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Junge Schweizer: Geld allein macht nicht glücklich

Im letzten Jahr lebten in der Schweiz über eine Million junge Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Keystone

Sie sind zwischen 16- und 25-jährig und die Techniker, Verkäufer, Ärzte, Arbeiter, Politiker oder Künstler von morgen. Sie vertrauen in die Zukunft, aber haben den Pragmatismus auf ihrer Haut tätowiert. Stellen sie sich ein besseres Leben als dasjenige ihrer Eltern vor?

In Bern scheint die Sonne. Es ist Mittagszeit, und auf dem Rasen der Grossen Schanze hinter dem Bundeshaus treffen sich Jugendliche zum improvisierten Picknick. Geplauder und Gelächter vereinigen sich zu einem einzigen Gemurmel. Die Terrassen der Restaurants sind vollgestopft. Für Jugendliche unter 25 sind sie ein noch unerreichbares Privileg.

“Wenn du jung bist, entschlüpft dir das Geld wie ein lebender Fisch durch die Finger”, scherzt Gerber, ein 18-jähriger Uhrmacher-Lehrling aus Basel. “Ich möchte von zu Hause ausziehen, da ich zu meinen Eltern keine gute Beziehung habe. Doch ich brauche 1000 Franken mehr pro Monat, damit ich unabhängig sein kann”, fügt er hinzu.

Laut seiner Rechnung wären 1800 Franken pro Monat genug, um mit seiner Freundin und einem Freund eine Wohnung zu teilen. Er weiss, dass er weder dieses noch im kommenden Jahr soviel verdienen wird und denkt an einen extremen Entscheid: “Mich verschulden… So könnte ich ausziehen.”

Mit beiden Beinen auf der Erde stehen

Laut den Angaben des Bundesamtes für Statistik (2013) sind 1,1 Mio. Einwohner zwischen 16- und 25-jährig. Und laut dem von der Grossbank Crédit SuisseExterner Link und dem Meinungsforschungsinstitut gfs.bernExterner Link erarbeiteten Jugendbarometer 2013Externer Link haben fast 7 von 10 Jugendlichen volles Vertrauen in die Zukunft.

Auf der anderen Seite des Atlantiks träumen die neuen Generationen noch immer den “amerikanischen Traum”. Sie wollen die Steve Jobs’ des 21. Jahrhunderts werden und sind bereit, dafür ihre Haut herzugeben. In der Schweiz sind die Jugendlichen realistischer; für acht von zehn Befragten ist das Gleichgewicht zwischen Leben und Arbeit vorrangig.

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Der Politologe Lukas Golder vom Institut gfs.bern erläutert dazu: ” Unsere Gesellschaft bietet einen hohen Grad an Sicherheit sowie ein Umfeld, in welchem die Schweizer ihre individuellen Träume verwirklichen und gleichzeitig wirtschaftlichen Wohlstand erreichen können. Sie wissen, dass sie dies problemlos schaffen, wenn sie studieren. Und es ist ihnen klar, dass man nicht Millionen verdienen muss, um gut zu leben. Deshalb versuchen sie nicht, unerreichbare Ziele zu verfolgen. Das ist zwar positiv, hat aber zur Folge, dass es in der Schweiz weniger Unternehmer und Draufgänger als in anderen Ländern gibt.”

Schweizer Ausbildungssystem

Die obligatorische Schulausbildung besteht aus sechs Jahren Primar- oder Grundschule und drei Jahren Sekundarschule. Das Ziel ist eine allgemeine Bildung in Sprachen, Mathematik, Geschichte und Geografie.

Der zweite nicht obligatorische Zyklus unterteilt sich in berufliche und akademische Ausbildung und wird von 90% der Jugendlichen absolviert.

7 von 10 Jugendlichen entscheiden sich für eine Lehrstelle, die Schule mit der Arbeit in einem Betrieb kombiniert. Die übrigen besuchen das Gymnasium und schliessen mit der Matura ab, die ihnen den Zugang an eine Universität ermöglicht.

Corinne, eine 24-jährige Medizinstudentin aus Lausanne und zukünftige Ärztin, meint: “Die jungen Schweizer sind pragmatisch, sie wollen Geld verdienen und unabhängig sein. Einige wählen ein langes Studium, andere eine kürzere Lehre. Doch allen ist klar, dass Ausbildung wichtig ist. Ich selbst kenne nur wenige, die einen Künstlerberuf gewählt haben. Vielleicht gibt es nicht viele Träumer… zumindest nicht in meinem Bekanntenkreis.”

