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«Singapur und die Schweiz sind Vorbilder für die Zukunft»

Strassenszene in Singapur: Kids spielen auf ihren Velos.
Singapur: Parag Khanna zählt Megastädte wie den Stadtstaat, wo er mit seiner Familie lebt, zu den wichtigsten Katalysatoren der Demokratie. swissinfo.ch

Mit seinen provokativen Thesen und Büchern ist der US-indische Politikwissenschaftler Parag Khanna auf allen Kanälen präsent. Ob bei CNN, am WEF in Davos oder auf Facebook: Khanna gilt weltweit als intellektueller Star. Wir begegneten dem unermüdlichen Weltreisenden mit dem Flair für demokratische Unaufgeregtheit in Singapur.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern nebst internen auch aussenstehende Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit jener von swissinfo.ch decken.

Direkter, digitaler und lokaler: der 40-jährige US-indische Politikwissenschaftler und Buchautor Parag Khanna setzt sich weltweit für die Stärkung der Demokratie ein. 

Als Motor für diese Entwicklung sieht er Metropolen wie Singapur. Dort herrscht zwar Familiendynastie, die aber täglich die Bürger konsultiert. 

Khanna ist auch ein grosser Fan von der Schweiz und deren direkter Demokratie. In beiden Systeme sieht er den «direkten Info-Staat». Darin stützen Regierung und starke staatliche Institutionen ihre Entscheide auf die permanente Mitsprache der Bürger ab. Darauf gründet laut Khanna die hohe Stabilität und Kontinuität der Systeme Singapurs und der Schweiz.

Scheinbarer Widerspruch

Gewöhnlich, fast langweilig klingt erst mal unser Treffpunkt: Die Lobby eines Hotels im Zentrum der Stadt.

Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt: Die Lobby des vor einem Jahr eröffneten Oasia-Hotels liegt im zwölften Stockwerk und wirkt wie der Blick in eine Zukunftswelt. Das ganz von Pflanzen umrankte Hotelhochhaus im Herzen des Stadtstaats öffnet sich hier oben zu einem urbanen, lichtdurchfluteten Atrium mit Rasenflächen, Brunnen und Wasserfällen. 

Parag Khanna beim Interview mit Bruno Kaufmann, Demokratie-Korrenspondent von swissinfo.ch
Kein Widerspruch: Parag Khanna, befragt von Bruno Kaufmann (links), reist auf dem Globus von einem Hotspot zum nächsten. Aber am liebsten sind ihm Singapur und die Schweiz, «die beiden langweiligsten Länder der Welt». swissinfo.ch

«Ein toller Ort, ich bin zum ersten Mal hier», freut sich Parag Khanna. Der 40-Jährige ist eben erst von einem viermonatigen Forschungsaufenthalt in Deutschland zurückgekehrt.

Städte als Brennpunkte

«Grosse Städte sind der Motor der Globalisierung», beginnt Khanna das Gespräch. «In vielen wichtigen Fragen wie Bildung, Verkehr und Klimaschutz geben heute die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Städten wie Singapur den Ton an». 

Es ist also kein Zufall, dass Khanna den Stadtstaat zu seiner Wahlheimat auserkoren hat. Hier lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern.

Parag Khanna, 1977 in der nordindischen Millionenstadt Kanpur geboren, ist nicht der Bürgermeister, gehört aber trotzdem zu den tonangebenden Persönlichkeiten der Gegenwart.

Steiler Aufstieg

Aufgewachsen in den Arabischen Emiraten, den USA und in Deutschland, promovierte er an der international führenden London School of Economics.

Es folgten Anstellungen bei Organisationen wie dem World Economic Forum (WEF) oder der Brookings Institution. Bereits 2008 setzte das renommierte Magazin Esquire Externer Linkden damals erst Dreissigjährigen auf seine Liste der «75 einflussreichsten Personen des 21. Jahrhunderts».

Bereits zuvor hatte der spätere US-Präsident Barack Obama den smarten Youngster in sein aussenpolitisches Beraterteam berufen. Seither gilt Khanna als führender Experte für Globalisierung.

«Willkommen in Paragistan»

Entsprechend selbstsicher wirkt auch der Facebook-Auftritt des Star-Intellektuellen, der auf dem sozialen Netzwerk rund 650’000 Follower hat. Und täglich werden es mehr. 

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Hier begrüsst Khanna die Besucherinnen und Besucher ohne Umschweife in «Paragistan», seinem Territorium oder «Parag-Land». Die Videos, die er laufend aufschaltet, können schon den Eindruck erwecken, dass dieser Mann überall auf dem Globus anzutreffen ist und stets alle Antworten auf die brennenden Fragen parat hat.

Weder Blender noch Schönschwätzer

Dahinter steckt neben einem breiten wissenschaftlichen Rüstzeug auch die unbändige Leidenschaft, alle Ecken und Enden der Welt zu bereisen und sich dort mit den Menschen zu unterhalten.

«Ich habe in den letzten fünfzehn Jahren über 100 Länder in allen Weltregionen besucht zu verstehen versucht, welche Lösungsansätze es vor Ort gibt», sagt Khanna.

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Er hat seine Erkenntnisse in mehreren Büchern zusammengetragenen, in denen er seine Entwürfe für eine bessere Zukunft darlegt. In «Connectography»Externer Link (Weidenfeld&Nicolson, 2016) zeigt Khanna auf, wie Geopolitik und Globalisierung längst nicht mehr nur in den Strukturen der alten Nationalstaaten gedacht werden kann, sondern, wie sich die Welt ökonomisch, politisch und mental vernetzt hat.

