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Zu reich für Reformen

David Syz trat Ende März als seco-Direktor zurück - mit einem Appell für radikale Reformen. Keystone Archive

Das politische System der Schweiz müsse überholt werden, sagt David Syz, der bisherige Staatsekretär für Wirtschaft. Nur so könne die Wirtschaft wieder konkurrenzfähig werden.

Gründe für das schwache Wachstum ortet Syz bei der Schweizern selber: Sie seien zu reich, um radikale Reformen zu akzeptieren.

In seinem letzten Interview vor seinem Rücktritt am 31. März, forderte Syz eindringlich einen schnelleren Reformprozess für Politik und Wirtschaft.

Syz war seit 1999 Chef des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco), nach über dreissig Jahren im Privatsektor. Vor seinem Arbeitsantritt in der Bundesstadt Bern war er bei der Grossbank UBS beschäftigt und später bei der Schweizerischen Industriegesellschaft SIG.

In einem Interview mit swissinfo sprach der 60-Jährige über die Herausforderungen, die auf die Schweizer Wirtschaft zukommen – und warum die Schweiz nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen dürfe, um nicht zum Patienten Europas zu werden.

swissinfo: Sie kamen aus der Privatwirtschaft in die Bundesverwaltung. Wie schwierig war die Anpassung?

D.S: Es war ein Kulturschock, aber man gewöhnt sich daran. Die Entscheidungswege sind sehr unterschiedlich. Es ist viel langsamer, man muss sich mir mehr Leuten absprechen und man kann keine Blitzentscheide treffen. Es kann gelegentlich sehr frustrierend sein, keine schnellen Resultate seiner Arbeit zu sehen.

Wir müssen in der Schweiz den Entscheidungsprozess reformieren. Heute müssen wir international konkurrenzfähig sein und das verlangt nach einer grösseren Geschwindigkeit und drastischeren Entscheidungen.

swissinfo: Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) meint, dass die Schweiz konkurrenzfähiger werden muss. Hindert der langsame Reformprozess den wirtschaftlichen Fortschritt?

D.S: Absolut. Aber das Problem steckt in unserem politischen System: Es ist konsensorientiert. Das verunmöglicht es weitgehend, schnell zu reagieren.

Wir sind in einer starken Position und solange alles einigermassen läuft, gibt es nicht genug Druck für Reformen. Wir müssen wohl darauf warten, bis uns die ökonomische Realität dazu zwingt oder wir von aussen dazu gezwungen werden.

swissinfo: Sie haben bereits früher gesagt, die Schweiz brauche eine Regierung, welche Prioritäten setzt und auch schwierige, unpopuläre Entscheidungen fällen kann.

D.S: Leider ist das richtig. Wenn man die Reformpläne der Regierung für die nächsten vier Jahre anschaut, sieht man kein wirkliches Programm. Es ist nur eine Liste von Problemen, die darauf warten, gelöst zu werden. Das bringt uns nicht weiter. Die politischen Parteien müssen zusammen diskutieren und eine gemeinsame Lösung finden.

swissinfo: Was wird passieren, wenn dieser Reformprozess nicht beschleunigt wird?

D.S: Wir werden Boden verlieren. Es geht uns offenbar noch zu gut, um unbeliebte Entscheide zu fällen. Ich fürchte, es muss noch schlimmer kommen, bevor es besser wird. Aber ich hoffe, dass wir reagieren werden, bevor es so weit ist.

swissinfo: Das Klima zwischen Bern und Brüssel hat sich in letzter Zeit stark verschlechtert, die Verhandlungen über die Bilateralen II stocken. Ist der bilaterale Weg noch gangbar oder verlangt der Gang der Wirtschaft nach einer EU-Mitgliedschaft.

D.S: Im Moment müssen wir uns auf den bilateralen Weg konzentrieren. Ich bin überzeugt, dass wir damit vorankommen und die Verhandlungen in den nächsten Monaten abschliessen können.

Aber die EU wird immer ungeduldiger und will der Schweiz keine Spezialbehandlung zukommen lassen. So wird der Druck zunehmen, bis wir eines Tages davon genug haben und nach Europa wollen.

Der bilaterale Weg bietet vorerst immer noch mehr Vorteile als Nachteile, aber das kann ändern. Wir werden irgendwann einmal EU-Mitglied werden, sobald wir sehen, dass es im Interesse unserer Wirtschaft und unserer Sicherheit ist. Das ist heute noch nicht der Fall, aber der Tag wird kommen.

swissinfo: Ihre fünf Jahre an der Spitze des seco waren geprägt durch die wirtschaftliche Stagnation. Schweizer Traditions-Unternehmen entliessen viele Angestellte. Tut ihnen das leid?

D.S: Natürlich tun mir die Menschen leid, die arbeitslos geworden sind. Aber ich sehe auch die Notwendigkeit von Reformen. Unglücklicherweise beinhalten diese oft Restrukturierungen und Entlassungen.

Das seco muss auf der einen Seite solche Reformen fördern, auf der andern Seite aber auch die Menschen unterstützen, die ihre Stellen verloren haben. Es muss neue Arbeitsplätze schaffen und die Bildung stärker hervorheben.

Aber sicher sollten wir keine Reformen verhindern oder herauszögern – das wäre das Schlimmste.

swissinfo: Sie gehen zurück in den Privatsektor, haben aber auch Pläne, ins Filmbusiness einzusteigen, um Dokumentarfilme über die Globalisierung zu drehen.

D.S: Ja, ich habe in meiner Zeit hier gelernt, dass es viel Falschinformation über globale Themen gibt. Ich möchte eine Serie Kurzfilme für Jugendliche produzieren und an konkreten Beispielen zeigen, welche Auswirkungen die Globalisierung hat.

Die Globalisierung hatte viel schlechte Presse und wird nicht gut verstanden. Aber sie bestimmt viele Gesichtspunkte unseres Lebens und muss darum ernst genommen werden.

Darum werde ich später in diesem Jahr an der New York Film Academy lernen, Drehbücher zu schreiben und hoffentlich einen Zugang finden, um das Thema jungen Menschen interessant zu präsentieren.

swissinfo-Interview: Ramsey Zarifeh
(Übertragung aus dem Englischen: Philippe Kropf)

David Syz wurde 1944 geboren. Nach dem Jus-Studium in Zürich und einem MBA-Abschluss begann er seine Karriere bei der Bank UBS. 1975 wechselte er zur Elektrowatt AG.

Bei der Staefa Control System wirkte er ab 1976 vier Jahre als Finanzchef und weitere vier Jahre als Vorsitzender der Geschäftsleitung.

1996 wurde er Delegierter des Verwaltungsrates und Vorsitzender der Konzernleitung der SIG.

Im Mai 1999 ernannte ihn der Bundesrat zum Staatssekretär. Als solcher leitet er seit dem 1. Juli 1999 das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).

Nach fünf Jahren wurde er von Jean-Daniel Gerber, Ex-Chef des Bundesamts für Flüchtlinge, auf diesem Posten abgelöst.

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