Genf – Quelle des US-Patriotismus

In Genf findet jeweils am 4. Juli die grösste Feier des amerikanischen Unabhängigkeitstages ausserhalb der USA statt.
Dieses Jahr überschneidet sich die Feier mit dem Bemühen der Schweiz, den USA näher zu kommen. Laut dem ehemaligen Wissenschafts-Konsul Xavier Comtesse eine Chance.
Zum gleichen Zeitpunkt, in dem die Amerikaner-Gemeinde in Genf ihren Unabhängigkeitstag feiert, macht die offizielle Schweiz Washington wieder schöne Augen.
Seit 50 Jahren gedenkt der Genfer Amerika-Club der Unabhängigkeit der USA von Grossbritannien, die am 4. Juli 1776 in Philadelphia ausgerufen wurde. Mit den Jahren änderte der Anlass in Genf seinen Charakter: Er entwickelte sich zu einem Volksfest, das Zehntausende anzieht – also viel mehr Leute, als überhaupt Amerikaner am Genfersee leben.
Dieses Jahr fällt das Fest zeitlich zusammen mit dem deklarierten Willen der Schweizer Regierung, ihre Bindung mit dem Land zu festigen, in dem Thomas Jefferson vor über 200 Jahren die Unabhängigkeits-Erklärung der Vereinigten Staaten verfasste.
Die Schweiz zielt vor allem auf einen Freihandelsvertrag mit den USA, einem seiner wichtigsten Handelspartner.
Diese Absicht wird von Xavier Comtesse, dem Westschweizer Direktor von Avenir Suisse, begrüsst. Avenir Suisse ist ein Think Tank, der von der Schweizer Wirtschaft finanziert wird.
Der Ideenlieferant Comtesse weiss, wovon er spricht, lebte er doch sieben Jahre in den USA, wo er der erste Schweizer Wissenschafts-Konsul in Boston wurde und das «Swiss House» erfand.
swissinfo: Die grösste Feier der amerikanischen Unabhängigkeit ausserhalb der USA findet jeweils in Genf statt. Überrascht Sie das?
Xavier Comtesse: Nicht wirklich. Genf gilt ja als Rom des Protestantismus – einer Religion, die die USA tief prägt. Viele Amerikaner haben deshalb ein besonderes Verhältnis zu Genf.
Die Calvin-Stadt gilt ihnen als eine wichtige Quelle ihrer Lebens-Prinzipien. Das dürfte sich vor allem 2009 zeigen, wenn der 500. Jahrestag der Geburt von Jean Calvin gefeiert wird.
swissinfo: Schweizerischerseits hat sich das Bild Amerikas in den letzten Jahren doch ziemlich verschlechtert?
X. C.: Zum ersten grossen Bruch kam es mit der Affäre der nachrichtenlosen Vermögen. Darauf folgte die US-Offensive im Irak – wiederum eine Politik, die von zahlreichen Schweizern nicht verstanden wurde.
Darüber hinaus jedoch gibt es zwischen den beiden Ländern viel Gemeinsames, von ihren ähnlichen Verfassungen bis zu ihren ähnlichen, auf dem Föderalismus basierenden politischen Strukturen.
swissinfo: Die Schweiz möchte ihre Bindung zu den USA verstärken und strebt einen Freihandelsvertrag an. Was ist davon zu halten?
X. C.: 2003 wurde die Schweiz der sechstgrösste ausländische Investor in den USA. Die Schweiz hat 113 Mrd. Franken in Amerika investiert, womit unser Land sogar Kanada aussticht. Ihrerseits sind die Amerikaner mit 86 Mrd. Franken die grössten Investoren in der Schweiz.
Für die USA sind wir die viertwichtigste Investitions-Destination weltweit. Ausserdem sind die USA einer der wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Dazu forschen rund 8000 Schweizer Wissenschaftler in Amerika, und rund 80’000 Schweizer leben dort.
swissinfo: Welche Wirtschaftsbranchen würden von einem derartigen Freihandelsvertrag am meisten profitieren?
X. C.: Der High-Tech-Sektor in erster Linie. Dessen Beziehungen haben sich in den letzten Jahren intensiviert, wie das neue Forschungszentrum von Novartis in Boston bezeugt.
swissinfo: Wie sehen uns denn die USA in wirtschaftlicher Hinsicht?
X. C.: Die Schweiz wird als Brückenkopf für ganz Europa erachtet. In den letzten zehn Jahren haben viele US-Firmen in der Schweiz ihren Europa-Sitz eröffnet.
swissinfo: Der Umstand, dass die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, scheint dabei nicht besonders zu stören?
X. C. Mit den bilateralen Verträgen zwischen Brüssel und Bern hat die Schweiz praktisch den «Europäischen Wirtschafts-Raum» EWR wiederhergestellt, der vom Volk 1992 abgelehnt worden war.
swissinfo: Wie kann der Schweiz etwas von diesem Unternehmer-Geist eingeflösst werden, der weiterhin den Erfolg der USA ausmacht?
X. C. Die Rückkehr der Schweizer, die in den USA studieren und arbeiten, sollte unterstützt werden. Diese Leute sind ausgezeichnete Kandidaten, um in der Schweiz Unternehmen zu gründen.
Dabei ist zu erwähnen, dass rund 80% der Stipendien, die der Schweizerische Nationafonds vergibt, an Studierende gehen, die nach Amerika reisen.
swissinfo: Was fehlt in der Schweiz für den Unternehmer-Geist? Und was könnte ein US-schweizerisches Näherrücken diesbezüglich bringen?
X. C.: Die Schweiz bleibt ein extrem erneuerungssüchtiges Land. Doch was fehlt, ist die Lust, die Erfindungen in kommerziellen Erfolg umzuwandeln. Das wäre dann eben dieser Unternehmer-Geist, den wir von den Amerikanern kennen können.
Im vergangenen Dezennium haben viele Start-Ups in der Schweiz begonnen, doch ohne grosse Lust, die Welt zu erobern oder eine Nische zu suchen.
swissinfo: Fehlt es in der Schweiz nicht auch an Investoren und an Risikokapital?
X. C.: Ja. Deshalb brauchen wir ja die Amerikaner. Um sie zu motivieren, in Schweizer Projekte zu investieren. Ein Freihandelsvertrag würde dies erleichtern.
Interview swissinfo: Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)
Die ersten konsularischen Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA gehen auf die Jahre nach 1820 zurück.
Die diplomatischen Beziehungen wurden formell 1853 aufgenommen.
Mehr als eine Million US-Bürger haben Schweizer Vorfahren.
Mehr als 13’000 US-Bürger leben in der Schweiz, 71’000 Schweizer leben in den USA.

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