Dabei spricht sich Khanna für eine weltweite Stärkung der Demokratie auf der lokalen Ebene aus. Und er trägt diese Botschaft überall hin, wo er seinen Fuss auf die Erde setzt. 

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Unterwegs zu «direkten Technokratien»

Oberflächlich betrachtet, kontrastiert diese Sichtweise einigermassen stark mit seinem jüngsten Werk «Technocracy in America» (deutscher Titel: «Jenseits von Demokratie»Externer Link). Darin spricht sich Khanna für ein System der «direkten Technokratie» aus.

Die von den Verlagen gewählten Buchtitel seien bisweilen auch etwas missverständlich. «Ich bin überhaupt nicht für die Abschaffung der Demokratie, sondern im Gegenteil für deren Stärkung», sagt Khanna.

Als Vorbilder für künftige Regierungssysteme nennt er neben seiner Wahlheimat Singapur in erster Linie auch die Schweiz. «Beide Länder unterscheiden sich stark von Systemen des repräsentativen Regierens, wie wir sie etwa aus Grossbritannien oder den USA kennen», sagt Khanna.

Nur scheinbarer Widerspruch

Dabei kommt ihm bei Singapur in die Quere, dass der von ihm hochgehaltene Stadtstaat in internationalen Demokratie- und Freiheitsrankings durchwegs schlecht abschneidet.

 «Diese Rankings verwenden aus meiner Sicht überholte Methoden und orientieren sich zu stark an traditionellen Wahldemokratien,» relativiert er diese Ergebnisse

Der faktische Einparteienstaat Singapur ist aus seiner Sicht nur deshalb so erfolgreich und stabil, weil die politische Führung ihr Wirken ständig und täglich mit den Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger abstimme – und dabei auf modernste Formen der digitalen Kommunikation setze.

Vor Umwälzungen

Als unabhängiger Stadtstaat im Jahre 1965 inmitten vielfältiger politischer und wirtschaftlicher Wirren in Südostasien gegründet, ist es Singapur im letzten halben Jahrhundert tatsächlich gelungen, ein sehr erfolgreiches Gesellschaftsmodell mit einer starken globalen Ausstrahlung zu entwickeln.

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Wie nachhaltig dieses Modell aber sein wird, ist laut Parag Khanna durchaus offen: In den kommenden Jahren steht die definitive Ablösung der von Staatsgründer Lee Kuan Yew (1923-2015) begründeten Familiendynastie an. Dessen Sohn Lee Hsien Loong führt das Land noch bis zu den nächsten Wahlen im Jahre 2020 als Regierungschef.

Kommt hinzu, dass «Mitbestimmung» im Zusammenhang mit Singapur nicht ohne Anführungsstriche verwendet werden kann. Mitsprache der Bürger existiert zwar, hat bislang aber lediglich konsultativen Charakter und ist somit vom guten Willen der Herrscherfamilie abhängig.

Direkte Demokratie, ernst gemeint

Deshalb fordert Parag Khanna neben der verstärkten lokalen Verankerung und Digitalisierung der Demokratie auch mehr direkte Volksrechte nach Schweizer Vorbild. 

«Repräsentative Demokratie ohne Möglichkeiten, auch zwischen den Wahlen mitzureden, verkommt zum repräsentativen Regieren, wie wir es aus vielen Präsidialsystemen kennen,» sagt er

Interessanterweise erkennt Khanna aber auch deutliche Ähnlichkeiten zwischen Singapur und der Schweiz. «Die Schweiz ist wegen ihres Konkordanz-Modells, das alle wichtigen politischen Kräfte einbindet, viel technokratischer aufgestellt, als sie es wahrhaben möchte», sagt Khanna. Eine interessante Aussensicht, die in der Schweiz wohl auf einigen Widerspruch stossen dürfte.

«Langeweile»: Kontinuität statt Dauerlärm

Mit seinem Plädoyer für direktere und lokal stärker verankerte Demokratien versteht sich Parag Khanna als überzeugter Demokratiefreund. Und er outet sich auch als grossen Anhänger der «politischen Langeweile». Das tönt in meinen Ohren doch etwas komisch, also bitte ich ihn um eine Erklärung.

«Dramen und Trägodien in Demokratien, wie sie etwa die Wahl von US-Präsident Donald Tump darstellen, bringen den Menschen letztlich nichts als Aufregung. Es ist viel besser, wenn wie in Singapur und der Schweiz die gleichen politischen Kräfte über eine lange Zeit in die Verantwortung eingebunden sind und gleichzeitig der Austausch und Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern täglich gepflegt wird.»

Demokratie-Weltreise

Bruno Kaufmann, der international Demokratie-Korrespondent von #DearDemocracy/swissinfo.ch, ist seit Mitte Oktober 2017 auf Weltreise. Bis Mai 2018 fühlt er den Puls der Demokratien in über 20 Ländern auf vier Kontinenten.

Die Tour wird hauptsächlich von der Schweizer Demokratie StiftungExterner Link finanziert, wo Kaufmann für internationale Zusammenarbeit verantwortlich ist. Zu den Partnern der Stiftung zählen etwa Democracy International, der Direct Democracy NavigatorExterner Link oder das Europäische Institut für Initiative und ReferendumExterner Link (IRI).

 #DearDemocracy wird in mehreren Sprachen über die Stationen berichten.

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