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Wahlen 2011: Kleine Chancen für kleine Parteien

Die Grüne Partei der Schweiz ist im Lauf der Jahre von einer kleinen zu einer grossen Partei geworden. Diese Entwicklung ist die Ausnahme. Keystone

Bei den eidgenössischen Wahlen präsentieren sich jeweils auch viele kleine Parteien, obwohl ihre Chancen, einen Sitz zu ergattern, sehr gering sind. Für jene, die es trotzdem schaffen, wird es schwierig, sich langfristig halten zu können.

Bei den letzten eidgenössischen Wahlen von 2007 gab es einen Rekord von 3089 Kandidaten auf 311 Listen. Unter diesen Listen befanden sich natürlich jene der politischen Schwergewichte und auch bescheidenere Gruppierungen, die jedoch in der politischen Landschaft gut verankert sind und bereits Vertreter im Parlament haben.
 
Alle vier Jahre tauchen aber auch immer wieder kleine, unbedeutende Parteien auf, die mal den Sprung ins Parlament geschafft haben oder es immer wieder versuchen.

Das können Gruppierungen der extremen Linken, der extremen Rechten oder Bürgerbewegungen sein.

Ein zwangsläufiges Problem

Die Anzahl der Listen lässt auf eine grosse Vielfalt der politischen Landschaft in der Schweiz schliessen. Doch diese Vielfalt widerspiegelt sich bei weitem nicht in den Gängen des Bundeshauses.
 
In der grossen Kammer gehören nur gerade mal zehn Nationalräte von 200 nicht zu einer der Regierungsparteien oder zur Grünen Partei, die man mit fast 10% der Wählerstimmen von 2007 nicht unbedingt als eine  “kleine” Partei bezeichnen kann. Im Ständerat gehören nur zwei von 46 Vertretern – zwei Grünliberale – nicht zu einer Regierungspartei oder zu den Grünen.
 
Dass die kleinen Parteien Schwierigkeiten haben, ihre Vertreter ins Parlament zu bringen, liegt vor allem am Wahlsystem. Nur in den grossen Kantonen Genf, Waadt, Zürich oder Bern besteht für sie eine reelle Chance auf Erfolg.
 
“Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sitze in den einzelnen Kantonen ist das eigentliche Problem”, erklärt der Politologe Pascal Sciarini. “In den kleinen Kantonen haben kleine Gruppierungen wenig Chancen, denn je weniger Sitze, desto höher die Hürde.”

Aufmerksamkeit wecken

Es ist erstaunlich, wieso trotzdem viele kleine Parteien unter solchen Bedingungen viel Geld und Zeit in den Wahlkampf investieren, obwohl die Chancen praktisch null sind.

“Einige Gruppen glauben trotz allem an ihre Chancen”, meint der Politologe Georg Lutz. “Andere profitieren von den eidgenössischen Wahlen, um ihre Forderungen bekannt zu machen. Bei den Wahlen von 2007 war das der Fall bei der Männer-Partei, die für die Rechte der geschiedenen Männer einsteht. In diesem Jahr ist die Piraten-Partei zu erwähnen, die für Transparenz und Freiheit im Internet kämpft.”
 
Schliesslich gebe es noch jene Parteien, die genau wüssten, dass sie keine Chance haben. “Wichtig ist für sie, an den eidgenössischen Wahlen eine Liste zu präsentieren, um auf lokaler Ebene überleben zu können”, sagt Lutz. “Ich denke da an die Grüne Partei Bern, die es noch nie ins Bundeshaus geschafft hat, sich jedoch seit Jahren im Berner Stadtrat hält.”
 
Auch Pascal Sciarini sieht im Kampf um Aufmerksamkeit die Motivation der kleinen Parteien. “Sie stellen sich hauptsächlich den eidgenössischen Wahlen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu wecken, nur so können sie überleben.”

Eine Nische schaffen

Der Sprung ins Parlament ist schwierig, aber nicht unmöglich. Gewisse Bewegungen schaffen es mit einem neuen, unverbrauchten Image. “Der Erfolg ist aber meist nicht von Dauer, denn niemand bleibt zehn Jahre neu und unverbraucht,” unterstreicht Georg Lutz.

Obschon schwierig, ist es nicht unmöglich einen Sitz im Parlament zu erobern. Gewissen Bewegungen gelingt dies, weil sie auf das Neusein setzen. “Meistens dauert dies jedoch nicht an, man ist per Definition nicht während zehn Jahren neu”, so Lutz.
 
