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10 Jahre nach Fukushima: Geht es in Zukunft ohne Atomstrom?

Frau in Schutzkleidung
Shimo-Tsushima, Sperrzone Namie, im September 2017: Eine Überlebende der Katastrophe, welche die Region Fukushima am 11. März 2011 traf. Keystone / Christian Aslund/greenpeace Hand

Der Atomunfall in Fukushima vor zehn Jahren, am 11. März 2011, war der Anfang vom Ende des Atomstroms in der Schweiz. Andere Länder haben dagegen beschlossen, in diese Energiequelle zu investieren, von der einige glauben, dass sie zur Bekämpfung der Klimaerwärmung notwendig ist.

Fukushima sei weit weg von der Schweiz, und Japan ein Land, das solche Ereignisse ernst nehme und darauf professionell reagiere. Das war die erste Reaktion der damaligen Schweizer Energieministerin Doris Leuthard auf die schlimmste Atomkatastrophe seit Tschernobyl, die sich heute zum zehnten Mal jährt.

Erst später sei ihr klar geworden, wie schwer der Unfall war und dass er Auswirkungen über die Grenzen Japans hinaus haben würde, erinnert sich Leuthard in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Interview mit der  französischsprachigen Tageszeitung Le Temps.

Radioaktive Emissionen, die durch den Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima im Jahr 2011 verursacht wurden, hatten laut einem am Dienstag veröffentlichten Abschlussbericht eines Forscherkomitees der Vereinten Nationen keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der dortigen Bevölkerung. Die Studie bestätigt im Wesentlichen einen früheren Bericht aus dem Jahr 2013.

Laut dem Wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEARExterner Link) ist der starke Anstieg der Fälle von Schilddrüsenkrebs bei exponierten Kindern auf eine verbesserte Screening-Technik zurückzuführen, die “die Prävalenz von zuvor unentdeckten Anomalien” aufdeckte.

Greenpeace sagt seinerseits, dass 85% des Dekontaminationsbereichs immer noch kontaminiert seien. Die Umweltorganisation wirft den seit dem Unfall an der Macht gewesenen Regierungen in Japan vor, die Bevölkerung in die Irre geführt zu haben, indem sie die Wirksamkeit des Dekontaminationsprogramms glorifiziert und die radiologischen Risiken ignoriert hätten.

Am 14. März 2011, drei Tage nach dem Fukushima-Unfall, wurden die Gesuche für den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz sistiert. Zwei Monate später beschloss die Landesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft.

Das Schweizer Volk bestätigte diesen Entscheid im Mai 2017, als die neue Energiestrategie 2050 – die neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch die längerfristige Stilllegung der Kernkraftwerke vorsieht – von fast sechs von zehn Stimmberechtigten angenommen wurde.

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Die anderen vier Kernkraftwerke, darunter Beznau 1 und 2, zwei der ältesten Reaktoren der Welt, werden voraussichtlich auch in den kommenden Jahren Strom liefern, solange sie vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) als sicher eingestuft werden. Laut dem aktuellen World Nuclear Industry Status ReportExterner Link haben die Schweizer Kernkraftwerke ein Durchschnittsalter von 44,8 Jahren. Damit sind die Schweizer Anlagen deutlich älter als der globale Durchschnittsreaktor, der 30,7 Jahre alt ist.

Im Jahr 2019 machte die Atomkraft in der Schweiz rund 20% des Strommixes aus – was fast doppelt so viel ist wie im weltweiten Durchschnitt.

Weltweit produzieren noch 443 Reaktoren

Neben der Schweiz haben nach Fukushima auch Deutschland, Spanien und Belgien den Atomausstieg beschlossen; und Italien hat sich gegen den Wiedereinstieg entschieden. Einige Länder haben sich aber trotz der Katastrophe für den Weg in die Kernenergie beschritten.

Dazu gehören die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Belarus und Bangladesch. Fast die Hälfte der neuen Reaktoren, die im Zeitraum von 2011 bis 2020 weltweit gebaut wurden, stehen in China, berichtet die Nachrichtenagentur Keystone-ATS.

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Weltweit sind derzeit 443 Reaktoren in Betrieb (429 waren es Ende 2010). Die USA, Frankreich und China sind die Länder mit der höchsten Anzahl an Anlagen.

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Retterin des Klimas?

Der Atomenergie machen nicht nur Fragen der Sicherheit und des radioaktiven Abfalls zu schaffen. Sie steht auch im Wettbewerb mit den immer billigeren erneuerbaren Energien. Seit 2009 sind die Kosten für Wind- und Solarenergie um 70 respektive 89%Externer Link gesunken, während die Kosten für Atomstrom um 33% gestiegen sind.

Dennoch stösst die Kernkraft weiterhin auf Interesse. Ihre Befürworter betonen gerne, wie wenig CO2-Emissionen sie verursache. Anders als Wind und Sonne könne sie zudem je nach Bedarf genutzt werden.

Fatih Birol, Generaldirektor der Internationalen Energieagentur, argumentiert, dass die Kernkraft ein integraler Bestandteil der Energiewende sei. Ebenso Bill Gates, der mit seiner Firma Terrapower den Bau von Hunderten von Mini-Kernkraftwerken der vierten Generation plant. Diese würden mit flüssigem Natrium gekühlt und integrierten erneuerbare Energieerzeugung.

Angesichts der enormen Speicherkapazitäten, die für den Ausbau der erneuerbaren Energien benötigt werden, und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Rohstoffen wie Kobalt und Lithium, werde man die Atomenergie nicht so bald aufgeben, sagt Michael Prasser, Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und Experte für Kernenergie. Die Idee von Bill Gates sei gut, meint Prasser, auch wenn selbst diese Lösung radioaktiven Abfall produziere.

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