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Der Meister der Komik beim Circus Knie

Massimo Rocchi während der Circus-Knie-Aufführung in Bern am 19. August 2003. Knie/swissinfo

Der Italo-Schweizer Sprachakrobat und Mime Massimo Rocchi ist Ehrengast bei der diesjährigen Tournee des schweizerischen National-Circus Knie.

In seinen Auftritten beleuchtet Rocchi einige unwiderstehlich komische Elemente der Schweiz. Swissinfo sprach mit dem Komiker.

swissinfo: Welchen Unterschied gibt es zwischen einem Auftritt auf einer Theaterbühne und einem Auftritt im Zirkus?

Massimo Rocchi: Ich möchte einen bildlichen Vergleich wählen. Das Theater gleicht eher einem Fussballmatch: Es dauert 90 Minuten, und wenn man ein wenig müde ist, kann die Partie dahin plätschern. Nicht ständig wird beste Unterhaltung geboten.

Der Zirkus gleicht eher dem Elfmeterschiessen. Man hat wenig Zeit. Mal drei, mal fünf oder maximal sieben Minuten vor dem Publikum. In diesem Moment musst du in Hochform sein. Im Zirkus muss man die Leute innerhalb von einer Minute packen.

Sie haben gesagt, der Circus Knie sei der beste der Welt. Wie kommen Sie zu diesem Urteil?

Ich bin nicht der einzige, der dies behauptet. Auch viele meiner Künstlerkollegen sowie andere Zirkusdirektoren sagen das. Für jeden Künstler ist es ein Traum, zusammen mit der Familie Knie arbeiten zu dürfen. Wahrscheinlich ist es der beste Zirkus, weil wirklich nichts dem Zufall überlassen wird. Auch die Tiere sind sauber, gepflegt und gut trainiert. Wenn es irgendein Problem gibt, will es der Direktor sofort wissen.

Die Familie Knie hatte zudem eine geniale Idee, weil sie Komiker von aussen geholt und sie in ihr Spektakel integriert hat. Das ist eine weltweit einmalige Kombination, die es in anderen Zirkussen in Deutschland, Frankreich oder den USA nicht gibt. Zudem ist Knie gemessen an der Grösse der Schweiz ein gigantischer Zirkus. Mit dieser Tournee kann ich mir einen alten Traum erfüllen.

Gibt es Aspekte des Circus Knie, die Sie an die Schweiz erinnern, oder umgekehrt Aspekte der Schweiz, bei denen Sie an den Circus Knie denken?

Der Circus Knie weicht stark vom gängigen Bild ab, das man von der Schweiz hat. Zum üblichen Bild der Schweiz gehören die Banken, die Versicherungen und auch die Schokolade. Der Circus Knie hingegen ist ein Produkt der Fantasie.

Und haben die Schweizer genügend Fantasie?

Die Schweizer haben Autobahnen durch die Berge gebaut. Die Schweizer bringen dich in Anzug und Krawatte auf 2000 Meter Höhe. Die Schweiz hat immer einen Kampf gegen eine raue Natur geführt.

Deshalb ist die Schweiz ein Volk mit viel praktischer Fantasie. Die Schweiz hat in etlichen kulturellen Sparten eine grosse Kreativität an den Tag gelegt. Dies gilt im Übrigen auch für die Industrie. Es gibt eine kleine Schweizer Firma, die Komponenten für Dieselmotoren baut. Wenn diese Firma dicht machen müsste, hätte auch ein Gigant wie Mercedes Benz seine Schwierigkeiten.

Lässt sich ein Komiker wie Massimo Rocchi vom Schweizer Volk inspirieren?

Natürlich! Meine ganze Arbeit beginnt ja bei irgendeinem Detail, das ich wahrnehme. Während der Circus-Vorstellung erzähle ich auch von meiner Begegnung mit der Schweiz.

Nehmen wir nur die Schweizer Bürokratie. Sie ist nicht nur wunderbar und effizient, sondern auch komisch. Denn eine gute Bürokratie braucht Regeln, die wiederum andere Regeln regeln, etc. Das ist wie ein Labyrinth. … Auch die Angst, etwas Unrechtes zu tun, hat einen komischen Aspekt, genauso wie die Angst, über Sex zu lachen.

