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Marco Sieber: Nach Claude Nicollier der zweite Schweizer im All?

Marco Sieber im Astronauten-Trainingsanzug vor einem 1:1 Modell eines ISS-Moduls
Der bald 34-jährige Berner Marco Sieber wurde im November 2022 von der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA für den aktuellen Astronauten-Lehrgang ausgewählt. Keystone / Rolf Vennenbernd

Sie fliegen vielleicht schon bald auf die Internationale Raumstation ISS. Nach einem Monat Training stellte die Europäische Raumfahrtbehörde ESA die fünf auserwählten Astronautinnen und Astronauten des neusten Jahrgangs vor. Darunter Marco Sieber, nach Claude Nicollier erst der zweite Astronaut der Schweiz. Wir sprachen mit ihm im Ausbildungszentrum in Köln.

Marco Sieber aus Kirchberg, Kanton Bern, ist Mediziner und schaffte erst als zweiter Schweizer die Aufnahme ins prestigeträchtige Ausbildungsprogramm der ESA.

Die zwei angehenden Astronautinnen und drei Astronauten seines Kurses werden höchstwahrscheinlich in einigen Jahren – nicht gemeinsam – zur Internationalen Raumstation ISS fliegen.

SWI swissinfo.ch: Wie ist der erste Monat der Ausbildung verlaufen? Haben Sie bereits einige Anekdoten erlebt?

Marco Sieber: Es war eine sehr spannende Zeit bisher. Das Training hat begonnen. Wir hatten bereits sehr viele interessante Lektionen und Sport. Aber eine Anekdote gibt es bisher noch nicht.

Von 22’500 Anwärterinnen und Anwärter sind jetzt fünf Personen in der Ausbildung. Wie haben Sie sich auf die Bewerbung vorbereitet?

Das Wichtigste war das Bewerbungsschreiben, das musste perfekt sein. Da habe ich viel Zeit damit verbracht, den Lebenslauf zu schreiben. Ich habe dafür auch Leute um Hilfe gebeten, um das durchzulesen.

Danach kam der erste Schritt: Die computerbasierten Tests. Da konnte man mit einem Computerprogramm üben, was ich natürlich ausführlich gemacht habe.

Und für die Interviews und die psychologische Evaluation haben wir uns mit anderen Kandidatinnen und Kandidaten in Gruppen zusammengetan, das geübt und simuliert. Es steckte viel Vorbereitung dahinter.

Astronautinnen und Astronauten müssen auch in stressigen Situationen ruhig bleiben. Sind Sie als Mediziner prädestiniert dafür?

Ich habe in meinem Leben sicher schon einige stressige Momente erlebt, wo man unter Druck gute Entscheidungen treffen musste. Aber das ist jetzt auch eine sehr grosse Sache, die auf mich zukommt.

Wir haben aber auch super Unterstützung aus der Schweiz, vom Swiss Space Office, vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation.

Aber auch von der ESA intern bekommen wir gute Unterstützung von allen Seiten. Und ich glaube, so wird es einem einfach gemacht.

Sie springen Fallschirm, Sie tauchen, fliegen Flugzeuge. Fühlen Sie sich in allen Elementen wohl?

Es kommt immer auf die Vorbereitung an. Wenn ich ohne Vorbereitung in eine Situation reingeworfen werde, kann es schon vorkommen, dass ich mich mal nicht so wohlfühle.

Aber wenn man die Sachen systematisch angeht und gut dafür trainiert, kann man sich schliesslich auch in allen möglichen Situationen wohlfühlen.

Von dem her sind Sie prädestiniert als Astronaut?

Das hat die ESA so entschieden, und ich bin sehr froh, dass sie sich für mich entschieden haben. Deshalb hoffe ich auch, dass diese Entscheidung richtig war. Und ich werde sicher mein Bestes geben, um dem zu genügen.

In Filmen sieht man Astronauten oft in einer Zentrifuge, wo sie körperlich sehr stark belastet werden. Gibt es in Köln auch so eine?

Ich glaube, genau diese Zentrifuge, die man meistens in den Filmen sieht, die gibt es hier nicht. Wir haben sicherlich auch gewisse physiologische Trainings hier. Aber die Zentrifuge müsste man dann wahrscheinlich in den USA besuchen.

Würden Sie eine solche Belastung bestehen?

