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Wenn Haltung zu Kunst wird

Balthasar Burkhard war zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Bern in den 1960er-Jahren. Die Stadt mit ihrer lebendigen Bohème-Szene war ein Magnet für radikale Künstler und Ideen, die 1969 in der Anthologie-Ausstellung "When Attitudes Become Form" in der Kunsthalle Bern ihren Höhepunkt erreichte. Dieser Zeit in der fünf Jahrzehnte langen Karriere von Burkhard widmet das Fotomuseum Winterthur nun eine umfassende Retrospektive (bis 21.5.2018).

Sein Handwerk erlernte er von Kurt Blum, einem der bedeutendsten Schweizer Fotografen des 20. Jahrhunderts. Darauf begann Burkhard sich in den bohèmischen Kreisen von Bern zu bewegen. Schon bald gehörte er zum Gefolge von Harald Szeemann, der von 1961 bis 1969 die Kunsthalle Bern leitete. In diesen Jahren fing Szeemann den Zeitgeist radikaler politischer und sozialer Bewegungen ein, die auch die Künste beeinflussten. Burkhards Fotografie war eng mit Szeemanns Werk verbunden.

Die Kunsthalle Bern nahm all diese radikalen Ideen auf. Szeemann brach schliesslich mit den etablierten künstlerischen Praktiken und machte aus einer Ausstellung ein richtiges Manifest: “When attitudes become form” markiert die “offizielle” Geburt der Konzeptkunst. Es ist dies die Idee, dass es die Haltung, der Gedanke und der Prozess sind, die zählen, und nicht unbedingt das finale Kunstwerk.

Gleichzeitig rückte Szeemann die Rolle des Kurators in den Vordergrund: Die Künstler verliessen die Bühne zugunsten von Ideen und Konzepten.

Ausstellung wird zum Skandal

Dabei war Burkhard nicht nur ein stiller Beobachter. Angezogen von Blums Stil, der grosse Formate bevorzugte, und in Zusammenarbeit mit einigen Personen aus der konzeptuellen Gruppe von damals (insbesondere Markus Raetz) vergrösserte Burkhard seine Fotografien – scheinbar banale Bilder von Raetz’ Atelier – auf grossen Stoffstücken. Er nutzte die Leinwand, um die Fotografie von ihrer Abbildungsfunktion zu befreien.

Eines seiner abstrakten Bilder bräunlicher Erde diente als Hintergrund für das Ausstellungs-Plakat. Diagonal darüber setzten die Künstler eine Leuchtröhre – eine Gemeinschaftsarbeit von Burkhard, Szeemann, Raetz und Jean-Frédéric Schnyder. Die Ausstellung endete schliesslich in einem Skandal, der Szeemann den Job kostete und Bern seinen Stellenwert in der Kunstwelt.

Szeemann richtete in Köln weiterhin kreativen Schaden an (“Happening & Fluxus”, 1970), bevor er die documenta 5 im deutschen Kassel übernahm, wo seine konzeptionellen Ideen ihren Höhepunkt erreichten (1972).

Nach der documenta 5 explodierte die Szene förmlich und verbreitete sich in der ganzen Welt. 1980 wurde Szeemann Mitveranstalter der Biennale von Venedig. Die Konzeptkunst war zu diesem Zeitpunkt bereits fest in der Kunstproduktion verankert. Szeemann war damals sogar in der Schweiz willkommen.

Neuerfindung im In- und Ausland

Mitte der 1970er-Jahre verliess Burkhard die Schweiz in Richtung USA. Obwohl immer noch stark vom Konzeptualismus geprägt, wollte er seine Karriere neu erfinden. Er versuchte, als Filmschauspieler in Hollywood Fuss zu fassen – ohne grossen Erfolg. Seine Kunst hingegen stiess in den Galerien von Chicago und New York auf Widerhall.

Zurück in der Schweiz setzte Burkhard das Experimentieren mit Grossformaten fort. Er arbeitete mit dem menschlichen Körper, der Architektur (in Zusammenarbeit mit dem damals jungen Atelier von Herzog & De Meuron) und Luftbildern.

Erst kurz vor seinem Tod im Jahr 2010, entschied sich Burkhard, mit Schwarz-Weiss zu brechen und Landschaften und Blumen der Farbe auszusetzen.

Balthasar (Balz) Burkhard pflegte zu sagen, er sei nur ein Fotograf, kein Künstler. Das entspricht aber kaum dem Eindruck, den man beim Schlendern durch die sorgfältig kuratierte Ausstellung kriegt, die sich über die beiden Gebäude des Fotomuseums erstreckt. Vielmehr machten ihn seine Experimente mit verschiedenen fotografischen Formaten und Techniken zu einem Pionier, der die Fotografie zur bildenden Kunst erhoben hat.

(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)

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