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Kriminologe Dirk Baier: “Es herrscht eine aggressivere Grundstimmung”

Symbolbild
Die Zahl der Diebstähle in der Schweiz hat im letzten Jahr zugenommen. (Symbolbild) KEYSTONE/DPA/SILAS STEIN

Gemäss der aktuellsten Kriminalstatistik des Bundes wurden im vergangenen Jahr in der Schweiz mehr Straftaten registriert. Was lässt sich dazu sagen? Ein Interview mit dem Kriminologen Dirk Baier.

Insbesondere schwere Gewalttaten und Diebstähle erreichten neue Höchstwerte. Zudem verzeichnet die digitale Kriminalität einen deutlichen Anstieg, mit einer Zunahme von über 30 Prozent. Kriminologe Dirk Baier ordnet ein.

SRF News: Letztes Jahr gab es 14 Prozent mehr Straftaten als im Vorjahr. Wird unsere Gesellschaft gewaltbereiter?

Dirk Baier: Ja, es geht rauer zu in der Gesellschaft. Die schweren Gewalttaten haben sich sogar – wenn man auf die letzten zehn Jahre zurückschaut – um etwa 1/3 erhöht. Darunter zählen schwere Körperverletzungen, Tötungsdelikte und Vergewaltigungen.

Welche Gründe gibt es für diese Häufung von schweren Gewalttaten?

Einerseits ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass es in der Gesellschaft ein Stück weit aggressiver zugeht, insbesondere bei jungen Menschen. Das mussten wir in den letzten Jahren schon beobachten. Gerade bei jungen Menschen sind Gewalttaten gestiegen. Das hat ein Stück weit mit medialen Vorbildern zu tun.

Und das auch damit zu tun, dass die Corona-Pandemie doch Spuren hinterlassen hat, dass bestimmte Kompetenzen nicht mehr so ausgebildet sind. Empathie beispielsweise. Wir reden über eine kleine Gruppe, aber da müssen wir genau hinschauen, warum die bereit sind, auch teilweise schwere Gewaltdelikte zu begehen.

Auch die Zahl der Diebstähle hat massiv zugenommen. Wieso?

Die Schweiz ist attraktiv. Das heisst, wir haben Kriminaltouristen, die aus dem Ausland extra dafür herkommen. Hier gibt es was zu holen, hier gibt es Reichtum und hier gibt es teilweise eine unaufmerksame Bevölkerung, die beispielsweise die Autos nicht abschliesst oder die Wohnungstüren zum Teil offenstehen lässt.

Da braucht es halt auch noch ein bisschen mehr Sensibilität dafür, dass man auch etwas tun kann, um seine Opferwerdung zu verhindern. Die Schweiz ist ein sicheres Land und die Bevölkerung ist froh darum, sicher zu leben. Und zum Teil macht sie sich zu wenig Gedanken und lädt ein zu Straftaten.

Der Anteil der von Personen aus dem Asylbereich begangenen Delikte ist gegenüber dem Vorjahr um über 50 Prozent angestiegen. Viele Kriminelle kommen aus Algerien, Rumänien und Marokko. Wie erläutern Sie das?

Das ist einer der stärksten Anstiege, den wir jetzt gerade sehen. Im Jahr 2022 waren etwa 4000 Asylsuchende als Beschuldigte registriert, jetzt sind es etwa 6000. Da hat sich scheinbar etwas verändert.

Da wurden bestimmte Delikte entdeckt von dieser Gruppe, die sich einfach ausführen lassen, beispielsweise diese Einschleichdiebstähle. Also irgendwo mal die Fahrzeugtür öffnen und etwas herausholen. Man sieht, da können einzelne Täter wirklich massenhaft solche Taten begehen.

Was also müssen Politik und Behörden tun, um das Problem in den Griff zu bekommen?

Wenn die Gesellschaft sich entschliesst, da genauer hinzuschauen, dann kriegt sie das in den Griff. Und im Moment ist das Thema entdeckt: Die Polizei macht mehr Kontrollen, die Bevölkerung ist sensibilisiert. Ich denke, wir werden im Jahr 2024 weniger über dieses Thema reden.

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