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Viktor Röthlin, ein Schweizer Sieger in Peking?

Keystone

An den Olympischen Spielen in Peking ist er eine der raren Schweizer Medaillenhoffnungen: Der Marathonläufer Viktor Röthlin. Bremsen kann ihn eigentlich nur ein Gegner: die schlechte Luft.

Als Viktor Röthlin am 17. Februar 2008 am Tokio-Marathon nach 42,195 Kilometern die Ziellinie überquert, hat er nicht nur einen der bedeutendsten Stadtmarathons gewonnen, sondern mit 2:07.23 Stunden eine wahre Fabelzeit auf den Asphalt gelegt.

Mit der zweitbesten je von einem Europäer gelaufenen Zeit zeigte der Obwaldner seinen Konkurrenten vorab aus Afrika und Asien, dass er bei der Medaillenvergabe im Olympiamarathon ein gewichtiges Wort mitreden will.

Der Lauf Röthlins – Lauf steht in der Sportwelt auch für eine eindrückliche Erfolgsserie – dauert schon sieben Jahre. 2001 ritzte er erstmals an der im Marathon magischen 2:10er-Mauer, die er 2004 unterbot. Zwei Jahre später der endgültige Durchbruch: EM-Silber 2006 in Göteborg, dem er im letzten Jahr die Bronzemedaille an der WM in Osaka folgen liess.

Karrierehöhepunkt

Der Olympiamarathon am 24. August soll jetzt zum Lauf seines Lebens werden. Denn mit 33 Jahren ist Röthlin auf dem Zenit. Nach Sidney und Athen wird Peking sein letzter Olympia-Marathon.

“Ich versuche immer, das perfekte Rennen zu laufen, der Rest ergibt sich von selbst. Aber nach EM-Silber und WM-Bronze und dem Sieg in Tokio in dieser fantastischen Zeit muss die Medaille ein Ziel sein”, sagt er gegenüber swissinfo.

Umso mehr, weil Asien für den gelernten Physiotherapeuten ein gutes Pflaster ist. “Die positiven Bilder, die ich von meinen beiden grossen Erfolgen in Japan mitnehme, werden mir sicher in Peking helfen”, ist er überzeugt.

Stark im Kopf

Dieser mentale Rückenwind kann tatsächlich die Differenz zugunsten Röthlins ausmachen: Er ist bekannt dafür, hervorragend mit Druck umzugehen und am Tag X einen Exploit zu landen. Denn ein Marathon an einer grossen Meisterschaft ist im Kopf ganz anders zu Laufen als ein Stadtmarathon, wo für die Schnellsten fette Prämien auf der Strasse liegen.

Mit seinem Tokio-Sieg wurde Röthlin im marathonverrückten Japan zum Volkshelden. “Es ist gewaltig, was die Menschen für einen empfinden, ich konnte kaum mehr alleine auf die Strasse”, schwelgt er noch immer in den Emotionen.

Am Flughafen vor dem Rückflug in die Schweiz wurde er an allen Schaltern und Warteschlangen vorbei durchgewunken. Nicht etwa in die Zonen der Business- oder First Class, “sondern eine Klasse darüber, es war fast schon unheimlich”, strahlt er.

Wäre Röthlin Japaner, hätte er für den Rest seines Lebens ausgesorgt. Obwohl er über die Marathonstrecken der Welt fliegt, hat er die Bodenhaftung nicht verloren. Angesichts des Rummels sei er aber dennoch froh gewesen, als er wieder in der “beschaulicheren Heimat” angekommen sei.

Favoriten fehlen

Röthlin kommt zudem zu Gut, dass in Peking mit dem Äthiopier Haile Gebreselassie und den Kenianern Paul Tergat und Martin Lel drei ganz heisse Favoriten nicht dabei sein werden. Der Schweizer will sich aber nicht auf andere konzentrieren, sondern erst am 24. August schauen, wer neben ihm auf der Startlinie steht.

Denn auch ohne die grossen Drei ist die Konkurrenz gross. Rund 20 Läufer liefen auf seinem Niveau oder besser, schätzt Röthlin. Medaillen gäbe es aber nur für drei. “Am Schluss werden also 17 mit traurigen Gesichtern dastehen. Aber ich hoffe, dass ich nicht zu ihnen gehöre.”

