Der schwierige Neuanfang der Gewerkschaften
Sieben Jahre lang haben sich die Gewerkschaften wegen der Rezession in der Schweiz still gehalten, jetzt holen sie wieder tief Luft. Angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen versuchen sie eine Zusammenlegung der Kräfte. Eine unsichere Strategie.
Während der Krisenjahre mussten die Gewerkschaften recht viel einstecken. Ein Viertel der Angestellten wurde arbeitslos, Hunderttausende von Stellen in der Industrie wurden abgebaut und die Arbeitssituation wurde allgemein prekär. Fusionen und Privatisierungen zogen jeweils eine Welle von Kündigungen nach sich, welche manchmal die Glaubwürdigkeit der Angestelltenvertretungen untergruben.
Jetzt wird es für die Gewerkschaften schwierig, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen, denn die Rezession hat die sozialen Beziehungen spürbar verändert. Die Teuerungszulage, welche bis Ende der 80er-Jahre selbstverständlich war, wurde während der Krisenjahre schrittweise abgeschafft.
Die Verknüpfung zwischen Lohnerhöhung und Inflation verschwand aus zahlreichen Gesamtarbeitsverträgen. Der Leistungslohn ist eindeutig im Vormarsch, und die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist weitgehend akzeptiert. Mit der Konsequenz, dass der Einfluss der Gewerkschaften sich zugunsten von Verhandlungen innerhalb der Unternehmen oder auf persönlicher Ebene verringert hat.
Nach Schätzungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) mussten die Angestellten zwischen 1992 und 1997 praktisch jedes Jahr eine reale Lohneinbusse in Kauf nehmen, und 1999 stiegen die Löhne nur um 0,2 Prozent. Je nach Branche ist die Kaufkraft um 6 bis 10 Prozent gesunken.
Wegen der sichtbar besseren Konjunkturlage fordert der SGB eine allgemeine Anpassung der Löhne. 2001 werden die Gehälter um durchschnittlich 3 Prozent steigen. Das ist zwar das grösste Lohnwachstum seit zehn Jahren, aber die Verluste der Vergangenheit können damit nicht wettgemacht werden.
Die Kampagne des SGB zur Einführung eines Mindestlohns von 3000 Franken nach Absprache hatte einigen Erfolg, aber noch ist sie nicht in die Tat umgesetzt.
Um wieder Schwung in die Bewegung zu bringen, haben sich die beiden grossen Gewerkschaften des Landes, SMUV und GBI, einander angenähert, längerfristig wird sogar eine Fusion ins Auge gefasst. In den letzten zehn Jahren sind ihre Mitgliederzahlen zusammengeschmolzen. Insgesamt haben sie nahezu 40 000 Mitglieder verloren, der Stand liegt heute bei 192 000.
Doch ist nicht sicher, ob die Strategie, die schnell schwindenden Kräfte zu sammeln, ausreicht, um wieder Leben in die Gewerkschaftsbewegung zu bringen. Das herkömmliche Modell nach Branchen scheint angesichts der gewachsenen Mobilität der Arbeitenden und des Auftretens einer neuen Wirtschaft überholt.
Luigino Canal

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Diskutieren Sie mit!