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Zug: Ein Jahr nach dem Amoklauf

Vor dem Parlamentssaal in Zug wurden Kerzen angezündet ledsom

Mit Stille und Besinnung gedachte Zug am Freitag des Jahrestags des Amoklaufs im Kantonsrat.

Die Bluttat führte in der Schweiz zu mehr Sicherheits-Bewusstsein. Viele Behörden leiteten Massnahmen ein.

Die Kantonsbehörden hatten sich jede demonstrative öffentliche Manifestation verbeten. Die Gedenkanlässe sollten schlicht erfolgen: keine Ansprachen, keine Einladungen an ausserkantonale Gäste, keine Apéros.

Während einer Viertelstunde läuteten am Freitagmittag die Glocken der Kirchen im ganzen Kanton. Anschliessend fanden in allen elf Gemeinden des Kantons ökumenische Mittagsgebete statt.

Im Zentrum des Gedenkens stand am Freitagabend in Zug indessen die Aufführung von Mozarts Requiem.

Der Amoklauf vom 27. September 2001

Noch heute lässt einen die Erinnerung an den Zuger Amoklauf vom 27. September 2001 erschauern. Damals stürmte ein Mann das Parlamentsgebäude und erschoss 14 Menschen.

Der Amokläufer, der mit der Verwaltung im Streit lag, verletzte ausserdem 14 weitere Personen zum Teil schwer und tötete sich dann selbst.

Eine zunehmende Gewaltbereitschaft ist jedoch nicht erst seit dem letzten Herbst ein Thema. Gemäss dem Bundesamt für Polizei haben sich Gewaltdelikte und Drohungen gegenüber Staatsbeamten in den letzten 5 Jahren verdoppelt.

Die wohl häufigste Frage nach einer Katastrophe wie in Zug ist die, ob sich eine solche verhindern und potentielle Täter bereits im Vorfeld identifizieren liessen. Rein wissenschaftlich stellt ein Amoklauf jedoch weder ein Krankheitsbild dar, noch lassen sich eindeutige Täterprofile erstellen.

Verstärkte Sicherheits-Vorkehrungen

Viele Behörden haben in der Zwischenzeit verstärkt Sicherheits-Vorkehrungen für ihre Beamten getroffen. Diese reichen von baulichen Massnahmen bis zu Weiterbildungs- und Selbstverteidigungskursen.

Im Bundeshaus sollen vor allem Metalldetektoren und verschärfte Eingangskontrollen die Politiker schützen. Während der Kanton Genf keine neuen Massnahmen ergriffen hat, gibt es im Kanton Jura neben einer verstärkten Polizeipräsenz während der Sessionen neu auch Eingangskontrollen und Metalldetektoren.

Im Tessin sollen zwar die Schalter in den Regierungsgebäuden geschlossen werden, trotzdem betont die Verwaltung, dass Wert auf eine bürgernahe Verwaltung gelegt wird.

Auch der Kanton Thurgau hat nach den Vorfällen Eingangskontrollen eingeführt. Laut Paul Roth, Leiter des Parlamentsdienstes, habe man jedoch schon vor den Ereignissen in Zug je nach Traktandenliste gewisse Sicherheits-Massnahmen getroffen.

Der Kanton Baselland ergriff nach dem Zuger Amoklauf ebenfalls Sofortmassnahmen. Zudem wurden die wichtigsten Gebäude auf ihre Sicherheit hin überprüft, um bauliche Massnahmen in die Wege leiten zu können.

“Die Drohungs- und Gewaltbereitschaft ist seit dem vergangenen Herbst spürbar gestiegen”, stellt Barbara Umiker, Sprecherin des Polizei- und Justizdepartements, fest. Deshalb habe der Kanton auch eine Fachperson für gefährlich erscheinende Personen berufen. Ausserdem werden die Mitarbeiter seither entsprechend instruiert und ausgebildet.

Sprecherin Umiker betont jedoch, dass der Kanton Baselland am Prinzip einer offenen und öffentlichen Verwaltung festhalten möchte.