Wie reagiert die Lunge?

In Peking lauern den Athleten aber nicht nur die Unwägbarkeiten von 42 langen Kilometern auf, sondern es wartet auch noch ein besonders unangenehmer Gegner: Die enorm dreckige Luft. Wie seine Gegner weiss auch Röthlin nicht, wie sich der hohe Schadstoffgehalt im Verbund mit der herrschenden Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit auf die Leistungsfähigkeit auswirken wird.

Mit einer frühzeitigen Anreise nach China will er seinen Körper an Hitze und Feuchtigkeit anpassen. Bleibt der Smog als grosses Fragezeichen, denn daran kann sich ein Körper nicht anpassen. Einmal mehr besinnt sich der Schweizer deshalb auf seine mentale Stärke. “Wenn ich mich schon Wochen vor dem Tag X in die Höhle des Löwen begebe, kann das ein Vorteil im Kopf sein”, ist er überzeugt.

Wo liegen die Grenzen?

Der letzte Olympiamarathon wird beileibe nicht sein letzter Lauf über die klassische Distanz. Denn nach dem jahrelangen Aufwärtstrend ist noch immer nicht klar, wo seine Grenzen liegen. Zeiten mag der “weisse Kenianer” – Röthlin trainiert sehr viel im afrikanischen Land mit der grossen Langstrecken-Tradition – keine nennen. Denn diese würden allzu schnell zu einer Grenze im Kopf. “Wenn ich mir immer wiederhole, 2:06 ist möglich, werde ich sicher 2:06 laufen, aber nicht schneller.”

Was lockt Viktor Röthlin mehr: Eine 2:06er-Zeit oder eine Medaille in Peking? “Olympia als grösster Sportevent der Welt ist für einen Sportler das höchste aller Gefühle. Eine olympische Medaille würde mir sehr viel bedeuten”, sagt er.

Kann Röthlin seinen Lauf, den er im Kopf hat, tatsächlich auf den Pekinger Asphalt zaubern, wäre er nicht nur im fernen Japan ein Volksheld, sondern auch in der beschaulicheren Heimat.

swissinfo, Renat Künzi

Marathonläufer Viktor Röthlin ist der erfolgreichste Schweizer Leichtathlet der Gegenwart.

Mit seinem Schweizer Rekord von 2:07:23 (Februar 2008) ist er der zweitbeste Europäer aller Zeiten über die 42,195 Kilometer.

2007 gewann er im WM-Marathon in Osaka nach packendem Finish die Bronzemedaille.

Im Jahr davor erlief er sich an der EM in Göteborg hinter Olympiasieger Stefano Baldini aus Italien die Silbermedaille.

2004 unterbot er mit 2:09:55 als erster Schweizer die magische Marke von 2 Stunden 10 Minuten.

2001 machte er beim Berlin-Marathon als Achter mit 2:10:54 erstmals international auf sich aufmerksam.

Acht der zehn besten Zeiten von Schweizer Marathonläufern gehen auf das Konto Röthlins.

Peking stellt die Athleten vor besondere klimatische Herausforderungen: Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit und Schadstoffbelastung. Es drohen insbesondere Durchfall und Atemwegerkrankungen.

Swiss Olympic (SO) hat deshalb für die Schweizer Athleten den Leitfaden “heat.smog.jetlag” verfasst.

Damit sollen sich die Sportler optimal auf die Verhältnisse vorbereiten können.

Einige SO-Massnahmen führten aber zu Kritik. So Asthma-Tests im Vorfeld für alle Athleten.

Ebenso die empfohlene Einnahme von Nahrungsmittelzusätzen (Kreatin) und Medikamenten (Melatonin, gegen Jetlag; Salbutamol, gegen Atembeschwerden).

Damit operierten die Schweizer Verbandsärzte in einem Graubereich zum Doping, kritisierten einzelne Athleten.

Zu den Olympischen Spielen vom 8. bis 24. August 2008 in Peking bringt swissinfo News, Porträts der Schweizer Stars, Interviews und Hintergründe über und aus China.

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