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Wie eine Schatz-Truhe

Zeugen einer grossen Leidenschaft

In Bürglen, seinem “Geburtsort”, ist Wilhelm Tell allgegenwärtig. Neben der Strasse auf den Klausenpass ist er mit seinem Sohn und dem von einem Pfeil durchbohrten Apfel in einer barocken Statue verewigt.

Die Züge sind zwar etwas grob, aber in Bürglen schätzt man das Denkmal. Das Dorf hat es vor gut hundert Jahren geerbt, als Altdorf eine neue, elegantere Bronzestatue erhielt.

Ein paar Schritte weiter der Kirchturm mit der Darstellung des Helden in einer Freske. Daneben eine kleine Kapelle aus dem 16. Jahrhundert. Sie steht da, wo der Sage nach das Haus der Familie Tell gestanden hat.

Unweit davon kommen wir zum Museum Wilhelm Tell. Dort erwartet uns Thomas Christen. Der pensionierte Gemeindeverwalter begeistert sich für alles, was mit seinem berühmten Mitbürger zu tun hat.

“Das Museum wird von einem Freiwilligenverein geleitet”, sagt er uns gleich zu Beginn. “Ich habe selber das Gründungsprotokoll geschrieben, 1966.”



Seither sind die Spenden geflossen, die Schatztruhe hat sich gefüllt. Heute ist so viel da, dass die Hälfte der geschenkten Objekte im Keller verstaut werden muss.

Auf den drei weiteren Stockwerken sehen wir alle möglichen Objekte in Vitrinen und an Wänden. Am Erstaunlichsten ist sicher ein französisches Bild aus dem 17. Jahrhundert, auf dem Tell mit maurischen Zügen dargestellt ist.

Der Held kommt auch auf einem ungarischen Kartenspiel vor, auf Frauenschuhen einer mysteriösen deutschen Firma namens Tell, einem alten Aschenbecher usw.

Aber das Museum zeigt auch Dokumente: Mehrere Chroniken zur Schweizer Geschichte, die Originalpartitur von Rossini, Zeichnungen und Bilderserien.

Die Illusion ist perfekt. Auf drei Stockwerken sind gut hundert Objekte ausgestellt. Eine Art Mausoleum für den Schweizer Nationalhelden.

Vielleicht hat er ja doch gelebt …

Thomas Christen kennt alle Details, dramaturgischen und literarischen Varianten der Sage. Auf einem Bild zum Beispiel sieht man, wie Tell ertrinkt, als er versucht, ein Kind zu retten.

Auch Bierflaschenetiketten mit Tell gibt es, gleich neben einigen kostbaren Skizzen von Kostümen der Erstaufführung von Schillers Stück in Weimar, 1804.

“Ich bin nur der Museumssekretär”, bemerkt unser Führer bescheiden. Aber Christen interessiert sich leidenschaftlich für jedes Objekt, und seine Kenntnisse zu diesem Thema scheinen unbegrenzt.

Den Besucher, den Kopf voller Informationen, beschleichen nun leise Zweifel. Vielleicht hat Wilhelm Tell ja wirklich gelebt?

“Darauf habe ich keine eindeutige Antwort. Sicher ist aber, dass sich im Verlauf der Jahrhunderte viele Leute für ihn interessiert haben. Grosse Werke und kleine Objekte sind aus dem Mythos entstanden. Das zeigen wir in unserem Museum.”

swissinfo, Daniele Papacella und Alexandra Richard, Bürglen
(Übertragen aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Bürglen, am Tor zum Schächental, das zum Klausenpass führt, ist laut mündlicher Überlieferung der Geburtsort von Wilhelm Tell.

Gleich neben der Dorfkirche wurde zu seinem Gedenken bereits 1582 eine Kapelle gebaut.

1966 wurde auch ein kleines Museum eröffnet, das dem Urner Helden gewidmet ist. Es ist die reinste Schatztruhe und enthält alle möglichen Objekte, die von Tell erzählen, ohne allerdings den Anspruch zu erheben, die historische Wahrheit über dessen Person zu enthüllen.

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