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Global denken, auch in Sursee

Papstkritiker und Buchautor Hans Küng. Keystone

Hans Küng, der weltbekannte Schweizer Theologe, hat sein Heimatdorf, das luzernische Sursee, für die Präsentation seines neuesten Buches gewählt. "Anständig wirtschaften" heisst sein Werk, das sich um global gültige Standards für eine gerechte Wirtschaft dreht.

Der 82 Jahre alte Hans Küng lancierte sein neues Buch aus der Provinz. Der vehemente Papstkritiker ist davon überzeugt, dass es möglich ist, an jedem Punkt der Erde global zu denken, auch in Sursee.

In gestochen scharfen Sätzen redete Küng auf dem Dorf in einer Buchhandlung vor seinem Heimpublikum: Schulkollegen, Geschäftsleute, Freunde und Bekannte lauschten seinem Vortrag, der als Thema die Notwendigkeit einer neuen Kultur des Anstandes behandelte.

In der Person von Hans Küng kommen innere und äussere Haltung zusammen. Er sprach in Sursee mit Bodenhaftung, gleichzeitig weltmännisch, im Ton, in Kleidung und Gestus.

Aktueller und notwendiger denn je

“Anständig geschäften”, meinte Küng, “mag vielleicht altertümlich tönen, ist aber als Thema hoch brisant.” Die jüngste Banken- und Immobilienkrise habe auf eindrückliche und brutale Weise gezeigt, dass global gültige ethische Standards notwendiger seien denn je zuvor.

“Wenn die Märkte versagen, der Anstand und die Moral, hat alles versagt”, brachte Küng seine Botschaft auf den Punkt.

Weltethos – Prinzip – Humanität

Hans Küng wirft in seinem Buch einen globalen Blick auf die neuen Erfordernisse und die Wertedebatte unserer Zeit. Der Theologe, der an vielen Universitäten auf der ganzen Welt gelehrt hat, glaubt an ein Welt-Ethos, das auch für die Wirtschaft gelten muss.

Es ruht auf zwei Pfeilern: Auf dem Gegenseitigkeitsprinzip – was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu – und auf dem Humanitätsprinzip – jeder Mensch ist menschlich zu behandeln.

Hans Küngs Buch ist geerdet und handelt nicht von hohen, unnahbaren Theorien. “Anständige Menschen gibt es in allen Religionen und Gesellschaften. Es sind Männer und Frauen, die sich an bestimmte ethische Standards halten”, erklärt Hans Küng gegenüber swissinfo.ch.

“Das gibt Hoffnung in einer Zeit, wo einflussreiche Persönlichkeiten nicht immer mit dem guten Beispiel voran gehen.”

Weltethos ist kultur- und religionsübergreifend

Als Hans Küng sein neuestes Werk “Anständig wirtschaften” schrieb, hat er auch an Manager, Tankerkönige, Börsianer, Spekulanten und Profiteure gedacht. Sie alle ermahnt Küng an ein Weltethos, das kultur- und religionsübergreifend wirken soll und kann.

Es gebe keine Unternehmenskultur ohne Persönlichkeitskultur, meint Küng. Unternehmer, Wissenschafter, Politiker, Erzieher und Verwalter müssten sich der eigenen sittlichen Werteinstellung bewusst werden, um so die ethischen Aspekte der Führungsrealität präziser zu fassen, schreibt der Theologe.

Küng stellt mit Genugtuung fest, dass es im grossen Konzert global tätiger Firmen und Konzerne auch solche gebe, deren oberste Führungsteams sich an weltethische Normen halten.

Wenn in einem solchen Umfeld leitende Mitarbeiter sich über die selbst gesetzten Normen und Werte hinweg setzten, könnten diese nicht darauf zählen, dass sie im Fall von Rechtsstreitigkeiten von der Konzernspitze geschützt oder verteidigt würden, hält Küng fest.

Globale Wirtschaft braucht globale Werte

Hans Küng nimmt in seinem neuen Buch nicht Partei für eine bestimmte wirtschaftliche Weltordnung. Er ist aber davon überzeugt, dass in der globalen Wirtschaft auch globale Werte und Haltungen beachtet werden müssen, soll sich die Marktwirtschaft durch Gier und Masslosigkeit nicht selbst zerstören.

Am Schluss des Buches entwirft Hans Küng ein Manifest für Welt-Ethos – das zentrale Thema, mit dem sich der Theologe aus dem luzernischen Sursee seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt.

Auch diesem – vordergründig abgehobenen – Manifest fehlt es nicht an Bodenhaftung, wie der Autor in einem markigen Votum zum Schluss formuliert: “Jedes Bewerbungsgespräch dreht sich im Grunde um die
zentrale Frage: Wie ist er oder sie? Als Mensch, Person, Charakter? Woran ist man mit ihm, mit ihr? Kann ich mich auf die Person verlassen? Woran halten sich Manager in jedem Fall, was gilt für ihn unbedingt, kategorisch, ohne Wenn und Aber?”

Hans Küng (82) ist ein international bekannter Theologe, römisch-katholischer Priester und Autor.

Er studierte an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom Philosophie und Theologie und nahm als Experte am Zweiten Vatikanischen Konzil teil.

Küng gilt als einer der bekanntesten und umstrittensten katholischen Kirchenkritiker. 1979 wurde ihm wegen kritischer Veröffentlichungen die kirchliche Lehrbefugnis entzogen.

Er blieb aber trotzdem bis zu seiner Emeritierung Professor für Ökumenische Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Hans Küng ist Initiator und seit 1995 Präsident der Stiftung Weltethos mit Sitz in Tübingen. 1993 hatte das Parlament der Weltreligionen eine “Erklärung zum Weltethos” in Chicago verabschiedet.

Der Entwurf dazu entstand unter seiner Federführung am Institut für ökumenische Forschung der Universität Tübingen. Vertreter aller Religionen verständigen sich über Prinzipien eines Weltethos. Weltethos ist als Vision eines globalen Bewusstseinswandels zu verstehen.

Menschen – ob weltweit, national oder lokal – sind für ein friedliches Zusammenleben auf gemeinsame elementare ethische Werte, Massstäbe und Haltungen angewiesen. Solche Werte finden sich in allen grossen religiösen und philosophischen Traditionen der Menschheit. Sie müssen nicht neu erfunden, aber den Menschen neu bewusst gemacht, gelebt und weitergegeben werden.

Heiligt der Profit die Mittel? Gier gilt als geil und das Wachstumspotenzial der Kapitalmärkte scheint grenzenlos. Mit diesem Credo haben Banker, Analysten, Manager, Rating-Agenturen und Anleger die Weltwirtschaftskrise mit verursacht. Viele Experten fordern neue Werte für die Wirtschaft- aber welche?

In seinem neuen Buch beschäftigt sich Hans Küng mit der Frage des gerechten Wirtschaftens. Der Sozialismus ist abgewirtschaftet, der Kapitalismus steckt in einer Krise. Gibt es, braucht es einen dritten Weg?

Hans Küng macht es sich nicht einfach mit seinen Antworten. Er prüft in seinem neuen Werk die Grundlagen der Globalisierung, die moralische Seite des Gewinnstrebens, und er durchleuchtet die wahren Kosten der Marktwirtschaft.

Hans Küng plädiert für einen Wertekanon, ein Welt-Ethos, das dem Einzelnen und der Gesellschaft den Weg zum “anständig Wirtschaften” weist.

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