Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

“Politik beginnt nicht mit einer Motion im Parlament”

Freude herrscht: Hugo Fasel nach der Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher. Keystone

Siebzehn Jahre hat er die Sozialpolitik der Schweiz mitgeprägt: der Gewerkschafter und Nationalrat Hugo Fasel. Sein grösster Erfolg: höhere Kinderzulagen. Nun will Fasel seine politische Arbeit als Direktor des Hilfswerks Caritas weiterführen.

“Man hat immer Themen, die nicht abgeschlossen sind. Ich würde am liebsten noch 30 Jahre politisieren. Ich bin ein animal politique”, sagt Fasel im Gespräch mit swissinfo.

“Meinem Kerngebiet, dem sozialpolitischen Engagement, kann ich auch bei der Caritas treu bleiben. Die Zeit der Almosen ist vorbei. Es geht auch darum, die Ursachen der Armut zu bekämpfen.” Die Problematik der “Working Poor” sei dank der Grundlagenarbeit der Caritas überhaupt zum politischen Thema geworden.

“Nur ein Naivling meint, Politik finde erst dann statt, wenn man eine Motion im Parlament macht.” Dass er von seinem Amt als Nationalrat zurückgetreten ist, begründet Fasel mit der zeitlichen Beanspruchung und den vielen Auslandreisen in seinem neuen Job. “Halbheiten habe ich nie gemocht.”

Die entscheidende Machtfrage

Fasel wurde 1991 zum ersten Mal in den Nationalrat gewählt. Er war Quereinsteiger und politischer Aussenseiter. Vorher war der Nationalratssitz im Freiburger Sensebezirk während Jahrzehnten fest in der Hand der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Der Gewerkschafter der kleinen, der christlichen Arbeiterbewegung nahestehenden Christlichsozialen Partei, setzte sich gegen einen Wirtschaftsanwalt der CVP durch.

Als Parlamentarier konnte sich Fasel relativ schnell national positionieren. Mit gezielten Provokationen und kämpferischen Worten schaffte er es in die nationalen Polit-Fernsehsendungen und damit zu jener Bekanntheit, die ein Politiker für die Wiederwahl braucht.

“Meine erste grosse Erfahrung war es, zu merken, dass Demokratie nicht nach dem Prinzip ‘eine Person, eine Stimme’ funktioniert”, stellt Fasel rückblickend fest. “Die Machtfrage ist entscheidend. Ich hatte Einfluss – und das ist typisch schweizerisch – weil ich die Gewerkschaft und damit eine referendumsfähige Organisation im Hintergrund hatte.”

Primat der Wirtschaft über den Staat

“Damit wurde ich ernst genommen und zum Gegenstand möglicher Brückenschläge und Kompromisse. Nach unserem Referendum gegen die AHV-Revision war ich plötzlich mittendrin.”

Damals, in den Jahren nach dem Ende des Sozialismus, habe sich eine “reaktionäre Weitsicht breit gemacht”, hätten die Wirtschaftsbosse verkündet, der Staat müsse sich dem Primat der Wirtschaft unterordnen und seien die Leute zu Tausenden entlassen worden.

“Wir waren grundsätzlich in der Defensive. Unser Ziel war es, den Sozialstaat zu verteidigen. Das ist uns insgesamt in dieser extrem aggressiven Zeit auch gelungen. Alle Attacken auf die AHV sind gescheitert, die Arbeitslosen-Versicherung wurde teilweise sogar ausgebaut.”

Am 26. November 2006 beschlossen die Stimmberechtigten mit deutlichen 68% Ja-Stimmen, dass alle Kantone eine Kinderzulage von mindestens 200 Franken bezahlen müssen. “Das war ein Riesenerfolg in einem sehr schwierigen sozialpolitischen Umfeld. Als wir die Initiative starteten, sagten alle: ‘Du bist verrückt'”.

Kniebeugen vor dem Staat

Die aktuelle Finanzkrise bezeichnet Fasel als “frustrierend und zugleich ein wenig beglückend”. Siebzehn Jahre habe er “einen Kampf führen müssen” gegen die Privatisierungs-Tendenzen bei der Post, den SBB und der Swisscom. “Vor fünf Jahren habe ich erstmals gesagt: Die Managerlöhne zeigen, dass das System nahe bei der Korruption ist. Die Leute haben damals gesagt, ich sei neidisch.”

Nun sei das “System abgestürzt”. Darum erfülle es ihn mit einer gewissen Genugtuung, dass “jene Leute, die damals den Staat total herunterfahren wollten, heute Kniebeugen machen vor dem Staat”. Da werde die Absurdität des Systems sichtbar.

“Frustrierend ist allerdings, dass die Leute dafür bezahlen müssen, entweder in Form von Steuergeldern oder wegen der inflationsbedingt verminderten Kaufkraft.”

“Viele Leute waren unglaublich verletzt”

Das Bild ging um die Welt: Hugo Fasel streckt die Armee in die Luft und jubelt. Soeben hat der Nationalratspräsident die Abwahl von Bundesrat Blocher bekannt gegeben. “Es gab im Rat immer mehr Leute, die sich unglaublich verletzt gefühlt hatten durch die Art und Weise, wie Blocher mit ihnen umgegangen ist.”

Blocher habe während Jahren eine ganze Kultur der Polarisierung aufgebaut, so Fasel: “Die Dinge klar beim Namen nennen, ist das Eine. Die Leute plagen und fertig machen, das ist etwas Anderes. Ich habe mich damals darüber gefreut, dass eine solche Art zu politisieren ein Ende gefunden hat.”

swissinfo, Andreas Keiser

Geboren am 4. Oktober 1955 in Alterswil, Kanton Freiburg.

Studium der Volkswirtschaft an der Universität Freiburg.

1986–1989: Zentralsekretär des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes der Schweiz (CNG).

1990-2003: Präsident des CNG.

2005–2008: Präsident der Gewerkschaft Travail.Suisse (Nachfolgeorganisation des CNG).

1991–2008: Nationalrat der Christlichsozialen Partei.

Seit 1. Oktober 2008: Direktor der Caritas Schweiz.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft