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Ein Modell für Europa?

Brüssel schaut nach Bern. swissinfo C Helmle

Die Europäische Union (EU) ist auf der Suche nach neuen politischen Modellen.

Der Föderalismus scheint das geeignete Instrument zu sein.

Wird Europa dereinst zu einem föderativen Staat, vielleicht sogar nach Schweizer Vorbild? Über diese Frage hatten sich schon vor 50 Jahren die Väter der heutigen EU, Jean Monnet und Robert Schumann, Gedanken gemacht.

Und heute befassen sich Exponenten der 15 EU-Staaten erneut mit der Frage und denken über geeignete Formen des Föderalismus nach. Letzten Dezember wurde der “Konvent zur Zukunft Europas” ins Leben gerufen, um die anstehenden Struktur-Reformen für die EU bis ins Jahr 2004 zu erarbeiten. Nach den Jahren des wirtschaftlichen Näherrückens stehen für die EU nun Schritte in Richtung politischer Union an.

Die EU muss nicht nur die Systeme der Mitgliedstaaten untereinander angleichen, sondern auch das viel kritisierte “Demokratiedefizit” in den eigenen Strukturen abbauen. Zudem müssen – so der Plan – bis ins Jahr 2004 insgesamt 12 neue Mitgliedstaaten integriert und die Identifikation der Völker mit den Gemeinschaftsstrukturen vorangetrieben werden. Und schliesslich gilt es, den politischen Einfluss auf der internationalen Polit-Bühne zu erhöhen.

Föderalistische Hoffnungen

Im Streit um die künftigen Strukturen steht eine wachsende Mehrheit hinter einem Mittelweg: dem Föderalismus. Die Vorstellungen reichen von einer Föderation nationaler Staaten bis zur Gründung eines einzigen, föderativen Staates.

Bei den einzelnen Visionen wird immer wieder Bezug genommen auf die Schweiz. “Die Schweiz stellt ein Modell für Europa dar”, sagten in den vergangenen Jahren Exponenten der Europapolitik wie Joschka Fischer, Jacques Chirac, Göran Persson oder auch Vaclav Havel.

Bei der EU sind in Sachen auf Entstehung und Integration der Völker Ähnlichkeiten mit der Schweiz auszumachen. In beiden Fällen gab es von Anfang an wirtschaftliche Interessen, die souveräne Staaten veranlassten, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, Zollbarrieren abzubauen und sogar eine Einheitswährung einzuführen.

Analogien gibt es auch auf politischer Ebene: Der freie und freiwillige Zusammenschluss von Staaten, die Suche eines Gleichgewichts zwischen den Staaten sowie die Machtaufteilung nach den Kriterien der Subsidiarität. Die Schweiz wird zudem gesehen als Modell für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen, Sprachen und Religionen.

Ideales Wunschbild

Um zu mehr Föderalismus zu kommen, muss die EU – auch wenn es paradox erscheinen mag – ihre Strukturen stärker zentralisieren. Je nach Entwicklung muss es eine Bundesverfassung geben, eine Regierung, ein parlamentarisches Zwei-Kammer-System, neue Gesetze und gemeinsame Normen. Doch schon heute gibt es in vielen EU-Ländern starken Widerstand gegen die Aufgabe nationaler Souveränitäten.

Der Weg Europas zum Föderalismus ist noch weit. Die EU schreitet mit schnellem Schritt voran, sie muss aber darauf achten, dass die Bevölkerungen in den einzelnen Staaten dem Tempo folgen können. Dies gilt insbesondere für ein Föderalismusmodell, das auf der Grundlage der freien Willensbildung und Bürgerbeteiligung aufgebaut ist. Insofern erscheint das Schweizer Modell, zumindest im Moment, für Europa mehr ein ideales denn ein reales Wunschziel.

Armando Mombelli


Übertragen aus dem Italienischen: Gerhard Lob

heute: 15 EU-Staaten
2004: 27 EU-Staaten

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