Zur Zeit befindet sich auf Bundesebene die Revision des Waffengesetz in der Vernehmlassung. Die Erinnerung an den Zuger Amoklauf könnte sich durchaus in der Verschärfung des Gesetzes niederschlagen. Heute kann ein Privater ohne Erwerbsschein eine Waffe von einem anderen Privaten kaufen. Dies könnte sich nun ändern.

Querulanten-Dateien

Eine weitere Konsequenz aus dem Zuger Amoklauf stellt das Anlegen von “Querulanten-Dateien” dar. Diese sollen die Suche nach potentiell gefährlichen Personen erleichtern.

“Es ist unbestritten, dass wir neue Wege beschreiten müssen”, sagt Kosmas Tsiraktsopulos, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten. “Das heisst aber nicht, dass wir alle Grundsätze unserer demokratischen Gesellschaft preisgeben müssen.”

Ombudsstelle als Blitzableiter

Im internationalen Vergleich ist das Konzept von Ombudsstellen in der Schweiz noch relativ unterentwickelt. Immerhin haben im Zusammenhang mit dem Zuger Attentat vereinzelte Behörden reagiert und Ombudsstellen für Private im Konflikt mit der Verwaltung eingerichtet.

Zur Zeit gibt es in der Schweiz erst 6 parlamentarisch gewählte Ombudsleute, welche zwischen Bürgern und Verwaltung vermitteln. Auch der Kanton Zug wird neben den verstärkten Sicherheitsvorkehrungen ab 2003 über eine solche Einrichtung verfügen.

Einen Ombudsmann auf nationaler Ebene gibt es hingegen nicht. Der Bundesrat bezweifelt dessen Notwendigkeit einer solchen Einrichtung und beurteilt die auf 2 Mio. Franken veranschlagte Amtsstelle als zu teuer.

Was Fachpersonen meinen

Bei der Zeitschrift “Beobachter” hält man Ombudsstellen für sehr sinnvoll in der Konfliktbewältigung. Eine Zunahme von beunruhigenden Anrufen in den vergangenen Monaten kann Toni Wirz, Leiter des Beratungszentrum des “Beobachters”, jedoch nicht feststellen.

“Allerdings sind sich die Mitarbeiter beim ‘Beobachter’ seit dem Zuger Amoklauf bewusster über die Wichtigkeit ihrer Beratertätigkeit.” Ein Merkblatt unterstützt die Berater bei ihrer Arbeit.

Eines scheint klar zu sein: Amokläufe lassen sich nicht verhindern. Aus psychologischer Sicht geht es vor allem darum, Menschen in auswegslosen Situationen “aufzufangen”.

Und Tedy Hubschmid, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie, doppelt nach: “Anstatt Geld für das Anlegen weiterer (Querulanten-)Dateien auszugeben, sollte der Staat lieber direkt in die Menschen investieren, zum Beispiel in die Bildung.”


swissinfo, Elvira Wiegers

CHRONIK DER AMOKLÄUFER IN DER SCHWEIZ
1990: Bijoutier Richard Breitler tötet fünf Menschen, verletzt vier weitere und bringt sich selber um.
1992: In Rivera TI tötet Erminio Criscione sechs Menschen und erhängt sich später im Gefängnis.
1993: Ein Angestellter der Berner Bedag Informatik tötet zwei Kollegen und erschiesst sich selber.
1994: Bei der Sanitas Troesch AG in St. Gallen erschiesst ein Angestellter einen Kollegen und verletzt vier weitere.
1997: Ein Sozialhilfeempfänger ersticht die Vorsteherin des Sozialamts in Schötz LU und erhängt sich nach seiner Festnahme in der Zelle.
2001: Friedrich Leibacher erschiesst im Zuger Parlament insgesamt 14 Personen, verletzt 15 weitere und tötet sich dann selber.
2002: In Obfelden im Kanton Zürich verletzt ein 32-Jähriger 14 Menschen mit einer Eisenstange zum Teil schwer.

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