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Die Rache der Polarisierung

Keystone

Die Polarisierungs-Strategie der Schweizerischen Volkspartei ist bei den Ständeratswahlen nicht aufgegangen. Gewonnen hat die Mitte, "ohne die im Parlament nichts läuft", meint Politologe Hans Hirter im Interview.

Mit den Nachwahlen für den Ständerat (kleine Kammer) in den Kantonen Zürich und St. Gallen am Sonntag ist das Eidgenössische Parlament nun vollzählig.

swissinfo: Was bedeutet das Schlussresultat der Parlamentswahlen für die neue Legislaturperiode? Wird sich die Schweizer Politik verändern?

Hans Hirter: Ich denke nicht, dass sie sich stark verändern wird, weil wir im Nationalrat in gewissen Fragen sehr knappe Mehrheitsverhältnisse haben.

In Fragen, wo die Bürgerlichen zusammen gegen die Linken stehen, ist es in beiden Kammern weiterhin klar ein bürgerliches Parlament.

Hingegen haben wir in umweltpolitischen Fragen, in gewissen sozialpolitischen Fragen eine hauchdünne Mitte-Links-Mehrheit im Nationalrat. Das war aber auch schon in der vergangenen Legislatur so.

Diese Mitte-Links-Mehrheit ist im Ständerat noch etwas stärker geworden, als sie bereits war. Somit kann es wieder vorkommen, dass der Ständerat abweichend vom Nationalrat Entscheide fällt.

Bestimmte Tendenzen aus der letzten Legislatur haben sich bei den Wahlen ein wenig verstärkt. Aber einen Wandel in dem Sinne, dass andere Mehrheiten da sind, gab es nicht.

swissinfo: Im Ständerat sitzen neu gleich drei grüne oder grünliberale Politiker. Wird die kleine Kammer nun grüner?

H.H.: Sie war es bisher schon, mit einer knappen Mehrheit für Mitte-Links, also Christlichdemokraten (CVP) und Sozialdemokraten (SP).

Durch den Sitzgewinn der Grünen und der Grünliberalen ist das noch etwas ausgebaut worden.

swissinfo: Hat die Mitte durch die Erweiterung der CVP-Fraktion bei der Arbeit in den Kommissionen nun eine stärkere Bedeutung?

H.H.: Der Mitte kam immer schon die Hauptbedeutung zu, nicht nur in der letzten Legislatur, sondern auch schon vorher.

Trotz dem höheren Wähleranteil der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sind Entscheide immer so ausgefallen, wie es die Mitte, das heisst CVP und Freisinn (FDP), gewollt hat.

Auch in Zukunft wird Links allein nichts machen können. Die SVP rechts allein ohnehin nicht. Es braucht immer diese beiden Mitte-Parteien, um Mehrheiten zu schaffen.

Und die Mitte ist gleich stark geblieben. Die FDP hat zwar massiv verloren. Andererseits hat die CVP zugelegt und durch die Grünliberalen in ihrer Fraktion Verstärkung bekommen.

swissinfo: Sowohl die SVP wie die Grünen verbuchen grosse Erfolge. Setzt sich die Polarisierung in der Schweizer Politik fort?

H.H.: Das ist schwierig zu sagen. Ich denke, dass die SVP jetzt ein bisschen über die Bücher geht, ob sie wirklich weiterhin auf dieser Polarisierungslinie fahren und alles auf den Nationalrat setzen will.

Aber es fällt ihr nicht leicht, weil sie mit dieser Polarisierung bisher grosse Wahlerfolge erzielt hat.

Andererseits haben gerade die Ständeratswahlen vom Wochenende gezeigt, dass sich das auch rächt. Dort wo das Majorz-System angewendet wird, bei Regierungs- und Ständeratswahlen, ist die Strategie der SVP überhaupt nicht aufgegangen.

Man kann nicht laufend die anderen angreifen und polarisieren und dann noch denken, dass man von denen in Majorzwahlen auch noch unterstützt wird.