Wer sich dauerhaft auf der politischen Bühne halten will, müsse drei Bedingungen erfüllen, meint der Politologe weiter. “Es braucht ein Programm, das ist für viele Wähler entscheidend, es braucht Wahlkampfhelfer und finanzielle Ressourcen.”  

 
Ein Rezept für einen langfristigen Erfolgseit auch die Schaffung einer Nische. Das sei der Fall bei religiös motivierten Bewegungen. Es sei jedoch selten, dass dieses Rezept funktioniere.
 
“Wir haben ein äusserst aufgesplittertes System”, sagt Pascal Sciarini. “Die hohe Zahl an Parteien verteilt sich auf das ganze Links-Rechts Spektrum. Deshalb sind die Nischen sehr beschränkt. Aus diesem Grund muss man sich fragen, ob es Parteien wie den Grünliberalen oder der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) gelingt, überall Boden gut zu machen, wie es die Umfragen voraussagen. Ich habe meine Zweifel.”
 
Gewisse politische Bewegungen verschwinden auch wieder so schnell, wie sie gekommen sind. Man denke nur an die Autopartei Ende der 1980er- Jahre. Doch es gibt auch Ausnahmen. Die Grüne Partei der Schweiz konnte sich auf der politischen Bühne etablieren, obschon vor zwanzig Jahren viele dachten, es handle sich um ein vorübergehendes Phänomen.

Ein wiederkehrendes Phänomen

Der Schweizer Parteienlandschaft droht eine noch grössere Zersplitterung, namentlich mit dem Auftauchen der Grünliberalen und der BDP in der Mitte. Für die zwei Politologen sind diese Phänomene zyklisch. Momentan drängten neue Akteure auf die Bühne, bemerkt Georg Lutz. “Mal stehen die grossen Parteien im Scheinwerferlicht, mal die kleinen.“ 


Ob diese Zersplitterung für die kleinen Parteien eine Chance sein könnte, lässt sich kaum abschätzen. “Am rechten Bühnenrand hat sich die Schweizerische Volkspartei mit radikalen Parolen positioniert, da bleibt für andere kein Platz”, sagt Pascal Sciarini. Und die linksradikalen Bewegungen beschränken sich auf die Westschweiz. In der Deutschschweiz regt sich nichts.

Die Chancen der kleinen Parteien, bei den eidgenössischen Wahlen ins Parlament einzuziehen, sind gering. Nach Ansicht der zwei Politologen gibt es nur eine Bewegung, die für eine Überraschung sorgen könnte: “Le Mouvement citoyen genevois“. Die Bewegung erzielte bei den Genfer Kantonalwahlen ein gutes Resultat und könnte dies im Herbst bestätigen.  

Am 23.Oktober wissen wir mehr.

Vier grosse Parteien:

Die Schweizer Politik wird traditionellerweise von vier grossen Regierungsparteien dominiert:

– Schweizerische Volkspartei SVP (28,9% Wählerstimmen 2007),

– Sozialdemokratische Partei SP (19,5%),

– Freisinnig-Demokratische Partei FDP.Die Liberalen (17,7%) 

– Christlichdemokratische Volkspartei (14,5%).

  

Die Grösste der Kleinen:

Die Grüne Partei ist seit mehreren Jahren auf Erfolgskurs. Mit einem Wähleranteil von 9,6% gilt sie nicht mehr als kleine Partei.  

 

Neue Kräfte: Durch Abspaltung sind zwei neue Parteien entstanden. Die Grünliberalen haben sich 2004 von der Grünen Partei getrennt, die Bürgerlich-Demokratische Partei BDP 2008 von der SVP.

Umfragen ergeben für die Wahl im Oktober einen Stimmenanteil von 5,7%, resp. 3,5%. Die Grünliberalen zählen 7 Vertreter im Parlament (5 im Nationalrat, 2 im Ständerat), die BDP 7 (6 im Nationalrat, 1 im Ständerat), zudem ist sie mit einem Sitz im Bundesrat vertreten.

 
Die kleinen Parteien:

Im Parlament sind fünf kleine Parteien mit einem gesamten Stimmenanteil von 5,5% vertreten.

Jede dieser Parteien hat in der Regel 1 bis 3 Vertreter: die Lega dei Ticinesi (1), die Eidgenössisch-Demokratische Union EDU (1), die Christlich-soziale Partei CSP (1), die Partei der Arbeit PdA (1), die Evangelische Volkspartei EVP (2).

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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