The Swiss voice in the world since 1935

Schweizer «Spion» für den deutschen Fussball

Urs Siegenthaler, der taktische Berater von Jürgen Klinsmann. Keystone

Der Schweizer Urs Siegenthaler ist seit einigen Wochen als taktischer Berater beim Trainer der deutschen Fussball-Nationalmannschaft, Jürgen Klinsmann, tätig.

Der Nationalcoach beschäftigt den Basler bis zum Ende der Fussball-WM 2006 in Deutschland als Chef-Scout – er soll die Gegner beobachten.

«Muss uns ein Schweizer den Fussball erklären?» oder «Haben wir in Deutschland keinen Trainer, der diesen Job machen kann?», fragten sich die deutschen Boulevard-Medien, als Siegenthalers Engagement als «Chef-Spion» bei Jürgen Klinsmann bekannt wurde.

Ganz anders tönt es aus dem Umfeld des deutschen Nationalteams. Der Assistent von Klinsmann, Joachim Löw, erklärte neulich, er habe noch nie jemanden erlebt, der ihm Taktik so gut erklärt habe wie Siegenthaler. Löw absolvierte unter dem Schweizer seine Trainerausbildung. Und auch Jürgen Klinsmann ist auf der gleichen Wellenlänge, wenn er erklärt: «Ich will nicht die besten Mitarbeiter, ich will die allerbesten.»

Nach dem vorzeitigen Ausscheiden des deutschen Nationalteams bei der EM 2004 in Portugal hat «Sonnyboy», wie Klinsmann auch genannt wird, die Aufgabe, auf die WM 2006 frischen Wind in die Nationalmannschaft zu bringen, die vor eigener Kulisse spielen kann. Was ihm beim Konföderationen-Cup im Juni in Deutschland zum Teil bereits gelungen ist.

Graue Eminenz

Um sein Ziel zu erreichen, zählt Klinsmann auf die Arbeit seines Beraters. Siegenthaler, selbständiger Unternehmer in der Schweiz, früher selber Fussballer und graue Eminenz schon bei mehreren Coaches, wurde von Klinsmann-Assistent Löw für den neuen Job in Deutschland rekrutiert.

Offiziell ist Urs Siegenthaler vom Deutschen Fussball-Bund als Chef-Scout eingesetzt. «Doch in Gesprächen mit Klinsmann und Löw über Fragen des Aufgabenkreises sind wir im Trainerstab übereingekommen, dass meine Arbeit wenig mit dem zu tun hat. Ich suche ja eigentlich niemanden», sagt der Basler gegenüber swissinfo.

Er hole lediglich Informationen für den Trainerstab. «Ich bin Analytiker, Taktiktrainer und Berater des Trainerstabs», umreisst er seine Aufgabe.

Gelassene Reaktion

Auf den Aufschrei der deutschen Boulevardpresse, sich als grosse Fussballnation einen taktischen Berater aus dem Fussball-Zwergenland Schweiz gefallen lassen zu müssen, reagierte Siegenthaler gelassen.

Man müsse lernen, mit Kritik umgehen zu können. «Mich hat das wenig berührt, denn man kann auch über meine Schwächen reden.»

Heute sei ja alles vorbei. Nach dem Konföderationen-Cup habe es eine Kehrtwendung, einen völligen Meinungsumschwung gegeben.

«Ich habe einer der Boulevard-Zeitungen gesagt, wenn ihr schon 30 Jahre zurückgehen müsst, um meine Schulzeugnisse abzubilden, dann ist das ja schon ein gutes Zeichen für meine Person.»

Positive Bilanz des Konfed-Cups

Siegenthaler zieht für das deutsche Team eine positive Bilanz aus dem Konföderationen-Cup vom Juni, wo Deutschland hinter Brasilien und Argentinien Dritter wurde. Er sei zwar nicht Bundestrainer, «doch nichts desto trotz denke ich natürlich, dass auch ich einen kleinen Prozentsat zu diesem positiven Resultat beigetragen habe; dass der Stilwandel, die Einstellung, die taktische Bereitschaft mitunter eben auch zurückzuführen ist auf meine Informationen».

Er habe von Klinsmann und Löw direkte Aufgaben erhalten und versucht, diese auf seine Art, mit seinem Wissen umzusetzen. Die Trainer hätten sich das angeschaut und seien dann der Meinung gewesen, dass er das direkt der Mannschaft selber vortragen und erklären müsse – «da war ich selber überrascht».

Überwältigende Reaktionen

Schon in den ersten Spielen habe sich gezeigt, dass die Mannschaft sehr positiv auf seine Anweisungen eingegangen sei, sagt Siegenthaler. «Das Echo von meinen Informations-Zuträgern aus der Schweiz auf die Spiele der deutschen Mannschaft am Konfed-Cup war ja dann fast zu überwältigend. Sie sprachen von tollem Wandel – plötzlich wird jetzt in Deutschland Fussball gespielt, war der Tenor.»

Und als ob das nicht genug wäre, meldete sich auch noch die brasilianische Fussball-Legende Pelé zu Wort: «Die deutschen Nationalteams sind physisch und mental immer sehr solide gewesen; aber es ist schon lange her, seit ich von einer deutschen Nationalmannschaft ein derart schnelles Angriffsspiel gesehen habe.»

Heute schon zu sagen, Deutschland gehöre nach der guten Leistung am Konfed-Cup zu den Top-Favoriten für die WM 2006, scheint Urs Siegenthaler allerdings zu früh. «Es braucht auch noch viel Glück dazu», erklärt er. «Das ist vielleicht meine Stärke, dass ich auch weiss, was noch fehlt zu einem WM-Titel.»

Die Schweiz hätte ihn auch haben können

Wieso hat Siegenthaler für seinen Job Deutschland und nicht die Schweiz gewählt? «Ich weiss es letztlich nicht, da sind halt manchmal Zufälle», sagt der Basler. Er habe im Ausland privat schon zwei, drei Trainer beraten und viele Referate gehalten. So sei man halt in Deutschland auf ihn aufmerksam geworden. «Wenn die Schweiz auf mich zugekommen wäre, hätte ich natürlich auch nicht Nein gesagt.»

Der Basler geht übrigens davon aus, dass sich die Schweizer Nationalmannschaft für die WM 2006 in Deutschland qualifiziert. Siegenthaler zu swissinfo: «Die Schweiz ist stark.»

swissinfo, Jean-Michel Berthoud und Mathias Froidevaux

Urs Siegenthaler war Spieler beim FC Basel (1967-73 und 1979-82), Neuchâtel Xamax (1974) und den Young Boys (1975-78).
Er trainierte den französischen Club Toulouse (1984-85) sowie den FC Basel (1988-91). Von 1986-88 gehörte er zum Trainerstab von Nationalcoach Daniel Jeandupeux.
Seit Mai 2005 bis zum Ende der Fusssball-WM 2006 in Deutschland ist Siegenthaler Chef-Scout beim neuen deutschen Nationalcoach Jürgen Klinsmann.

Eine erste Prüfung für seine Beraterarbeit bei Klinsmann war der Konföderationen-Cup vom Juni in Deutschland. Teilnehmer waren die Nationalteams von Brasilien, Argentinien, Mexiko, Griechenland, Tunesien, Australien sowie Gastgeber Deutschland.

Brasilien gewann das Endspiel gegen Argentinien mit 4:1. Deutschland wurde Dritter. Die deutsche Nationalmannschaft wurde bisher dreimal Fussball-Weltmeister und dreimal Europameister.

Mit der Schweiz verbunden

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft