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“Ein bisschen frische Luft würde nicht schaden”

AFP

Das im Oktober 1962 eröffnete II. Vatikanische Konzil hatte zum Ziel, "die Katholische Kirche mit der modernen Welt zu versöhnen". 50 Jahre später bleibe – trotz einiger Fortschritte – noch viel zu tun, meint der Jesuitenpater und Journalist Albert Longchamp.

Als Pater und Jesuit konnte Albert Longchamp die Reformen der Kirche von Innen erleben. Als Journalist, ehemaliger Chefredaktor des Wochenmagazins Echo Illustré (heutiges Echo Magazine) und aktueller Geschäftsführer der Zeitschrift Choisir hat er aber auch einen kritischen Blick auf die Institution Kirche entwickelt.

swissinfo.ch: Zur Zeit des Konzils waren sie 20-jährig. Wie haben Sie dieses Ereignis erlebt?

Albert Longchamp: Das Konzil begann zwei Wochen, nachdem ich der Ordensgemeinschaft Gesellschaft Jesu beigetreten war. Ich war supermotiviert und hatte grosse Erwartungen.

Ich muss aber zugeben, dass zuerst die Skepsis dominierte. Der neue Papst Johannes XXIII. war betagt und bekannt dafür , ein effizienter Nuntius gewesen zu sein, ein weltgewandter Prälat, rundlich und auch etwas hinterhältig. Kurz: in jeder Hinsicht ein Diplomat…

Als er dann drei Monate nach seiner Wahl das Konzil einberief, war das eine riesige Überraschung. Die römische Kurie hat dagegen einen Komplott geschmiedet, um die Sache möglichst rasch zu beenden. Man glaubte also nicht daran. Und jene, die daran glaubten, befürchteten, das Konzil würde zu homerischen und sterilen Debatten führen. Jedenfalls nicht zu einer Öffnung der Kirche.

swissinfo.ch: Was nach dem Konzil sichtbar wurde, waren geänderte Riten, das Latein wurde teils aufgehoben, und die Priester gingen mehr auf die Gläubigen zu. Eine positive Entwicklung also?

A.L.: Was die Aufgabe des Latein betraf, muss präzisiert werden, dass der Konzil damit lediglich eine Bewegung bestätigte, die bereits unter Pius XII begonnen hat. Aber dass sich ein Priester von nun den Gläubigen zuwandte, war eine echte Revolution.

Dieser Wandel ist unbestritten eine positive Sache. Vor dem II. Vatikanum verstand man bei der Messe gar nichts. Danach begannen sich die Gläubigen in die Liturgie zu integrieren und ergriffen manchmal gar die Initiative, um sie lebendiger zu gestalten.

swissinfo.ch: Vatikan II führte auch zu grösserer Toleranz gegenüber Andersgläubigen, ob christlich oder nicht.

A.L.: Die Anerkennung anderer Religionen ist in der Tat ein zentraler Punkt von Vatikan II. Die Römisch-Katholische Kirche, früher anmassend, ja sogar imperialistisch, anerkannte, dass sie nicht das Monopol über die Wahrheit besitzt. Dieses Konzil markierte mit Sicherheit eine Kehrtwende in der Haltung Roms gegenüber anderen Religionen. Wir respektieren sie und verdammen keine von ihnen.

swissinfo.ch: Innerhalb des Christentums hat Vatikanum II auch den Beginn einer Annäherung an den Protestantismus und die Orthodoxie geprägt. Wo steht man da 50 Jahre später?

A.L.: Im Allgemeinen gab es schöne Bemühungen in Richtung Ökumene. Eine Annäherung wurde mit der Reformierten Kirche erreicht. Was die Orthodoxen betrifft, so kam es am letzten Tag des Konzils zur Aufhebung des Kirchenbanns zwischen Rom und Konstantinopel.

