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«Es liegt am Papst, sich zu entschuldigen»

Papst Benedik XVI. legt dem Dialog der Religionen keinen roten Teppich aus. Keystone

Papst Benedikt XVI. hat mit der Aufhebung der Exkommunikation des Holocaust-Leugners Richard Williamson für Empörung gesorgt. Dass die Pius-Bruderschaft antijüdische Ressentiments verbreitete, habe der Papst zweifellos wissen müssen, sagt Theologe Hans Küng.

swissinfo: Zuerst hat Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation von vier ultrakonservativen Bischöfen der Pius-Bruderschaft aufgehoben, jetzt verlangt er von Holocaust-Leugner Richard Williamson plötzlich eine Entschuldigung. Was soll man davon halten?
Hans Küng: Das ganze ist ein Zickzack-Kurs und zum Teil auch ein Ablenkungsmanöver.

Es ist ganz klar, dass der Papst einen kolossalen Fehler gemacht hat, indem er alle vier Bischöfe aufnahm, die sich gegen das zweite Vatikanische Konzil gewendet hatten, und zwar nicht nur bezüglich des Judentums, sondern auch bezüglich der Religions- und Gewissensfreiheit allgemein, der Verständigung mit den evangelischen Kirchen, der Annäherung an den Islam und andere Weltreligionen und der liturgischen Reformen.

Es hat sich alles zugespitzt, weil einer dieser Bischöfe die Ungeheuerlichkeit besass, den Holocaust faktisch zu leugnen. Es ist nicht gemacht damit, dass jetzt dieser Bischof diese horrenden Aussagen zurücknimmt. Im Grunde liegt es am Papst, eine persönliche Entschuldigung auszusprechen und die Aufhebung der Ex-Kommunikation rückgängig zu machen.

Wir erwarten vom Papst, dass er sich nicht anschmiegt an diese Leute, die noch eine Kirche des Mittelalters und der Gegenreformation vertreten.

swissinfo: Glauben Sie, dass der Papst wirklich nicht darüber informiert war, dass Richard Williamson den Holocaust geleugnet hat?

H.K.: Es kann sein, dass er nicht informiert war über die Leugnung des Holocaust, aber er war zweifellos informiert darüber, dass die Pius-Bruderschaft antijüdische Ressentiments verbreitete. Insofern ist das keine Entschuldigung.

swissinfo: Was halten sie davon, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Vatikan-Politik interveniert?

H.K.: Das ist ein Warnzeichen für die römische Kurie. Es zeigt, dass sie auch in politische Schwierigkeiten gerät.

Denn es ist der deutschen Bundeskanzlerin ein Anliegen, dass sie sich zur Sprecherin von Millionen Katholiken in Deutschland und zu jener der protestierenden, jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und deren Organisationen macht. Und natürlich will sie keine Zweideutigkeit in Bezug darauf aufkommen lassen, dass es ein deutscher Papst ist, der sich mit den Juden nicht versteht.

swissinfo: Inwiefern war Merkels Kritik ausschlaggebend dafür, dass der Papst nun eine Entschuldigung von Williamson verlangt?

H.K.: Das hat zweifellos Einfluss gehabt. Wenn ein Theologe sich gegen diese ganze unmögliche Restaurationspolitik wendet, ist das für die römische Kurie nicht immer so von grosser Bedeutung, wohl aber, wenn eine Politikerin von diesem Format sich gegen diese Politik wendet.

swissinfo: Der Papst hat kürzlich den erzkonservativen Pfarrer Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz gemacht. Dieser hatte es als «Strafe Gottes» bezeichnet, dass der Hurrikan Katrina in New Orleans vier Abtreibungs-Kliniken heimsuchte. War sich der Papst bewusst, was er mit dieser Ernennung auslösen würde?

H.K.: Natürlich sieht er nicht immer die konkreten Wirkungen, aber die ganze Politik wird ja seit dem Konzil bewusst betrieben.

Diese Ernennung ist jetzt wieder ein Sonderfall, der besonders Aufsehen erregt hat. Aber alle Bischöfe, so weit sie von Rom allein bestimmt werden konnten, liegen normalerweise auf der konservativen bis reaktionären Linie.

Wir sind heute auf einem Restaurationskurs. Das wurde erreicht einerseits durch eine Menge reaktionärer Dokumente und andererseits durch diese Bischofsernennungen. Wir können froh sein, dass in der Schweiz und im Bistum Basel der Bischof noch von Repräsentanten der Diöszese gewählt wird und Rom diesen nur bestätigen kann.

