Schweiz hofft auf Vermittler-Rolle im Ukraine-Krieg
Die Schweiz hält sich mit Sanktionen zurück, um ihre Guten Dienste nicht zu gefährden. Wir haben mit einem Friedensexperten über ein mögliches Engagement der Schweiz gesprochen.
Markus Heiniger war während vieler Jahre in der Friedenspolitik des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) tätig. Wir haben mit ihm über die Rolle der Schweiz im Ukraine-Konflikt gesprochen.
swissinfo.ch: Die Schweiz begründet den Verzicht auf umfassende Sanktionen mit den Guten Diensten.
Markus Heiniger: Wenn sich die Schweiz wegen der Möglichkeit von Vermittlungen nicht so stark an den Sanktionen beteiligt, dann ist das nicht im Sinne und Geist von dem, was man bisher unter Friedensförderung aufgebaut hat. Auch als Vermittlerin muss man den eigenen Werten und Prinzipien treu bleiben.
Das Argument «Wir können demnächst vielleicht vermitteln, deshalb sind wir gegenüber Russland sanfter als andere» überzeugt mich nicht. Auch wenn sich die Schweiz klar positioniert hat, kommt sie als Vermittlerin trotzdem zum Zug, wenn sie etwas anzubieten hat. Das schweizerische Aussendepartement ist gut positioniert, denn die Schweiz kennt sich in diesem Konflikt aus und ist gut vernetzt.
Die Schweizer Botschaft in Kiew wird wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine teilweise evakuiert. Sie bleibt aber weiter operativ tätig. Fast alle europäischen Länder haben ihr Personal abgezogen.
Am Freitag sagte Bundespräsident Ignazio Cassis vor den Medien, der Bundesrat müsse in dieser schwierigen Situation aufgrund der rechtlichen und politischen Neutralität handeln. Die Neutralität bedeute keineswegs Gleichgültigkeit, verpflichte aber in Bezug auf Sanktionen zu einer differenzierteren Position. Die Positionierung der Schweiz hat laut Cassis vor allem ein Ziel: Die Türen offen zu halten. «Damit wir das tun können, was die meisten anderen Staaten nicht mehr tun können: Kanäle offen zu halten zwischen Ländern, die keine diplomatischen Beziehungen mehr führen», so der Bundespräsident. Diesen Mehrwert könne die Schweiz erbringen. «Wollen wir in einer solchen Krise einen substanziellen Beitrag zu einer friedlichen Lösung leisten, so müssen wir uns auf unser Prinzip des Dialogs stützen.» Darin sei die Schweiz stark.
Russland hat die Ukraine militärisch angegriffen, das Minsker Friedensabkommen ist für Putin «erledigt». Eine Niederlage für die Schweizer Friedensvermittlung?
Das kann man pauschal so nicht sagen. Hier waren die Grossen am Werk, da kann die Schweiz allein nichts ausrichten.
Im Moment der höchsten Eskalation kann man in diesem Geschäft nicht viel machen. Aber vielleicht schon in zwei oder drei Wochen, wenn es neue Rahmenbedingungen gibt, kann die Schweiz allenfalls gewisse Kontakt- und Vermittlungsversuche auf der mittleren Ebene leisten. Diesbezüglich wäre ich gar nicht so pessimistisch.
Mehr
Wie muss man sich solche neuen Rahmenbedingungen vorstellen: Wenn Russland die ukrainische Regierung gestürzt oder das Land militärisch besiegt hat, kann dann die Schweiz als Vermittlerin auf die Bühne treten?
Eine Prognose ist schwierig, ich will nicht spekulieren. Klar ist aber in allen Konfliktfällen: Ein militärischer Sieg ist für einen Friedensprozess natürlich eine Katastrophe, weil er nicht alle Anliegen unter einen Hut bringt. Ein militärischer Sieg schliesst gewisse Bevölkerungsgruppen aus. Und das schafft neue Probleme, die vielleicht 50 Jahre später zu neuen Eskalationstreibern werden können.
Studie: 30 Jahre Friedensengagement im EDA 1990–2020
Wenn es einen zweiten Kalten Krieg zwischen dem Westen einerseits und Russland sowie China andererseits gibt: Muss die Schweiz zurück zu einer stillen Aussenpolitik und einem Alleingang, so wie im ersten Kalten Krieg?
Ich bin nicht für die Abschaffung der Neutralität. Dass die Schweiz sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen beteiligt, das ist gut. Im Falle Russlands mit der Ukraine jedoch, da gibt es keine Neutralität mehr, da muss man klar sagen: Das ist ein Bruch des Völkerrechts. So machen es auch andere neutrale Staaten.
Konkret zu Ihrer Frage: Die Sicherheit der Schweiz ist gerade so gut gewährleistet, wenn sie an möglichst vielen Orten aktiv mitarbeitet. Das ist der Unterschied zum früheren Kalten Krieg, als man den Alleingang praktiziert hat. Es ist gut, wenn man alle kennt und zu allen Kontakte pflegt. Das nützt der Sicherheit am meisten.
Markus Heiniger arbeitete 2002 bis 2017 für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), unter anderem war er stellvertretender Leiter der Sektion Friedenspolitik und der damaligen Politischen Abteilung 4 (heute Frieden und Menschenrechte). Drei Jahre war er Special Advisor für Peacebuilding des EDA in Nepal. Zuletzt arbeitete er für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA in Bern. In dieser Funktion erstellte er eine StudieExterner Link über das Friedensengagement des EDA seit 1990, die 2017 abgeschlossen wurde.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch