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Guter Start für beide Volksinitiativen

Flughafengefängnis Zürich-Kloten: Sollen künftig alle kriminellen Ausländer ausgeschafft werden? Keystone

Sowohl die Ausschaffungs- wie auch die Steuergerechtigkeits-Initiative sind gut gestartet: Hätte das Volk bereits am 13. Oktober darüber entschieden, wären beide angenommen worden. Das zeigt die erste Repräsentativ-Umfrage der SRG vor der Abstimmung vom 28. November.

Wie der Gegenvorschlag von Regierung und Parlament zur Ausschaffungs-Initiative abgeschnitten hätte, wäre offen gewesen, allerdings mit Vorteilen für dessen Gegnerschaft. Die Stichfrage wäre wohl nicht zum Zug gekommen. Wäre dies trotzdem der Fall gewesen, hätte die Initiative obsiegt.

Laut der Umfrage, die das Forschungsinstitut gfs.bern für die SRG-Medien in der zweiten Oktoberwoche durchführte, hätten 58% der Befragten die Ausschaffungs-Initiative befürwortet (36% bestimmt dafür, 22% eher dafür) und 36% abgelehnt (24% bestimmt dagegen, 12% eher dagegen); 6% konnten sich noch nicht festlegen. Für den Gegenvorschlag wären 41% (19% bestimmt dafür, 22% eher dafür ), dagegen 49% (27% bestimmt dagegen, 22% eher dagegen) und 10% noch unentschieden.

Die Steuergerechtigkeits-Initiative wäre von 58% (28% bestimmt dafür, 30% eher dafür) angenommen worden, dagegen wären 23% gewesen (14%bestimmt dagegen, 9% eher dagegen); 9% hatten noch keine Antwort.

Polarisierende Ausschaffungs-Initiative

Claude Longchamp, Leiter gfs.bern, betonte vor den Medien, diese erste Umfrage sei keine Abstimmungsprognose, sondern lediglich eine Bestandesaufnahme der Meinungsbildung nach Start der Kampagne.

Die aus den Reihen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) stammende Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer wirkt laut Longchamp “sehr polarisierend”. Dabei zeige sich, dass das Regierungsvertrauen oder –misstrauen mitschwingen würde.

Auch die Schichten wären von Belang: Die oberen Schichten wären weder für die Initiative noch den Gegenvorschlag, während die mittleren und unteren Schichten zugunsten der Initiative neigten.

Für das Begehren hätten die einheitliche und konsequente Ausschaffung gesprochen und ebenso der Wunsch nach mehr Sicherheit. Beschränkt auch eine allgemeine Abneigung gegenüber Ausländern.

Die Kriminalität bestimmter Ausländergruppen ist in breiten Bevölkerungsschichten problematisiert worden, das Thema damit eindeutig gesetzt – bis ins Parlament hinein.

Die Einwände, wonach man Probleme mit Integration präventiv bekämpfen solle und Ausschaffungen nicht menschenrechtswidrig sein dürften, wären nur beschränkt wirksam gewesen. Diese beiden Positionen wären auch beim Gegenvorschlag entscheidend gewesen.

Aus all diesen Gründen ist für die gfs.bern die Vorlage in der Ausgangslage mehrheitsfähig.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Rechts-Links-Schema und Basis-Probleme

Das Konfliktmuster in den meinungsbildenden Eliten war bis jetzt durch Polarisierung zwischen rechten und linken Parteien gekennzeichnet.

Die SVP ist dafür, sekundiert von der Eidgenössischen Demokratischen Union (EDU). Abgelehnt wird die Vorlage von den linken und bürgerlichen Zentrumsparteien. Letztere sind für den Gegenvorschlag, während sich die linken Parteien damit schwer tun: Sie lehnen ihn ab, sind aber bereit, in der Stichfrage dafür zu votieren.

Allerdings kämen die Parteien mit ihrer Basis in Konflikt: bei der Initiative ausgeprägt, beim Gegenvorschlag beschränkt. Vor allem bei den Freisinnigen (FDP.Die Liberalen) und den Christlichdemokraten (CVP), die beide für den Gegenvorschlag sind, wäre das Stimmverhalten der Basis nicht Parolen konform, nämlich mehrheitlich für die Initiative gewesen.

Auch die Sozialdemokraten (SP) hätten Probleme mit der Basis: Diese ist mehrheitlich für den Gegenvorschlag, und eine respektable Minderheit sogar für die Initiative. “Nur hat das die SP-Führung offenbar noch nicht bemerkt”, so Longchamp. Lediglich bei den Grünen (GPS) gibt es keine Probleme mit der Basis: Sowohl Initiative wie Gegenvorschlag werden abgelehnt.

