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Berlusconi geht – Unsicherheit bleibt

Der "Cavaliere" verliert immer mehr an Rückhalt – sowohl im Parlament wie auch in der Bevölkerung. Reuters

Italiens Ministerpräsident hat am Dienstagabend seinen Rücktritt angekündigt. Den Hut nehmen will er aber erst, wenn das Parlament ein Sparpaket abgesegnet hat. Die Schweizer Presse reagiert erfreut. Italien stehe aber noch vor gewaltigen Aufgaben.

“Finalmente!”, endlich, titelt die Neue Zürcher Zeitung. “Am eigenen Werk gescheitert”, kommentierten Tages-Anzeiger und Der Bund. “Späte Einsicht”, schreibt die Basler Zeitung. “Dieser Entscheid sollte die Märkte beruhigen”, kommentiert die Westschweizer Le Temps.

Das Boulevardblatt Blick schliesslich lässt sich die Chance nicht entgehen und schöpft aus dem Vollen: “Finito Bunga-Bunga!” Doch selbst die seriöseren Blätter geizen an diesem Tag nicht mit Bildern von hübschen jungen Frauen.

Noch am Montag hatte der für seine undurchsichtigen Frauengeschichten berüchtigte “Cavaliere” verlauten lassen, er denke nicht daran, zurückzutreten. Doch bereits am Dienstagabend musste Silvio Berlusconi bei Staatspräsident Georgio Napolitano antraben und klein beigeben.

“Das Spiel ist vorbei, auch wenn Staatspräsident Giorgio Napolitano dem regierenden Egomanen noch einen kleinen Aufschub bis zum endgültigen Schlusspfiff eingeräumt hat”, schreibt die Basler Zeitung. “Silvio Berlusconi muss sich einer Realität beugen, die er Stunden zuvor noch geleugnet hat.”

“Berlusconis Rücktritt war überfällig”, kommentiert die Neue Zürcher Zeitung. “Reichlich spät hat Silvio Berlusconi eingesehen, dass sein Kampf um die Macht verloren ist.”

Berlusconi selber habe Italien an den Rand des Abgrunds gebracht, so der Kommentator. “In der laufenden Legislaturperiode haben die Kontroversen um die peinlichen Skandale des Regierungschefs und sein Kampf gegen die Justiz die dringend notwendigen wirtschaftlichen Reformen verunmöglicht.”

Der “Cavaliere” sei so nicht nur zur Hypothek für Italien geworden, “sondern auch für Europa und die Bewältigung der Schuldenkrise”. Für die NZZ ist deshalb klar: “Ohne Berlusconi sind die Aussichten für Italien zweifellos besser.”

Druck von aussen

Der Impuls für seinen Rücktritt sei schliesslich von aussen gekommen, durch den Druck der Europäischen Union und der Finanzmärkte, welche die Zinsen für italienische Staatsanleihen immer höher hinaufgetrieben hätten, schreiben Tages-Anzeiger und Der Bund. Dies entlarve eine beängstigende politische Schwäche des Landes.

“Diese hat Berlusconi massgeblich mitverursacht. Systematisch und gezielt hat er die staatlichen Institutionen delegitimiert und geschwächt. Sei es das Parlament, das er mit Starlets besetzte, sei es die Justiz, die er mit einer rabiaten Vehemenz bekämpfte. Jetzt ist ihm sein eigenes Werk zum Verhängnis geworden.”

Italien brauche nun eine “starke und vertrauenswürdige Führung”, die Strukturreformen einleite und die Schuldenspirale stoppe. “Ob Italien nach 17 Jahren Berlusconi noch die Kraft dafür aufbringt, ist fraglich.”

Auch die Freiburger Zeitung La Liberté ist überzeugt, dass der Druck von aussen massgeblich beteiligt war am “Fall” Berlusconis. “Der G-20-Gipfel von letzter Woche, mit einem gelifteten wie pathetisch isolierten Berlusconi, hatte zum Halali geblasen.”

Beruhigte Märkte – oder nicht?

“Aus und vorbei! Nur noch wenige Tage bleiben Silvio Berlusconi, um das schöne Leben als Ministerpräsident zu geniessen”, schreibt der Blick. Der “Mischler Berlusconi” habe seinen “Abgang verpasst”, so das Boulevardblatt. “Sein Abgang freut die Börsen, der Euro steigt. Alle jubeln. Doch womöglich zu spät. Für Analysten der Barclays Bank wurde der Zeitpunkt für einen Kurswechsel verpasst.”

Anders sieht es die Westschweizer Le Temps: Die Rücktrittsankündigung sollte die Märkte etwas beruhigen, glaubt das Blatt. Doch die Geschichte des politischen Abenteuers des “Cavaliere” könne noch nicht fertiggeschrieben werden. Berlusconi könnte noch seinen Nachfolger bestimmen oder vorgezogene Neuwahlen ausrufen. Immerhin: “Gestern Abend hat der 75-jährige Cavaliere zumindest einen ersten Fuss auf den Boden gestellt.”

Kein Rücktritt vom Rücktritt

Berlusconi wäre nicht Berlusconi, wenn er sich nicht noch ein Hintertürchen offen gehalten hätte. Zurücktreten will der “Cavaliere” nämlich erst dann, wenn das Parlament das Sparpaket und Massnahmen zur Belebung der Wirtschaft gutgeheissen hat.

Dies lässt die Basler Zeitung befürchten, Berlusconi wolle sich noch einige Zeit an der Macht halten: “Gewiss wird er die Nachspielzeit nicht nur nutzen, um Propaganda für einen gesichtswahrenden Ausstieg zu machen und sein Negativimage aufpolieren zu lassen. Berlusconi wird die Finger im Spiel behalten wollen, um weiter mitbestimmen, sich seinen Richtern entziehen und seinem Medienimperium die gewinnbringenden Sondervorteile erhalten zu können.”

Aber auch die BaZ scheint klar zu sein: “Nach der unmissverständlichen Erklärung des strengen Staatschefs kann es keinen schlaumeierischen Rücktritt vom Rücktritt mehr geben.”

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