Auch Gewohnheiten und Traditionen können zum Schmunzeln Anlass geben. Oder können wir in Anbetracht von Leuten ernst bleiben, die gegen herausschauende Unterhosen kämpfen? Und Politiker geben natürlich stets Anlass zum Lachen. Denken wir nur an eine Figur wie Delamuraz. Oder Adolf Ogi, der vor laufenden Fernsehkameras einen Weihnachtsbaum einpflanzen wollte, der keine Wurzeln hatte. Geradezu tragisch-komisch war das Ende von Swissair.

Während Ihres Auftritts im Circus Knie spielen Sie auch viel auf die Italianità an. Wie erklären Sie sich die Leidenschaft der Schweizer für das südliche Nachbarland?

Die Schweizer Geschichte hat dafür gesorgt, dass sich zwei Kulturen begegnet sind. Schweizer und Italiener haben gemerkt, dass sich zwei sehr unterschiedliche Kulturen durchaus harmonisch miteinander verbinden können. Die Schweizer und die Italiener haben entdeckt, dass sie gemeinsam lachen und weinen können. Ich habe fast das Gefühl, dass die italienische Kultur heute in der Schweiz beliebter ist als in Italien.

Sie sind ein aufmerksamer Beobachter der Eidgenossenschaft und ihrer Bewohner. Was ist Ihrer Meinung nach das tragende Fundament dieses Landes?

In erster Linie die Eisenbahnen. In der Schweiz steigen Sie in einen Zug ein und haben bereits das Gefühl, angekommen zu sein. Eine grosse Gemeinsamkeit der Schweizer ist aber auch ihre Unabhängigkeit. Sie wollen nicht Besitz von irgendjemand anderem werden. Man hat auf dieser Ebene eine Art “gentleman agreement” erreicht, das auch einen innerschweizerischen Streit zulässt. Natürlich wird das Zusammenleben der Kulturen durch die gute finanzielle Situation der Schweiz erleichtert.

Gelegentlich gibt der Alltag in der Schweiz aber nichts zum Lachen.

Im Leben muss man nicht immer lachen. Wichtig ist, Humor zu haben. Eine Person, die lacht, hat nicht unbedingt Humor. Vielleicht hat eine Person Humor, die sich morgens eine weisse und eine rote Socke anzieht, wenn sie nach dem Aufstehen schlecht gelaunt ist.

Es gibt Leute, die nicht lachen, aber doch viel Humor haben. Wirkliche Komik finden wir hier im Circus im Blick des Kamels, nicht in einer Person, die Witze erzählt. Wir können nicht auf Befehl lachen. Ich glaube, dass Personen Humor haben, wenn sie nicht nur auf sich selbst schauen. Ich persönlich lache im übrigen lieber über mich als über andere.

Interview: Mariano Masserini
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Massimo Rocchi wurde 1957 in Cesena (I) geboren

Theaterausbildung in Bologna

1984 kommt er in der Schweiz

Erhielt wichtige Auszeichnungen in Österreich, Deutschland, Frankreich und in der Schweiz

Massimo Rocchi hat den Spitznamen “il poeta della risata“ erhalten (der Poet des Lachens), weil er mit seinem unerbittlich komischen Blick das alltägliche Leben betrachtet und ironisiert. Während seiner Auftritte kann er mit einer einfachen Geste oder einem Wort eine unglaubliche Komik schaffen.

Seit er in der Schweiz lebt, verfolgt der mehrsprachige Komiker die Stärken und Schwächen der hier lebenden Gruppen und Sprachgemeinschaften.

Der National-Circus Knie hat Massimo Rocchi zur diesjährigen Jubiläums-Tournee mit dem Motto “200 Jahre Dynastie Knie” als Ehrengast eingeladen. Er tritt unter anderem mit einem Stier in der Manege auf, dessen Hörner eine Spannweite von 2,50 Meter haben. Sein Motto bei der Tournee lautet: “Jetzt oder Knie”.

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