Orthodoxe und Katholiken sind vielleicht noch nicht ganz miteinander versöhnt, aber sie wünschen sich zumindest nicht mehr zum Teufel, was ein grosser Schritt ist.

swissinfo.ch: Mit der Anglikanischen Kirche war die Annäherung bereits sehr weit fortgeschritten und hätte gar in einen Zusammenschluss münden können. Wieso am Schluss dann dieser Misserfolg?

A.L.: Diese Frage beantworte ich mit einem Scherz: ‘cherchez la femme…(finde die Frau)’. Die Frage um die Priester- oder gar die Bischofweihe für Frauen blockierte die Sache. Auch bei den Anglikanern gab es deswegen Probleme. Gewisse unter ihnen wurden aus diesen Gründen Katholiken.

swissinfo.ch: Mit dem Vatikanum II wollte die Kirche an die Moderne anknüpfen. Ein halbes Jahrhundert später erscheint sie bezüglich der Stellung der Frau, dem Zölibat für Priester oder der Verweigerung der Eucharistie für Geschiedene aber noch immer etwas rückständig.

A.L.: Die Stellung der Frauen ist die nächste grosse Debatte im Innern der Kirche. Der Platz, der ihnen eingeräumt wird, ist nicht wie er sein sollte. Man spürt bei den Frauen Verbitterung, fast schon Wut. Und die Haltung gegenüber den Geschiedenen wird von den Gläubigen auch nicht mehr einfach so hingenommen, wo Scheidungen heutzutage doch zum Alltag gehören.

In Bezug auf die Heirat von Priestern herrscht in einigen Regionen der Welt Zeitdruck: In Afrika ist es quasi ein Muss, dass ein Priester mit einer Frau sein muss, ansonsten könnte er als homosexuell gelten, was von der lokalen Bevölkerung gar nicht geschätzt wird.

swissinfo.ch: Wäre es angesichts dieser Probleme nicht an der Zeit, ein neues Konzil einzuberufen?

A.L.: Ein III. Vatikanisches Konzil nach dem Modell Vatikan I und II ist praktisch unmöglich geworden. Ich behaupte nicht, dass es nie stattfinden wird. Aber die logistischen Herausforderungen wären aufgrund der Anzahl Leute, die man einladen müsste, äusserst komplex. Man müsste 20’000 Personen an einem Ort zusammenbringen.

Die Lösung liegt zweifellos bei den regionalen Konzilen auf den Kontinenten. Afrika könnte zum Beispiel ein eigenes Konzil durchführen, dessen Konsequenzen dann zuerst dort angewendet würden. Später könnte man schauen, ob sie auch auf andere anwendbar wären.

swissinfo.ch: Johannes XXIII. hatte erklärt, beim II. Vatikanischen Konzil gehe es darum, ‘die Fenster zu öffnen und etwas frische Luft in die Kirche hereinzulassen’. Ist das erneut nötig?  

A.L.: Etwas frische Luft würde nicht schaden, oder ein leichtes Lüftchen. Und wieso nicht ein starker Windstoss….

Ein Konzil ist eine Versammlung von Bischöfen der Katholischen oder der Orthodoxen Kirche.

Die allgemeinen Konzile, wie das II. Vatikanum, versammeln alle Bischöfe der Welt.

Diese Tradition reicht weit zurück: Das erste Konzil wurde im Jahr 325 in Nicäa einberufen. Dabei wurde der Streit um die Wesensgleichheit Jesu mit seinem Vater beendet und dem Arianismus eine Abfuhr erteilt. Zudem wurde das Datum von Ostern festgelegt.

Ein weiteres Konzil, an dem Bischöfe aus aller Welt teilnahmen, fand in der Schweiz, genauer in Basel, statt. Es dauerte von 1431 bis 1449 und war damit das längste überhaupt.

Vatikanum II wurde am 11. Oktober 1962 eröffnet und dauerte bis am 8. Dezember 1965. Es handelte sich um das 21. Ökumenische Konzil der Katholischen Kirche.

(Übertragung aus dem Franözösischen: Gaby Ochsenbein)

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