Golder schreibt den Optimismus der Jugendlichen den Vorteilen des dualen Ausbildungssystems zu, das “17- oder 18-jährigen Schülern ermöglicht, eine Lehrstelle zu finden und mit etwas über 20 bereits eine relativ komfortable Stelle zu haben”. Ihr Vertrauen hat aber auch damit zu tun, dass die letzte Weltwirtschaftskrise zwar die Banken und Unternehmen des Landes traf, “jedoch kaum die Jugendlichen”.

Francesca Poglia MiletiExterner Link, Professorin an der Universität Freiburg, die zur Zeit an einer Studie über die Beziehung von Jugendlichen zum Geld arbeitet, ist etwas anderer Meinung: “Sicher kann man nicht sagen, dass die Schweiz von einer grossen Wirtschaftskrise betroffen ist, doch heute ist es vor allem für Jugendliche mit wenig Ausbildung schwieriger, eine Arbeitsstelle zu finden.”

Über die Runden kommen

Unabhängig von ihrem späteren Beruf lernt der Grossteil der Schweizer Jugendlichen von klein auf, mit Geld umzugehen.

“Schon als Kinder bekommen sie von den Eltern ein monatliches Taschengeld und entscheiden, wie sie es ausgeben wollen. Wenn sie etwas Teureres kaufen wollen, müssen sie gut überlegen, bevor sie es für Süssigkeiten ausgeben. So lernen sie sparen. Ich finde es eine sehr gute Idee, ihnen beizubringen, wie man Geld verwaltet”, meint der 25-jährige Zürcher Stefan. Er arbeitet an einem Forschungsinstitut, doch seine Leidenschaft ist die Politik. Er ist aktives Mitglied der Site Jugendsession.

Während des ersten Lehrlingsjahres verdienen 16- bis 17-jährige Jugendliche monatlich zwischen 500 und 800 Franken. Sehr wahrscheinlich gehen zwei Drittel für die Krankenkasse und den Unterhalt weg.

Schulden… Nein, danke!

Laut dem Jugendbarometer haben nur 4% der jungen Schweizer irgendeinen laufenden Kredit. In den USA und Brasilien sind es sechsmal mehr.

“Von ihrer Kultur her sind die Schweizer ans Sparen gewöhnt. Die Familien passen ihr Budget an. Die Eltern verschulden sich nicht wie in den USA, um die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren”, erläutert Lukas Golder vom Institut gfs.bern.

Vier der fünf von swissinfo.ch befragten Jugendlichen sind dagegen, Kredite aufzunehmen, und schon gar nicht, um ein Auto oder Technologie zu kaufen.

Francesco Poglia bestätigt, dass das Schweizer Umfeld der Verschuldung als Konsumpraxis nicht förderlich ist, fügt aber hinzu, dass Jugendliche ausländischer Abstammung sich eher verschulden, da sie oft eine schlechtere Ausbildung haben und weniger verdienen.

“Mir scheint es richtig, dass Kinder und Jugendliche Verantwortung übernehmen. Du musst dir bewusst sein, dass jemand das Geld, das du ausgibst, verdient hat. Alles kostet… die Wohnung, das Essen. Während der Lehre wirst du sicher nicht deinen ganzen Lohn, aber immerhin einen Teil deinen Eltern abgeben”, sagt die 20-jährige Lisa aus Bern.

Sie hat eine Teilzeitstelle in einer Fast-Food-Kette und bereitet sich in einem Kurs für die Matura vor. Zwar weiss sie noch nicht, welchen Beruf sie später ausüben wird, doch wirtschaftlich ist sie bereits unabhängig. Mit zwei anderen Jugendlichen mietet sie eine Wohnung und weiss, dass sie überflüssige Ausgaben vermeiden muss, um über die Runden zu kommen.

“Ich finde es sehr gut, dass die Eltern streng sind und die Kinder zum Haushaltsbudget beitragen müssen”, meint auch Olivia. Die 20-jährige Bernerin lebt bei ihren Eltern, aber bezahlt ihr Mobiltelefon, das Abonnement für den öffentlichen Verkehr und zahlt einen Teil an das Familienbudget. Sie arbeitet bei den Schweizerischen Bundesbahnen SBB und will die Matura machen, um an einer Fachhochschule “Sprachen, Betriebswirtschaft oder Marketing” zu studieren.

Glauben junge Schweizer, dass sie ein besseres Leben haben werden als ihre Eltern? Zumindest die Interviewten sind überzeugt, dass sie dazu alle Mittel in der Hand haben.

Ist dem nicht so, dann gibt es immer eine Lösung: “Man muss einfach die Ausgaben runterschrauben. Wer 8000 Franken verdient, kann vielleicht mehr Ferien machen oder sich mehr Luxus leisten als jemand, der 6000 Franken verdient. Doch man verliert nichts wirklich Wesentliches. In diesem Leben macht Geld allein noch längst nicht glücklich”, betont Stefan.

(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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