Das haben schon viele Leute vor mir bestanden. Ich denke, es ist auch etwas, was ein bisschen trainierbar ist. Wie man schliesslich darauf reagiert, kann ich nicht sagen. Aber ich hoffe mal, dass es machbar sein wird.

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In die Weltraumforschung werden Milliarden investiert. Viele Menschen verstehen das nicht. Wie rechtfertigen Sie das?

Immer, wo viel Geld investiert wird, gibt es natürlich auch Kritik. Und es ist gut, dass nicht einfach Leute über den Köpfen von anderen entscheiden können.

Ich denke, das Geld, das für den Weltraum ausgegeben wird, wird eben nicht ausgegeben, sondern investiert. Für jeden Euro, der in Europa in die Raumfahrt investiert wird, kommen zwei bis drei Euro wieder zurück. In Form von Verträgen für die Industrie, Arbeitsplätzen, neuen Technologien etc.

Der Mensch ist auch dafür gemacht, seine Umwelt zu erforschen. Man hat den Nord- und Südpol sowie die Meere und die höchsten Berge der Erde erforscht. Und ich denke, das nächste ist der Weltraum. Dort gibt es sehr viele Fragestellungen, die noch offen sind.

Was ist Ihr Traum im Weltall? Wohin würde es für Sie gehen?

Für unsere Klasse geht es sicher erstmal zur ISS. Das Ziel ist, dass jede und jeder mal dorthin fliegt. Und das ist natürlich ein Traum von mir.

Es ist aber noch nicht klar, es kann noch viel passieren. Das wäre aber das erste Ziel. Und ich denke, je nach dem kann es gut sein, dass vielleicht der oder die eine von uns auf den Mond fliegen kann. Das wäre natürlich grossartig.

Wie sehen Sie Ihre Rolle in einer Crew?

Bis jetzt haben wir ein sehr gutes Verhältnis untereinander. Wir sind füreinander da. Es ist eine lustige und motivierte Truppe. Bisher haben sich die Rollen noch nicht so verteilt.

Ich denke, es wird ja auch nicht dieses Team vom Basic Training sein, das zusammen zur Raumstation fliegen wird. Man wird mit anderen Astronautinnen und Astronauten fliegen. Da wird sich die Rollenverteilung dann auch ergeben.

Einen Arzt an Bord zu haben, ist doch immer von Vorteil…

Vor allem für längere Missionen, die weiter weg sind, ist es natürlich hilfreich, wenn man medizinische Erfahrung hat. Ich denke aber nicht, dass die Selektion jetzt darauf ausgelegt ist, dass unbedingt überall ein Arzt dabei sein muss. Das wäre gar nicht möglich.

Aber es ist natürlich ein Vorteil, wenn man als Arzt dabei sein kann. Vielleicht hilft es auch für die Selektion für eine mögliche Mission.

Sie sind nach Claude Nicollier erst der zweite Astronaut der Schweiz. Sie kennen sich bereits. Wie kam das?

Er war schon ein Idol in meiner Kindheit. Während der Selektion kontaktierte ich ihn per E-Mail, und er hat mir sehr freundlich geantwortet. Er bot mir an, dass wir telefonieren könnten, wenn ich den ersten Schritt bestehen würde.

Danach blieben wir in Kontakt, und er hat sich wirklich um mich gekümmert, hat mir auch etwas bei der Vorbereitung geholfen.

Und als klar war, dass ich es geschafft habe, durfte ich ihn auch mal treffen. Es war ein sehr schöner Moment für mich.

Zum Schluss noch eine Frage, die wir ChatGPT an Sie stellen lassen. Die künstliche Intelligenz möchte wissen, was Sie von der privaten Raumfahrt halten.

Bei der privaten Raumfahrt gibt es zwei Seiten, wie man das betrachten kann. Auf der einen Seite ist es schön, wenn möglichst viele Menschen die Erde von oben sehen können. Es gibt diesen Overview-Effekt, wenn die Leute einen Überblick haben über die ganze Erde, das verändert scheinbar das Denken ein bisschen.

Und ich hoffe, wenn reiche und wichtige Menschen diesen Effekt auch erleben, dann könnte sich vielleicht auch etwas in ihrem Handeln ändern. Das wäre sicher ein guter Effekt.

Der Nachteil ist natürlich das Ökologische dahinter. Da muss man sicher irgendeinen Weg finden, um Weltraum-Tourismus auch nachhaltig und ökologisch zu gestalten.

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