Auch da hat Rom immer wieder versucht, Einfluss zu nehmen, um einen Kandidaten ihres Wohlgefallens durchzusetzen.

swissinfo: Wo sehen Sie sonst noch Zeichen für einen Rechtsrutsch des Vatikans?

H.K.: Es zeigt sich einfach, dass alle Reformforderungen blockiert werden.

Das System wird leider immer zentralistischer. Es bedürfte dringend einer Änderung der Wahl der Bischöfe und auch der Papstwahl.

Wie es jetzt aussieht, wird immer wieder ein Mann des Systems gewählt. Joseph Ratzinger war der Exponent dieser konservativen Linie, und er ist von konservativen Kardinälen schliesslich zum Papst gewählt worden – wider alle Erwartungen.

swissinfo: Der Papst hat nicht nur die jüdische Gemeinde verschiedentlich vor den Kopf gestossen. Bei seiner Regensburger Rede löste er auch in der muslimischen Welt eine Welle der Empörung aus. Die Zeit des Dialogs der Religionen scheint vorbei.

H.K.: Der Papst lebt seit Jahrzehnten in einer isolierten klerikalen Welt.

Er kennt die Welt nur aus der Perspektive des Vatikans und kann sich gar nicht vorstellen, wie seine Aussagen wirken.

swissinfo: Wollen Sie damit sagen, dass der Papst den Bezug zur Realität verloren hat?

H.K.: Der Papst tut so, als ob die Touristen, die jeweils in Mengen auf den Petersplatz kommen, die Kirche repräsentieren würden.

Er sieht nicht, dass grosse Jugendtreffen wie in Deutschland oder in Australien überhaupt nicht repräsentativ sind für die Jugend dieser Länder.

Und der Papst sieht nicht, dass heute Tausende von Pfarreien keine Pfarrer mehr finden, weil er nicht bereit ist, verheiratete Pfarrer oder Frauen zuzulassen. Das sind doch unmögliche Haltungen. Es hängt alles von einem Mann ab.

swissinfo: Was ist die Konsequenz einer solchen Vatikan-Politik im aktuellen Weltgeschehen?

H.K.: Der Papst hat einen ungeheuren Glaubwürdigkeitsverlust erlitten. Das zeichnet sich gerade in Deutschland ab, wo er ja begeistert begrüsst worden ist. Der damalige Slogan «Wir sind Papst» ist jedoch längst vom Slogan «Wir sind des Papstes Leid» abgelöst worden.

Man hat jetzt in Deutschland Angst, dass auf die ganze Nation ein Schatten fällt, wenn gerade ein deutscher Papst sich so wenig versteht mit den Juden und den Muslimen.

swissinfo-Interview: Corinne Buchser

Hans Küng ist 1928 in Sursee im Kanton Luzern geboren.

Studium der Philosophie und Theologie in Rom, 1955 Ordination zum katholischen Priester.

Ab 1960 Ordentlicher Professor an der Universität Tübingen.

1962/65: Offizieller Berater des 2. Vatikanischen Konzils, zusammen mit Joseph Ratzinger, dem jetzigen Papst Benedikt XVI.

Küngs Kritik an der Unfehlbarkeit der Kirche kostete ihn 1979 die Lehrerlaubnis.

Tübingen ermöglichte ihm damals mit einem Trick die weitere Lehrtätigkeit: Sein Institut wurde einfach aus der Fakultät ausgegliedert.

1995 Präsident Stiftung Weltethos.

2008 erhielt Küng in Berlin die Otto-Hahn-Friedensmedaille in Gold.

Novartis-Chef und -VR-Präsident Daniel Vasella geht doch nicht unter die Radiokommentatoren.

Vorgesehen war, dass Vasella jeden Samstag im Februar bei Radio Vatikan ein aktuelles Ereignis kommentiert, wie der Sender am Mittwoch mitteilte.

Vasella hätte dies aus einer «ethischen Perspektive» tun sollen. Der Novartis-Chef und ehemalige Zögling eines katholischen Gymnasiums bezog letztes Jahr rund 40 Mio. Franken.

Vasellas erster Kommentar hätte dem «Missmanagement und falschen Personalentscheiden» gegolten. Doch aufgrund der «aktuellen Debatte» über den Vatikan und die Piusbruderschaft habe Radio Vatikan beschlossen, die entsprechenden Kommentare redaktionsintern zu verfassen.

Der Sender teilt ausserdem auf seiner Internetseite mit, «dass Novartis offenbar auch Verhütungsmittel herstellt, was wir erst jetzt aus der Presse erfahren haben. Das beeinflusste natürlich auch unsere Entscheidung.»

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