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“Wer auffallen will, muss zuspitzen”

Martin Heller ist ein Kenner der Ausstellungs-Szene. Keystone

Am 25. März öffnet die Weltausstellung 2005 im japanischen Aichi ihre Tore. Die Schweiz präsentiert sich mit einem künstlichen Berg.

swissinfo sprach mit Martin Heller, dem künstlerischen Direktor der Landesausstellung Expo.02, über die Schweiz und ihre Auftritte an Weltausstellungen.

swissinfo: Martin Heller, wie schätzen Sie die Auftritte der Schweiz an Weltausstellungen ein?

Martin Heller: Da gibt es natürlich kein allgemeines Urteil, sondern bloss einen Blick auf unterschiedliche Gelegenheiten, verpasste und wahrgenommene.

swissinfo: Warum hat die Schweiz immer irgendwie Mühe mit solchen Ausstellungen?

M.H.: Ich glaube, die Schweiz hat extrem Mühe mit pointierter Selbstdarstellung. Das hat damit zu tun, dass das Land immer noch davon ausgeht, dass ihm alle Aufmerksamkeit der Welt gilt, und zwar gratis.

Es ist sich nicht gewohnt, um Aufmerksamkeit zu kämpfen, auf eine spielerische oder zielgerichtete Art und Weise, die eine spezifische Radikalität im Auftritt verlangt.

Kommt dazu, dass man sich in der Schweiz weniger als in anderen Ländern getraut, das Schicksal eines solchen Auftritts in die Hände einer profilierten Persönlichkeit zu legen.

swissinfo: Warum?

M.H.: Weil dann besonders die Politik immer wieder gleich miesmacherische Kritik an der Schweiz vermutet. Oder weil sie aufgrund übelster Vorurteile Künstlern und Architekten naive Weltferne zuschreibt statt zuzugestehen, dass diese Leute die bessere und feinere Nase haben für wirksame Inszenierungen.

swissinfo: Hat die Schweiz ein Problem mit dem Bild, das sie in die Welt sendet?

M.H.: Nein; die Schweiz spielt ja ohnehin laufend mit ihren Klischees. Also kann sie keine Mühe haben damit, dass das Publikum immer auch jene Schweiz finden will in solchen Bildern, die es kennt.

Viel eher hat die Schweiz Mühe damit, sich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren und zwangsläufig alles andere zu vernachlässigen.

swissinfo: Ist das vergleichbar mit Werbung?

M.H.: Ja, ein Stück weit wie in der Werbung. Dazu kommt, dass man sich im Falle internationaler Ausstellungen in einem sehr spezifischen Medium profilieren muss.

Auch eine Weltausstellung ist ein Medium. Dessen Regeln bringen es mit sich, dass die Besuchenden rasch müde und gesättigt sind und es schätzen, wenn man ihnen nicht nur Kitzel oder Information bietet, sondern auch Freundlichkeit, Gefühle und einen Ort der Gastfreundschaft.

swissinfo: 1992 hat die Schweiz in Sevilla mit dem Spruch “Die Schweiz existiert nicht” provoziert. Die Kritik war gewaltig.

M.H.: Die wenigsten, die sich zuhause derart massiv über Stilfragen und Inhalte enervieren, haben eine Ahnung davon, in welch gnadenloser Konkurrenz solche Anlässe ablaufen.

Die Nabelschau zu Hause, wo man dann über nichts anderes redet als über diesen kleinen Satz, relativiert sich sofort, sobald man die Ausstellung selbst besucht. Und sieht, dass der Schweizer Pavillon einer ist neben fünfzig andern.

Denn was daheim wie eine pessimistische Einladung zur Selbstauflösung aussieht, ist dort nichts anders als eine amüsante und von der Mehrheit des Publikums durchaus positiv aufgenommene Einladung, sich einmal Gedanken über ein Land zu machen, von dem viele gar nicht wissen, dass es existiert.

swissinfo: Wie beurteilen Sie den Schweizer Auftritt 2000 in Hannover?