Ein Meinungswandel ist laut dem gfs.bern-Leiter zwar nie auszuschliessen. Im Fall der Ausschaffungs-Initiative sei allerdings wichtiger, “ob eine positive Meinungsbildung zugunsten des Gegenvorschlags noch stattfindet, namentlich an der Basis von FDP, CVP und SP.” Allenfalls wirke sich das auch auf die Stimmabsichten zur Initiative negativ aus.

Direkte Betroffenheit entscheidend

Bei der Steuergerechtigkeits-Initiative hätte sich die direkte Betroffenheit ausgewirkt. Die mittleren Schichten wären wie die unteren für die Initiative gewesen. Die möglichen Auswirkungen bei der Einkommenssteuer äussern sich durch kantonal unterschiedliche Betroffenheit. Bezüglich der Vermögenssteuer wäre kein statistisch signifikanter Zusammenhang sichtbar geworden.

Auch bei dieser, von der SP lancierten Initiative spielt das Links-Rechts-Schema. Dafür sind die SP, die Grünen, die Evangelische Volkspartei (EVP) und die Christlich-soziale Partei (CSP). Dagegen sind SVP, FDP.Die Liberalen und die CVP. Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BD) und die Grünliberale Partei (GLP) haben noch keine offizielle Parole gefasst, unterstützen aber das Nein-Komitee.

Bei der Initiative hätte argumentativ der Wunsch den Ausschlag gegeben, die Steuern zu vereinheitlichen, den sozialen Zusammenhalt nicht weiter zu schädigen und die Privilegien der Reichen abzuschaffen.

Dagegen hätte der Wunsch gewirkt, die kantonalen Steuerhoheiten zu belassen und den Mittelstand nicht indirekt zu belasten. Das wäre aber nicht ausreichend gewesen, insbesondere auch, weil man nicht davon ausgeht, dass eine Annahme der Initiative alle Steuerzahlenden betreffen wird.

Für einen Meinungsumschwung habe es bei dem Begehren allerdings genügend Potenzial, denn die Meinungsbildung sei nur beschränkt gefestigt. Auch bei dieser Initiative wäre die zentrale Konfliktlinie entlang der Parteibindungen gewesen, allerdings beschränkter als bei der Ausschaffuungs-Initiative.

Dynamik der Kampagnen wichtig

Was noch geschieht bis zur Abstimmung vom 28. November, hängt laut Claude Longchamp in erster Linie von der Dynamik der Kampagnen ab. Diese könnten die erst mittleren Mobilisierungen noch erhöhen, unentschiedene Stimmwillige beeinflussen und auch zu Meinungswandel führen.

Bei der Steuergerechtigkeits-Initiative sei das Potenzial für Meinungswandel durchaus gegeben, bei der Ausschaffungs-Initiative weniger, aber nicht auszuschliessen. Wichtiger sei hier, ob eine positive Meinungsbildung zugunsten des Gegenvorschlags noch stattfinde, namentlich an der Basis von FDP, CVP und SP.

Die Volksinitiative “Für die Ausschaffung krimineller Ausländer” wurde 2008 mit fast 211’000 gültigen Unterschriften eingereicht.

Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder die missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben, sollen alle Aufenthaltsansprüche verlieren und ausgewiesen werden.

Im Parlament lehnte sie eine Mehrheit der Abgeordneten ab: In der Schluss-Abstimmung sagte der Nationalrat mit 92 zu 82 Stimmen Nein, der Ständerat mit 26 zu 5 Stimmen.

Da es sich bei einer Volksinitiative immer um eine Verfassungsänderung handelt, kommt sie automatisch vors Volk.

Zudem bedingt eine Verfassungsänderung (Initiative wie auch Gegenvorschlag) zwingend das Volksmehr und das Ständemehr (eine Mehrheit der Kantone).

Der Initiative stellt das Parlament einen direkten Gegenvorschlag entgegen.

Dieser beschreibt Mindeststrafen, die ausgesprochen werden mussten, um eine Wegweisung zu rechtfertigen und schlägt einen Integrations-Artikel vor.

Im Nationalrat wurde dieses Begehren in der Schlussabstimmung mit 93 zu 88 Stimmen angenommen, im Ständerat mit 35 zu 6 Stimmen.

Die Volksinitiative “Für faire Steuern. Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb” wurde 2008 mit fast 105’000 gültigen Unterschriften eingereicht.

Die Hauptforderung: Ein Mindeststeuersatz für alleinstehende Personen, die über 250’000 Franken im Jahr verdienen oder über 2 Mio. Franken Vermögen besitzen.

Für Familien und Paare sollen diese Grenzbeträge erhöht werden können.

Im Parlament war die Initiative chancenlos: Der Nationalrat lehnte sie mit 128 zu 64 Stimmen ab, der Ständerat mit 30 zu 9 Stimmen.

Da es sich bei einer Volksinitiative immer um eine Verfassungsänderung handelt, kommt sie automatisch vors Volk.

Zudem bedingt eine Verfassungsänderung zwingend das Volksmehr und das Ständemehr (eine Mehrheit der Kantone).

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