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Grossartige Kleinkunst in der Schweiz

Alex Porter, Gewinner des Kleinkunstpreises 2003. Keystone

In Thun treffen sich dieser Tage Künstlerinnen, Theaterfachleute und Musiker. Doch das jährliche Treffen ist auch ein Ort für Laien, um auf Entdeckungsreise zu gehen.

Kleinkunst hat in der Schweiz grosse Tradition. In den Berner Kellern ist sie vor 30 Jahren entstanden, und kurz darauf wurde auch die «Künstlerbörse» erfunden.

An der Bar des Schadausaals in Thun sitzt eine ältere Dame. Aufmerksam studiert sie das Veranstaltungsheft, in dem alle Künstler, die an der viertägigen Künstlerbörse Ausschnitte aus ihrem Können zeigen werden, kurz porträtiert sind.

Die Frau ist aus Bülach im Kanton Zürich, wo sie mit Kollegen und Kolleginnen ehrenamtlich eine Theater-Galerie betreibt. Sie ist das erste Mal hier in Thun und wird das ganze Wochenende bleiben, um gemeinsam mit ihren Galerie-Kollegen hier an der Künstlerbörse neue Programme für ihre Saison 2004 zu entdecken – und dann «einzukaufen».

Die vom Kleinkunst-Branchenverband ktv jährlich organisierte «Künstlerbörse» ist denn auch ein grosser, bunter Marktplatz für Veranstalter und Kleinkünstler.

Das Angebot 2003 ist riesig: 200 Künstlerinnen und Künstler präsentieren ihre Arbeit. 49 Programmausschnitte und 6 Vollprogramme werden gezeigt.

Aus allen Ecken der Schweiz aber auch aus dem Ausland ist die Szene angereist, Veranstalter wie Künstler. Von den insgesamt 55 Programmen sind 33 Schweizer Produktionen.

Gardi Hutter, Massimo Rocchi

An der Schweizer Künstlerbörse entdeckt wurden unter vielen anderen die weltbekannte Clownin Gardi Hutter, Mummenschanz, die etwas andere Girlgroup «Akapickels» und der zur Zeit vielleicht erfolgreichste Kleinkünstler in der Schweiz, der aus Italien stammende Wortjongleur Massimo Rocchi.

Eingefädelt dank der Künstlerbörse trete Rocchi übrigens zunehmend auch in Deutschland auf, erläutert einer der Organisatoren.

Ein Kleinkunst-Theater-Betreiber aus Frankfurt ist diesmal nicht nach Freiburg i.B. an die deutsche Kleinkunstbörse gefahren, sondern nach Thun in die Schweiz, «weil man in Freiburg jeweils nicht so viele Entdeckungen machen kann».

Die Schweizer Kleinkunstbörse hat in der Tat den Ruf, sehr innovativ zu sein. Und im Gegensatz zu anderen ist sie weniger kommerziell ausgerichtet.

Das Spezielle an der Schweizer Kleinkunst sei zudem, dass die hiesigen Künstler nicht strikte eine Disziplin beherrschten, sondern mehrere verbinden und vermischen, sagt ktv-Geschäftsführer und Organisator der Veranstaltung Claus Widmer. Die Deutschen hingegen seien begnadete Wortkomiker, was man von den Schweizern weniger sagen könne.

Freundestreffen in poetischem Rahmen

Die Künstlerbörse ist aber nicht nur Ideen-Umschlagplatz, sondern bietet alles, was auch andere Märkte versprühen: Lebensfreude, Lachen, freudige Wiedersehen, verschiedenste Sprachen, Essen, Trinken, Spektakel.

Die Schweizer Börse ist denn auch nicht nur für innovative Kunst bekannt, sondern auch wegen der fröhlichen und poetischen Atmosphäre.

Poetisch war am Donnerstag bereits der Eröffnungsabend, an dem jeweils der Schweizer Kleinkunstpreis «Der goldene Thunfisch» verliehen wird. Diesmal ging er an den Zauberer und Erzählkünstler Alex Porter aus Luzern.

Mit Zaubertricks, aberwitzigen Ideen und poetischen Arrangements, die auch betörenden Gesang und sehnsuchtsvolle Musik miteinbeziehen, verzaubert er seit Jahren das Publikum.

«17 Jahre lang galt ich als Insidertipp», witzelt der Luzerner Künstler mit der überschwänglichen Haarpracht und dem schelmischen Blick. Seinen Preis wollte Alex Porter nicht alleine feiern. Und so lud er zur Verleihung Kleinkunst-Freunde mit auf die Bühne.

Dem Publikum und den vielen prominenten Gästen (darunter unter anderen Emil Steinberger, der Schweizer Radiodirektor Walter Rüegg und Exponenten aus Politik und Diplomatie) bot das deutsche Komiker-Duo Oropax, das durch das Programm führte, einen spannungsreichen, poetischen und perfekt konzipierten Kleinkunst-Abend.

Mit dabei die Blues-Poeten «Stiller Has», die stummen Wort-Komiker «ohne Rolf», eine virtuose Zigeunermusik-Band, ein ebenso begnadeter Mundharmonika-Musiker, die schweizerisch-französische Akrobatik-Komik-Truppe «Gloria rigole» sowie natürlich der Preisträger Alex Porter.

«So viel Kleinkunst-Qualität an einem Abend, das ist einfach unglaublich!», strahlt Emil Steinberger nach der Vorstellung.

Demnächst in Ihrer Region

Die Börse ist nicht nur ein Treffen der Macher, sondern auch ein Ort der Entdeckungen fürs Publikum. Und wenn es am Wochenende einmal für eine Vorstellung zu wenig Tickets hat, kann sich der geneigte Gast die Stücke auch in einer Live-Übertragung im Börse-Bistro anschauen.

Und später in den Keller- und Kleintheatern der Schweiz, Deutschlands, Frankreichs, Kanadas – und vielen anderen Ländern weltweit.

swissinfo, Anita Hugi

Vertreten sind diesmal über 50 Genres der Kleinkunst.

Unter anderen: A capella, Action Comedy, Artistik, Vocal comedy, Strassentheater, Slapstick, Schattenspiel, Musikkabarett, Märchen, Erzähltheater, Musiktheater, Magie, Satire, Tanz und ihre zahlreichen Mischformen.

Die Schweizer Künstlerbörse gibt es seit 27 Jahren.

Entstanden sei sie, weil es für die kleinen Veranstalter sehr mühsam gewesen sei, im ganzen Land Programme anschauen zu gehen, erklärt der Präsident der ktv, Peter Bissegger. Warum so viel Material verschicken, war die Frage – und die «Künstlerbörse» die Antwort.

Ähnliche Veranstaltungen entstanden nach dem Schweizer Vorbild, beispielsweise in Deutschland.

Die Schweizer Börse ist international jedoch weiterhin als Hort der Innovation und als magischer Treffpunkt der Kleinkunst-Szene beliebt.

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