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“Ostern steckt in uns allen”

Sergius Golowin, Sammeler und Erzähler alter Mythen und Geschichten. RDB

Wären alle Osterbräuche vergessen, würden die Menschen sie neu erfinden, sagt der Schweizer Schriftsteller und Mythenforscher Sergius Golowin.

Ob in der Vorgeschichte oder im Christentum: Ostern steht für Geburt und Auferstehung von Mensch und Natur nach dem Winter, der toten Jahreszeit.

swissinfo: Menschen schmücken Zimmer mit Knospen tragenden Zweigen, die mit Eiern behangen sind. Ist das ein alter oder neuerer Osterbrauch?

Sergius Golowin: Das geht aus Quellen nicht eindeutig hervor. Würden wir aber die vorgeschichtlichen und christlichen Bräuche nicht mehr kennen, kämen wir von selbst auf solche. Im Ostermonat April sind die Tage des Grünens und des Wachsens, des Blühens und Auferstehens.

Ostern steckt in uns, fast wie ein Instinkt. Wir können wahrscheinlich gar nicht anders, als uns am Frühling zu freuen und darüber, dass es hell und licht wird.

Die Wurzeln von Ostern gehen in die Vorgeschichte zurück. Was feierten die Menschen genau?

Die Zeit der Auferstehung ist der Beweis, dass man den kalten und finsteren Winter überlebt hat. Darüber haben sich die Menschen gefreut, indem sie die ersten Blumen und Zweige gepflückt haben.

Auch wurden zu Ostern Eier verschenkt, damals eine der Hauptnahrung der Menschen. Eier wurden oft rot gefärbt, in der Farbe des Feuers, der Sonne und der Morgenröte.

Der Hase, der die Eier brachte, galt als Symbol der Fruchtbarkeit, weil Hasen viele Junge haben. In Traumbüchern hiess es, dass glücklich wird, wer an Ostern von Eiern oder Hasen träumte. Wer an Ostern im Morgengrauen einen Hasen sah, blieb gesund und hatte ein gutes Jahr.

Waren vorgeschichtliche Feste generell ein Spiegel der Jahreszeiten?

Ja, man musste sein Leben nach den Jahreszeiten ausrichten. Menschen und Arbeit waren Teil eines Kreislaufs, den sie lebten.

Im Frühling erwachte das Leben, die Menschen mussten Arbeiten beginnen, die ihre Ernährung und ihr Überleben sicherten und die Lebensfreude steigerten.

Dann kam der Höhepunkt des Mittsommers, wo alles in der Blüte stand. Im Herbst erlosch die Natur langsam wieder und es ging in den Winter hinein.

Menschen heute leben eher von der Natur abgekoppelt. Sind deshalb Feiertage oft durch Konsum und Alltagsflucht geprägt?

Klar sind Ostereier und Osterhasen aus Schokolade Konsum. Aber sie erinnern uns an Feste und Bräuche unserer Vorfahren. Essen und Trinken haben immer eine grosse Rolle gespielt.

Es gab beispielsweise den Brauch, dass man an Ostern vor Sonnenaufgang schweigend zu einem Brunnen oder einer Quelle ging. Mit dem Trinken des Osterwassers blieb man gesund und fröhlich. Dieser alte Brauch wird heute zum Teil wieder aufgenommen.

Das Christentum verknüpfte Ostern mit der Jesus-Geschichte: An Karfreitag wurde Jesus gekreuzigt, am Ostersonntag ist er auferstanden. Was bedeutet Ostern in der christlichen Kirche?

Man glaubte im Christentum genau wie in der Vorgeschichte an die Auferstehung in der Natur, die von Gott erschaffen worden war. In der Natur konnten die Menschen den Heilsvorgang sehen, das Versprechen Gottes, dass alles immer wieder aufersteht und grün wird.

Demnach haben die christlichen Kirchen die alten Osterbräuche nicht instrumentalisiert?

Nicht eigentlich. Die Ostkirchen beispielsweise kennen nicht das Bild von Christus am Kreuz, sondern zeigen den auferstandenen Christus, der von Licht umflossen aus der Erde steigt und ihnen damit das Glück, das Heil und die Erlösung schenkt.

Kinder, die ihr Osternest suchen, stehen im Zentrum von Ostern. War das schon immer so?

Offenbar. Früher konnten Kinder im Winter das Haus kaum verlassen, weil sie noch nicht genügend gegen Schnee und Kälte geschützt waren und es noch kein Skifahren oder Schlitteln gab.

Im Frühling sah man die Sonne wieder und ging mit Freude nach draussen, etwa auf einen Hügel, um die Sonne und das neue Jahr zu begrüssen.

Ist Ostern also das lebensbejahendste aller Feste?

Ja. Wir müssten ‘über-zivilisiert’ werden, sollte Osterfest seine Bedeutung verlieren. Blicken wir tief in die menschliche Seele, haben die Schokolade-Eier noch fast den gleichen Sinn wie die liebevoll rot bemalten Eier in den alten Bräuchen.
 

Sergius Golowin:
1930 in Prag geboren, seit 1933 in die Schweiz. Er lebt in Bern.
Golowin ist Bibliothekar, Volkskundler, Mythenforscher, Politiker und Schriftsteller.
1974 erhielt er den Preis der schweizerischen Schillerstiftung für seine Verdienste um die Volkskunde und die Kulturen am Rande der Gesellschaft.
In den 1950er-und 60er-Jahren gehörte Golowin zu den führenden Köpfen der so genannten Nonkonformisten (Unangepasste) in der Schweiz.

Ursprünge von Ostern gehen in die Vorgeschichte zurück: Mit Osterbräuchen hiessen Menschen den Frühling willkommen.

Wichtiges Element der Osterbräuche ist das Ei als Symbol der Fruchtbarkeit.

Seit dem 2. Jahrhundert gedenken christliche Kirchen am Ostersonntag der Auferstehung von Jesus, der am Freitag davor, dem Karfreitag, gekreuzigt wurde.

Ostern ist die wichtigste Feier im christlichen Festkalender. Diese signalisiert den Sieg des Lebens über den Tod.

Der Ostersonntag ist der erste Sonntag nach Vollmond im Frühling.

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