allerdings nicht nur keine Dokumente auf dem Konkursamt einsehen, sondern sah sich beim Verlassen des Amtes auch mit den hiesigen Behörden konfrontiert.

Die Italiener wurden vorübergehend im Justizgebäude von sechs Tessiner Staatsanwälten einvernommen. Sie hätten ein Rechtshilfegesuch einreichen müssen. Marini gelangte sogar in Untersuchungshaft, weil er sich ja selber beschuldigt hatte, Geld zum Zwecke der Schmiergeldzahlungen über die Schweiz gewaschen zu haben.

Ungünstig kurz vor dem hohen Besuch

Der Vorfall ereignet sich nur wenige Tage vor dem offiziellen Besuch des italienischen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi in der Schweiz am 14./15. Mai.

Von Schweizer Seite versuchte man deshalb, den Zwischenfall herunter zu spielen. Die Affäre werfe keinerlei Schatten auf die traditionell guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien, sagte der Schweizer Botschafter in Rom, Alexis Lautenberg, gegenüber Radio RSI.

Auch der italienische Aussenminister, Franco Frattini, stellte einen diplomatischen Streit mit der Schweiz in Abrede. “Es gibt keinerlei diplomatischen Streit mit der Schweiz”, sagte Frattini laut italienischen Medienberichten vom Samstag.

Der Tessiner Generalstaatsanwalt Bruno Balestra erklärte seinerseits, die Autoren der Vorwürfe disqualifizierten sich mit ihren Aussagen selber. Ansonsten wollte er keine Stellung nehmen, da der Fall in der Kompetenz der Bundesanwaltschaft liege.

Über die Verstimmung zwischen der Schweiz und der italienischen Regierungspartei hinaus spiegelt die Affäre die angespannte politische Lage zwischen Regierung und Opposition in Italien wieder.

swissinfo, Gerhard Lob

Eine Erkundungsmission italienischer Parlamentarier im Tessin endete am Donnerstag mit einem Eklat. Sie wurden vorübergehend von der Staatsanwaltschaft festgehalten. Ein Mitglied der Delegation, der Financeir Igor Marini, wurde sogar in Untersuchshaft gesetzt. Ihm wird Geldwäscherei vorgeworfen.

Gegen die anderen Teilnehmer wird wegen “verbotenen Handlungen für einen fremden Staat” (StGB Art. 271) ermittelt. Laut der Schweiz hätte Italien ein Rechtshilfegesuch stellen müssen. Der Vorfall hat die politischen Auseinandersetzungen in Italien verschärft.

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