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Besseres Französisch dank Frühenglisch

Lernen soll auch Spass machen. Das gilt auch für eine zweite oder dritte Fremdsprache. Keystone

Lernen Kinder früh Englisch, haben sie es später leichter mit Französisch, stellt eine von vier Innerschweizer Kantonen durchgeführte Nationalfonds-Studie fest. Funktionieren würde es vielleicht auch umgekehrt: Zuerst Französisch – dann Englisch.

Kritiker, die das Erlernen zweier Fremdsprachen ablehnen, sind der Ansicht, Primarschulkinder würden damit überfordert. Das Gegenteil ist der Fall, wie die Studie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) “Frühenglisch – Überforderung oder Chance?” beweist.

Wie gut lernen 30 Primarklassen in den Kantonen Obwalden, Schwyz und Zug nach dem Frühenglisch Französisch? Dieser Frage gingen Forschende der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz von 2005 bis 2008 nach. Als Vergleich testeten sie 20 Luzerner Klassen, in denen Frühenglisch noch nicht eingeführt war.

Erfahrungen und Sprachvergleich

Dabei zeigte sich, dass die Kinder von ihren bereits vorhandenen Sprachkenntnissen profitieren konnten. Schülerinnen und Schüler, die in der 3. Klasse mit Frühenglisch begannen, verstanden nach einem Jahr Französischunterricht gelesene wie gehörte Texte besser.

Die Studienleiterin, Andrea Haenni Hoti, erklärt das mit der bereits erworbenen Erfahrung beim Erlernen der ersten Fremdsprache. Weiter können Lernende einer Drittsprache sowohl auf ihre Muttersprache wie auf die Zweitsprache zurückgreifen. Damit stehen ihnen auch mehrere Möglichkeiten des Sprachvergleichs zur Verfügung.

“Bereits vorhandene Sprachkenntnisse helfen beim Lernen weiterer Sprachen. Kinder mit guten Deutschkenntnissen lernen besser Englisch und Französisch”, erklärt Andrea Haenni Hoti gegenüber swissinfo. “Aber auch Kenntnisse in Migrationssprachen wie Albanisch oder Portugiesisch helfen beim Französischlernen.”

Bei mehrsprachig aufgewachsenen Kindern zeigte sich zudem, dass diese auch im Hörverständnis im Französischen obenauf schwangen, auch wenn die Zweitsprachen Portugiesisch oder Albanisch waren.

Die Kinder mögen Englisch mehr als Französisch. Trotzdem denken die Forschenden, dass die Resultate ihrer Studie ähnlich wären, wenn als erste Fremdsprache Französisch gelernt würde.

Motivationsprobleme?

Der frühe Englischunterricht hatte auf die Motivation der Kinder beim Lernen der französischen Sprache keinen Einfluss. Sie blieb gleich gross wie bei den Kindern mit Französisch als erster Fremdsprache.

Die Forschenden führten andere Motivationsgründe ins Feld. Je besser die Kinder ihre Französischkompetenzen einschätzten, desto motivierter waren sie auch im Unterricht. Zudem zeigten sich die Mädchen im Allgemeinen motivierter als die Knaben.

Die Studie zeigt ausserdem, dass einsprachig aufwachsende Kinder weniger motiviert sind, Französisch zu lernen als mehrsprachige.

Chancengleichheit?

Leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler schnitten bei den Tests weniger gut ab als ihre Mitschülerinnen und –schüler.

Für Andrea Haenni Hoti ist das aber kein Argument, das Lernen von zwei Fremdsprachen zu sistieren: “Soll man einer Mehrheit eine weitere Fremdsprache vorenthalten, nur weil eine Minderheit überfordert ist?”

Denn die grosse Mehrheit der Kinder hat Freude am Fremdsprachenunterricht, auch wenn jedes vierte Kind manchmal Angst vor Fehlern hat und sich gestresst fühlt. “Es gibt etwa gleich viele Kinder, die sich manchmal unterfordert fühlen”, so Haenni Hoti.

Die Forscher des Nationalfondsprojekts haben keine Hinweise darauf, dass Kinder aus den unteren Schichten per se schlechter Sprachen lernen. Chancengleichheit gibt es jedoch nicht: Kinder aus Familien mit mehr Bildungsressourcen haben auch beim Französischlernen einen Vorteil. Wenn das Milieu Sprachenlernen aber nicht fördert, wirkt sich das nachteilig auf den Erwerb einer Zweit- oder Drittsprache aus. Dieses Problem kann die Schule nicht lösen.

Haenni Hoti: “Wenn man die Armut nicht bekämpft, lässt man es zu, dass Kinder aus diesen Milieus nicht mit den gleichen Chancen aufwachsen.”

swissinfo, Etienne Strebel

Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) beschloss 2004, dass Primarschüler künftig zwei Fremdsprachen lernen sollen.

Ein Teil der Deutschschweizer Kantone setzt auf das Modell, ab der dritten Klasse Englisch und ab der fünften Klasse Französisch zu unterrichten.

Andere Deutschschweizer Kantone wie Bern, Solothurn, beide Basel sowie die deutschsprachigen Teile von Freiburg und Wallis ziehen Frühfranzösisch vor.

In der Westschweiz lernen die Schülerinnen und Schüler ab der dritten Klasse Deutsch.

Das Nationale Forschungsprogramm “Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz” (NFT 56) untersucht die traditionelle Viersprachigkeit der Schweiz, die längst zur Vielsprachigkeit geworden ist.

Einierseits wirft das für Schule und Gesellschaft Probleme auf, andererseits eröfnet das sprachliche Kapital der Schweiz auch Chancen.

So stellen sich neue Fragen an die Schule, die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft und auch an jedes Individuum.

Seit 2006 erforscht das vom Bundesrat in Auftrag gegebene NFP 56 die Grundlagen zur Erhaltung, Förderung und Nutzung der Sprachenvielfalt in der Schweiz.

Die meisten Studien stehen kurz vor der Fertigstellung oder sind bereits abgeschlossen.

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