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swissinfo: Trotzdem hat die Schweiz aber weiterhin ein sehr stabiles System.

H.H.: Das ist ganz klar. Natürlich auch, weil wir keine Mehrheits-Regierung bilden müssen, die sich dann in Koalitions-Absprachen auf etwas einigen muss.

Das würde sehr schwierig. Im Nationalrat ist das Verhältnis Mitte-Links zu Mitte-Rechts 101 zu 99. Das wäre eine sehr instabile Regierung.

Wir sind in der Schweiz aus verschiedenen Gründen, namentlich wegen der Volksrechte, zur Überzeugung gekommen, dass es eine Regierung braucht, in der alle vier grossen Parteien sitzen. Das gibt natürlich eine stabile Regierung, egal ob es Verschiebungen im Parlament gibt oder nicht.

swissinfo: Was heisst das Resultat für die Bundesrats-Erneuerungswahl vom 12. Dezember?

H.H.: Ich denke nicht, dass es irgendwelche Veränderungen geben wird. Die Grünen haben zwar eine Kandidatur angemeldet, das machen sie aber nicht zum ersten Mal.

Sie sind einerseits von der mathematischen Seite, aber auch politisch nicht stark genug. Wer hat schon Interesse an einem grünen Bundesrat? Eigentlich nur die Linke. Alle anderen haben kein Interesse daran, dass noch jemand mehr am Tisch sitzt und vom Kuchen mitisst.

swissinfo-Interview: Christian Raaflaub

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Bundesrat ist die Schweizer Regierung (Exekutive). Sie besteht aus sieben Mitgliedern, die alle vier Jahre vom Parlament (Vereinigte Bundesversammlung) gewählt oder bestätigt werden. Ein Mitglied der Landesregierung wird “Bundesrat” oder “Bundesrätin” genannt. Jeder Bundesrat, jede Bundesrätin, steht einem Departement als Minister oder Ministerin vor. Aus ihrer Mitte wird jährlich abwechselnd nach Amtsdauer der Bundespräsident…

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In Zürich und St. Gallen hat das Wahlvolk am Sonntag den Siegeszug der SVP gestoppt.

In Zürich zieht die grünliberale Ex-Regierungsrätin Verena Diener mit dem bereits gewählten Felix Gutzwiller (FDP) in die kleine Kammer ein. SVP-Chef Ueli Maurer war chancenlos.

In St. Gallen gewählt wurden die Bisherigen Eugen David (CVP) und Erika Forster (FDP). SVP-Vize Toni Brunner schaffte den Sprung ebenfalls nicht.

Das Schweizer Parlament hat zwei Kammern, Nationalrat und Ständerat. Zusammen bilden sie die Vereinigte Bundesversammlung mit 246 Mitgliedern.

Der Nationalrat ist die Parlamentskammer der Volksvertreter oder Abgeordneten (Grosse Kammer). Der Rat zählt 200 Parlamentarierinnen und Parlamentarier und vertritt das Schweizer Volk.

Der Ständerat ist die Schweizer Parlamentskammer (Legislative) der Kantonsvertreter (Senat, Kleine Kammer) mit insgesamt 46 Abgeordneten.

Bei der Wahl in den Ständerat wird das Majorz-Wahlverfahren angewandt. Jene Kandidierenden, die am meisten Stimmen erzielt haben, erhalten die Mandate zugesprochen.

Starke Parteien werden bei diesem System bevorzugt, Minderheiten gehen leer aus. In der kleinen Kammer sind daher die vier grossen Regierungsparteien übervertreten.

Daher, und weil Ständeräte häufig bereits ältere Politiker sind, gilt der Ständerat oft als konservativere Parlamentskammer, die bremsend oder korrigierend auf die Gesetzgebung einwirkt.

Und weil die auch “Stöckli” (Altenteil) genannte Kammer viermal kleiner ist als der Nationalrat, kommt jeder einzelnen Stimme entsprechend mehr Gewicht zu.

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