M.H.: Ich fand sehr beeindruckend, wie dieser Auftritt entwickelt wurde und wie er beim Publikum angekommen ist. Hannover insgesamt war eine Art Messelandschaft mit vielen Pavillons und Eindrücken der banalen Art. Entsprechend wurde vergleichsweise wenig explizit Künstlerisches oder emotional Bewegendes geboten.

Der Schweizer Pavillon hat in diesem Umfeld eine prominente Rolle gespielt. Auch dadurch, dass er konsequent theatralische Aspekte ausgespielt hat.

Es war eben nicht nur Peter Zumthors Architektur, die faszinierte, sondern der Ort als Ganzes, der durch die Bedingungen seiner Performance lebte und überzeugte.

swissinfo: In Aichi präsentiert sich die Schweiz in einem Berg mit all ihren Klischees. Ist das nicht ein Schritt zurück?

M.H.: Das glaube ich nicht. Das Schwierige und zugleich Anforderungsreiche an solchen Ausstellungen ist ja, dass man nur alle paar Jahre wieder ausprobieren kann, wie man die Selbstdarstellung weiterentwickelt.

Das bedeutet unter anderem, dass eine neue Generation am Werk ist. Ich kenne die Köpfe gut, die den Pavillon in Aichi verantworten. Die haben zu ihrer Aufgabe einen anderen Zugang – bis hin zu den eigenen Klischees.

Wahrscheinlich steckt auch die Tatsache, so etwas in Japan zu realisieren, ein nochmals anderes Umfeld ab. Und da ist das Spiel mit solchen Klischees durchaus berechtigt.

swissinfo: Welche Erwartungen hätten Sie als Japaner?

M.H.: Wäre ich ein Japaner, der den ganzen Tag in Aichi herumstiefelt, würde ich so etwas wie eine leichfüssige Erhellung erwarten. Etwas, das mir bleibt, und das für die Schweiz steht.

In Hannover fand ich den japanischen Pavillon inhaltlich relativ dürftig. Seine Architektur aus, letztlich, Papier verströmte dennoch etwas irgendwie Japanisches. Allein deswegen ist mir dieser Pavillon noch in Erinnerung.

Letztlich geht es immer um dasselbe: Im entscheidenden Moment mit Bildern und Emotionen etwas Bleibendes zu setzen. Etwas, was sich unterscheidet.

swissinfo: Warum war die Expo.02 schliesslich ein Erfolg?

M.H.: Es sind zwei Aspekte. Einerseits hatten wir die Erwartungen des breiten Publikums auf unserer Seite – die Medien lagen mit ihrer ständigen Kritik falsch.

Damals mir unvergesslich: Der Tag der offenen Baustelle, ein Jahr vor Eröffnung, wo es fast noch nichts zu sehen gab, als 70’000 Leute auf diesen Terrains herumspaziert sind.

Zweitens glaube ich, dass wir es geschafft haben, eine besondere künstlerische Geschichte zu erzählen mit unseren Ausstellungen, , weitab von jedem banalen Messe-Gefühl.

Kommt dazu, dass wir im Ausland sehr gute Presse hatten, was mit der Zeit auf die öffentliche Meinung auch in der Schweiz abfärbte. Man hat sich getraut, zuzugeben, dass die Landesausstellung richtig gut war. Und das war schon ein gewaltiger Schritt für die Schweiz.

swissinfo-Interview: Christian Raaflaub

Die Weltausstellung 2005 im japanischen Aichi findet in der Nähe von Nagoya statt.
Sie dauert vom 25. März bis am 25. September.

Der 53-jährige Martin Heller war seit 1999 künstlerischer Leiter der Landesausstellung Expo.02, die 2002 in der Drei-Seen-Region Biel, Murten, Neuenburg stattgefunden hat.

Er hat in Basel Kunstgeschichte, Ethnologie und Europäische Volkskunde studiert. Gleichzeitig war er bereits als Kunstkritiker, Dozent, Berater und freier Ausstellungsmacher tätig.

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