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Überraschend klares Ja zur Freizügigkeit

Die Öffnung des Arbeitsmarktes auf die neuen EU-Länder wird von flankierenden Massnahmen begleitet. Keystone

Mit 56% Ja-Stimmen hat das Schweizer Stimmvolk der Erweiterung der Personen-Freizügigkeit auf die neuen EU-Staaten zugestimmt.

Das Resultat – ein Sieg für Parlament und Regierung – ist deutlicher, als es die Umfragen vorausgesagt hatten. Deutsch-Schweiz und Romandie stimmten Ja. Das Tessin lehnte die Vorlage ab.

Mit seinem Ja habe das Volk den bilateralen Weg bestätigt und die guten Beziehungen zur erweiterten EU gesichert, sagte Bundespräsident Samuel Schmid im Namen der Landesregierung.

Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit und die verstärkten flankierenden Massnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping könnten auf Anfang 2006 in Kraft treten.

Mit den bilateralen Abkommen I und II sowie dem Freihandelsabkommen von 1972 verfüge die Schweiz über eine tragfähige Basis von 16 Verträgen, die ein geregeltes und intensives Verhältnis mit ihrem wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Partner garantiere, sagte Schmid.

Freude auch in Brüssel und bei Auslandschweizern

Diana Wallis, beim EU-Parlament zuständig für die Beziehungen zur Schweiz, zeigte sich gegenüber swissinfo “entzückt” über das Resultat, “welches gut für die Schweiz und gut für die EU ist. Es ist deutlicher als erwartet und das ist ermutigend”.

Wallis machte jedoch auch deutlich, dass der bilaterale Weg mittlerweile an seine Grenzen gestossen sei. “Nun muss sich die Schweiz überlegen, wie sie die Beziehungen zur EU künftig gestalten will. Ein drittes bilaterales Paket halte ich definitiv nicht für einen gangbaren Weg.”

Erfreut über das Ja zeigte sich auch Rudolf Wyder, Direktor der Auslandschweizer-Organisation (ASO): “Wir sind erleichtert und erfreut. Ein Nein hätte für Schweizer, die im Ausland leben, ernsthafte Probleme nach sich ziehen können.”

Die Ausland-Schweizer und -Schweizerinnen, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, setzen mit Werten von deutlich über 70 Prozent noch klarer auf ein Ja als der nationale Durchschnitt.

Gegner sind enttäuscht

Die von den Schweizer Demokraten (SD) angeführten Gegner mussten sich am Ende mit einem Achtungserfolg ihres Referendums zufrieden geben. Sie hatten vor einer ungebremsten Einwanderung billiger Arbeitskräfte aus dem Osten, vor Lohndruck, Schwarzarbeit und einer Ausplünderung der Sozialwerke gewarnt.

SD-Präsident Bernhard Hess zeigte sich vom Ergebnis enttäuscht. Seine Partei, die als einzige geschlossen gegen die Vorlage eingestanden sei, habe die vergangenen Monate hart gekämpft, sagte er. Die massive Propaganda der Gegenseite sei aber offenbar erfolgreich gewesen.

Zitterpartie blieb aus

Mit dem Ja vom Sonntag öffnet die Schweiz ihren Arbeitsmarkt auch für die zehn neuen EU-Länder. Überraschend klar haben die Stimmberechtigten der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit und der gleichzeitigen Verstärkung der Massnahmen gegen Lohndumping zugestimmt.

Zur erwarteten Zitterpartie kam es nicht. 56% hiessen die von den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und allen grossen Parteien ausser der (gespaltenen) Schweizerischen Volkspartei (SVP) unterstützte Vorlage gut.

Dagegen stimmten im Sinne der nationalkonservativen Rechten und der äussersten Linken rund 44% der Stimmenden.

Deutlicher als Schengen/Dublin

Die Zustimmung war damit sogar noch etwas deutlicher als bei der letzten europapolitischen Abstimmung vom vergangenen 5. Juni über Schengen/Dublin. Das grösstenteils von den gleichen Kreisen bekämpfte Andocken an das EU-Sicherheitsabkommen war mit gut 54% gutgeheissen worden.

Nach einem teuren, aber eher ruhigen Abstimmungskampf obsiegten nun jene, die in der schrittweisen und kontrollierten Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern nicht nur die konsequente Fortsetzung des bilateralen Weges, sondern auch eine Chance für die Schweizer Wirtschaft sehen.

Tessin und Urschweiz: die Nein-Sager

Das Ständemehr war wie bei allen Referendumsvorlagen nicht verlangt. Anders als bei Schengen/Dublin wäre es indessen ebenfalls zu Stande gekommen. 16 ganze und 3 halbe Stände (Kantone) verzeichneten eine Ja-Mehrheit, nur 4 ganze und 3 halbe eine Nein-Mehrheit.

Die Deutschschweiz stimmte genauso zu wie die Romandie. Der italienischsprachige Grenzkanton Tessin und die Kantone der Urschweiz lehnten die Vorlage ab.

Waadt und Basel führen das Ja-Lager an

Das Tessin sorgte mit 63,9% für das Spitzenresultat im Lager der Nein-Sager, gefolgt von Schwyz mit 59,2%. Nein sagten im Übrigen erneut ländliche Kantone der Deutsch- und insbesondere der Urschweiz, wenn auch schwächer als am 5.Juni.

Das deutlichste Ja meldete mit 65,3% der Kanton Waadt, vor Neuenburg (65,2%) und Basel-Stadt (63,3%).

swissinfo und Agenturen

1’457’807 Ja-Stimmen (56%)
1’146’784 Nein-Stimmen (44%)
Stimmbeteiligung: 54%
16 Kantone und 3 Halbkantone haben die Vorlage angenommen.
Abgelehnt haben: Tessin, Uri, Schwyz, Nidwalden, Obwalden und Appenzell Innerhoden.

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