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Mehr Stimmen trotz Image-Schaden

Der Kuchen wird nicht neu aufgeteilt: Das SRG SSR Wahlbarometer 03. swissinfo.ch

Knapp neun Monate vor den Parlamentswahlen legt die Schweizerische Volkspartei weiter zu, ihre Top-Leute allerdings haben an Glaubwürdigkeit verloren.

Das zeigt die Bestandesaufnahme des zweiten SRG SSR Wahlbarometers 03, erstellt Mitte Januar vom GfS-Forschungsinstitut, Politik und Staat, Bern.

Am 19. Oktober 2003 wählt die Schweiz ein neues Parlament. Seit dem ersten Wahlbarometer 03 im Oktober 2002 hat sich in der Aufteilung nicht viel geändert. Schweizerische Volkspartei (SVP): 26%, Sozialdemokratische Partei (SP): 23%, Freisinnig-demokratische Partei (FDP): 19%, Christlichdemokratische Volkspartei (CVP): 15%.

So sähe die Stärke der Bundesratsparteien aus, wenn heute gewählt würde. Die Werte sind damit seit Oktober praktisch gleich geblieben: SVP und CVP haben 1% zugelegt, die SP ist stabil geblieben, die FDP hat 1% der Wählerstimmen verloren.

Gegenüber den Wahlen 1999 bedeutet das für SVP (+3,5%) und SP (+0,8%) eine Zunahme der Wählergunst, die FDP und die CVP würden je rund 1% der Stimmen verlieren. Diese Veränderungen wären im Vergleich zu den Verschiebungen zwischen 1995 und 1999 aber wesentlich geringer.

Die Polarisierung, die das erste Wahlbarometer im letzten Herbst festgestellt hatte, setzt sich fort. Und zwar stärker zu Gunsten der SVP als der SP. Diese beiden Parteien könnten von der um 10% höher erwarteten Wahlbeteiligung (53%) profitieren.

“Die Absicht, sich an Wahlen zu beteiligen, steigt wieder. Und davon profitieren die profilierten Parteien mit starken Themen am meisten”, sagt Claude Longchamp vom GfS-Forschungsinstitut gegenüber swissinfo.

Asyl-Frage wird Top-Thema

Mit dem Thema “Asyl” habe sich die SVP am prominentesten positionieren können, erklärt Longchamp: “Die Asylfrage ist für die Bevölkerung zur kontroversesten Herausforderung überhaupt geworden.”

Das heisst, dass sich das Stimmvolk von Abstimmungen und Abstimmungskämpfen wie dem letzten 24. November beeinflussen lässt und dies einen kurzfristigen Einfluss auf das Wahlverhalten haben könnte.

Longchamp: “Es ist gut möglich, dass die Beeinflussung durch die nächsten Abstimmungen wieder in die Richtung gehen werden, dass die sozialen, gesundheitspolitischen Fragen ins Zentrum gerückt werden.” Im Mai gelangen einige Vorlagen aus diesem Themenkreis zur Abstimmung.

Doch die Asyl-Frage habe einen gewichtigen Vorteil: “Dieses Thema ist ein sehr stereotypes, sehr einfaches Thema, das sehr einfach und schnell aktualisiert werden kann.”

Themen-Leader SP

Nach dem jetzigen Top-Thema “Asyl”, im Oktober noch auf fünfter Position, liegt der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit und die darbende Wirtschaft am Herzen. Danach folgen die Themen “Krankenkassen und Gesundheitswesen”, “AHV und soziale Sicherheit” und “EU und Europa”.

Allgemein betrachtet gilt die SP bei den Befragten als die profilierteste Partei mit der grössten Kompetenz in den Top-Themen. Sie hat laut Longchamp von der AHV und BVG-Debatte profitiert und konnte sich gegenüber dem Herbst noch einmal verbessern.

Dann folgen SVP, FDP und zuletzt die CVP, die gerade im Bereich Altersvorsorge im zweiten Wahlbarometer viel Wohlwollen verloren hat.

Image-Verlust wegen Quengelei

Das zweite bemerkenswerte Ergebnis ist für Claude Longchamp, dass der SVP-Angriff auf die “Zauberformel”, die Zusammensetzung des Bundesrates nach Parteien, eine Gegen-Reaktion ausgelöst habe. Dies zeige sich deutlich am Ansehen der beiden SVP-Leader Ueli Maurer und Christoph Blocher.

“Zum ersten Mal, seit ich Umfragen mache, hat Christoph Blocher ein schlechteres Ergebnis als in der Umfrage zuvor”, betont Longchamp. Auch Ueli Maurer wird weniger glaubwürdig eingeschätzt als bei der letzten Sondierung.

Diese Bewertung der wichtigen Personen sei nicht zu unterschätzen. Denn das Wahlbarometer 03 zeige deutlich, dass das Ansehen der Akteure ebenso wichtig sei wie die Themen, die sie setzten.

Zum ersten Mal befinden sich unter den zehn gesamtschweizerisch glaubwürdigsten Politikerinnen und Politikern ausserhalb des Bundesrats fünf Frauen:

Christiane Brunner (Präsidentin SP), Simonetta Sommaruga (Nationalrätin SP und Konsumentenschützerin), Trix Heberlein (Nationalrätin FDP), Christiane Langenberger (Nationalrätin, erst nach der Umfrage Präsidentin der FDP) und Christine Egerszegi (Nationalrätin FDP).

Die Gewinner: SVP und SP

Von der SVP wird allgemein erwartet, dass sie gewinnt und zur wählerstärksten Partei wird. Dies könnte sich laut Longchamp zu einer “self fulfilling prophecy” entwickeln, einer erwarteten, und darum auch eintreffenden Voraussage.

Longchamp: “Sie hat den Wind im Rücken. Die Schwäche ist neuerdings, dass ihre Spitzen-Repräsentanten umstritten sind.”

Die SP gehört ebenfalls zu den Gewinnerinnen, wenn heute gewählt würde. Ihre Themen-Kompetenz in den brennenden sozialen Fragen könnte ihr viele neue Wählerstimmen bringen. Etwas weniger als der SVP, doch genug, um einige Sitze im Parlament dazu zu gewinnen.

Die SP ist jedoch nicht mehr die Arbeiterpartei von früher: “Ihre Schwäche ist, dass sie in der Unterschicht nach wie vor Wähler nach rechts verliert”, so Longchamp.

CVP wieder “bei den Leuten”

Der Taucher, den das erste Wahlbarometer bei der CVP festgestellt hatte, ist laut Claude Longchamp auf die Kontroverse um CVP-Justizministerin Ruth Metzler während der Debatte um die Berufliche Vorsorge zurückzuführen. Diese fiel zufällig genau in die zweite Woche der Befragungen.

Ein Prozent hat die CVP seither wieder gut gemacht, zurück auf ihre üblichen 15%. Doch der Image-Schaden bleibt an ihr haften. Und trotz ihrer treuen Wählerschaft: “Für neu mobilisierte Wähler ist sie kaum attraktiv.”

Bleibt die FDP, die seit der Wahl der französischsprachigen Christiane Langenberger zur Parteipräsidentin wieder im Aufwind ist. Langenberger ist laut Longchamp damit zur nationalen Figur geworden, was die Umfrage (knapp vor ihrer Wahl beendet) schon im Voraus bestätigt.

Als grosse Schwäche der FDP ortet das Wahlbarometer “die etwas orientierungslose ehemalige Wählerschaft, die sich sowohl nach links wie auch nach rechts diffundiert”, so Longchamp. In Zahlen: 3 von 10 FDP-Wählerinnen und -Wählern würden SVP oder SP wählen.

Kein “Rechtsrutsch”

Für die rechte und linke Regierungspartei (SVP und SP) könnte es sich laut der Untersuchung auszahlen, einen möglichst polarisierenden Wahlkampf zu führen.

Eine Chance gegen die so genannte Bi-Polarisierung (Zuwachs an beiden Polen) für die beiden Zentrumsparteien (FDP und CVP) sieht das Wahlbarometer in einer stärkeren Kooperation.

Von einem Rechtsrutsch allerdings will das Wahlbarometer nichts wissen: “Nicht die Wählerschaft ist nach rechts gerückt, wie das Anwachsen der SVP vermuten liesse, sondern die Wahlbereitschaft von Mitte-Wählenden gegenüber der SVP ist gewachsen.”

Von der Rechtspartei fordern die Befragten, sich zwischen Regierung und Opposition zu entscheiden. Denn die meisten lehnen die im SVP-Wahlprogramm propagierte Doppelrolle ab.

Auch für den SVP-Angriff auf die “Zauberformel” zeigen sie kein Verständnis: Eine Mehrheit ist der Meinung, die Verteilung der Sitze im Bundesrat solle nach Sitzen im Parlament und nicht nach Wähleranteil der Parteien geschehen. Und damit bliebe alles beim Alten.

swissinfo, Christian Raaflaub

SVP: 26%
SP: 23%
FDP: 19%
CVP: 15%
Grüne: 4%
LPS: 2%
PdA: 2%
EVP: 1%
EDU: 1%
Wahl nicht nach Parteilisten: 7%

2035 Personen, zufällig ausgewählt, haben die GfS-Fachleute befragt. Die Auswahl wurde sprachregional gewichtet. Die Interviews fanden zwischen dem 27. Dezember 2002 und dem 10. Januar 2003 statt.

Das Wahlbarometer 03 spiegelt längerfristige Entwicklungen in den Wähler-Bindungen und kurzfristige Momente ab. Politologe Claude Longchamp betont denn auch den Charakter des Barometers als Prognose:

“Der Schluss, aus einer Befragung weit vor der Wahl schon das Ergebnis zu kennen, ist falsch. Diese Untersuchung ist eine Momentaufnahme und zeigt den aktuellen Stand neun Monate vor den Wahlen.”

Die Schweizer im Ausland wurden im Wahlbarometer 03 nicht erfasst.

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