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Finanzkollaps steht vielleicht erst noch bevor

Sieht es langsam besser aus für die Händler an der Wall Street oder täuschen die Zahlen? Keystone

Trotz staatlichen Hilfspaketen könnte das globale Finanzsystem vor dem Abgrund stehen, warnt Peter Katzenstein. Der New Yorker Professor beurteilt die Schweiz als besonders verwundbar, sollten weitere Dollar-Billionenbeträge wertlos werden.

Die Schweiz sei wegen ihres Finanzplatzes verwundbarer als andere Länder, meinte Peter Katzenstein kürzlich an der Jahrestagung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität St. Gallen.

Der Professor für internationale Studien an der Cornell Universität im Staat New York beruft sich auf das grosse Gewicht, das der Finanzplatz in der Schweizer Wirtschaft einnimmt.

Zwar hätten Regierungen rund um die Welt in den letzen Monaten Billionen an Dollar in das Finanzsystem gepumpt, um die einzelnen Institutionen zu stützen, die “giftigen Assets” zu decken und den Banken die Zuversicht zurückzugeben, langsam wieder in den Geldmarkt zurückzukehren.

Es könnten noch Billionen anfallen

Allein die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat im Oktober mit einem Paket von 67 Mrd. Franken die grösste Bank des Landes, die UBS, mit zusätzlichen Mitteln unterstützt.

Die UBS dürfte zusammen mit Credit Suisse im Rahmen der Subprime-Krise rund 55 Mrd. Franken abgeschrieben haben – und dies könnte noch nicht alles gewesen sein.

Katzenstein warnte in St. Gallen, dass die bisher realisierten Verlustsummen klein erscheinen könnten gegenüber den mehr als 50 Billionen Dollar, die in Form von komplizierten Anlageformen in den letzten Jahren in die Finanzmärkte flossen.

Zwar könne die Summe dieser Anlagen einigermassen geschätzt werden, so Katzenstein. Aber aus der nicht regulierten Charakteristik der Finanzsysteme ergebe sich, dass niemand wirklich wisse, wie die Geld verteilt worden seien und wie hoch die Schulden seien, die daraus für die Finanzinstitutionen resultierten.

System-Kollaps

“Banken, auch jene in der Schweiz, halten eine gewisse Summe dieser Anlagen als Aktiven, wissen aber nicht, wie sie diese bewerten sollen”, sagte Katzenstein gegenüber swissinfo.

“Wie soll ein globales Finanzsystem funktionieren, wenn man nicht weiss, wie hoch man die Aktiven bewerten soll?” Katzenstein ist der Auffassung, es sei etwas gar optimitisch, bereits jetzt zu glauben, dass die Finanzbranche aus dem Gröbsten herausgefunden habe.

“Allgemein herrscht die Meinung vor, das Finanzsystem habe sich aufgefangen, weil sich der führende US-Börsenindex Dow Jones zwischen 8000 und 9000 Punkten eingependelt hat”, so der US-Professor.

Doch der Dow Jones könnte bis auf 3000 Punkte fallen, “die Möglichkeit eines Systemkollapses besteht wirklich”.

Finanzsektor grösser als BSP

Träte dieser Fall ein, fiele das Schweizer Finanzsystem zusammen und der Schweiz könnte ein ähnliches Schicksal blühen wie Island. Dessen Währung war in der Folge der Finanzkrise zusammengefallen, und die drei exponierten Banken des Landes mussten im Oktober verstaatlicht werden.

Es würde schon genügen, wenn eine der Grossbanken den Geist aufgäbe. Solche Szenarien – einst noch unvorstellbar – seien heute möglich. Und das führe doch zu grosser Verunsicherung, so Katzenstein.

Die Schweiz sei einem Abschmelzen der Finanzsysteme besonders ausgesetzt, übertrifft die Summe der Aktiven der Schweizer Banken doch das Bruttonationalprodukt um das Neunfache!

Dieses Verhältnis sei grösser als in jedem anderen Land. Staat und Regierung wären deshalb nicht in der Lage, der Finanzbranche beizustehen, wenn ein substanzieller Teil dieser Bankaktiven obsolet würde.

Verteidigung des Systems

Der US-Professor lobte zwar das politische und wirtschaftliche System der Schweiz für seine Flexibilität, so beispielsweise als es um die Rettung der in Schwierigkeiten geratenen Uhrenbranche ging.

Doch inzwischen glaubt Katzenstein, dass die jüngsten Entwicklungen im Finanzsektor die Kapazitäten der Schweiz zur Verhinderung eines Zusammenbruchs übersteigen.

Er ist aber überzeugt, dass sich die Schweizer Politiker und Wirtschaftsführer der Gefahren bewusst sind und hart um eine Rettung kämpfen würden, sollte die Finanzbranche arg ins Schleudern kommen.

“Die Schweizer sind sich der Risiken wohl bewusst, weil das Land eine alte Banken-Tradition aufweist”, so Katzenstein. “Sie würden auch den letzten Franken mobilisieren, um das System zu verteidigen.”

swissinfo, Matthew Allen in St Gallen
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Das globale Finanzsystem hat eine Reihe von Methoden entwickelt, mit denen Institute ihre in den vergangenen Jahren gestiegenen Risiken absicherten.

Die gängigste Form heisst Credit Default Swap (CDS, Kredit-Derivat). Sie wurde zusammen mit den riskanten Anlagen, zum Beispiel den Subprime Hypotheken-Pfandbriefen verkauft.

Kaufte eine Bank solche Wertpapiere, schloss sie gleichzeitig mit einer anderen Bank einen CDS-Vertrag ab. Gegen eine Gebühr wurden die Ausfallrisiken übernommen.

Solche Instrumente nennt man “Risiko Swaps” statt Risiko-Policen. Damit liessen sich Vorschriften umgehen, die höhere Rückstellungen verlangt hätten, um im Verlustfall mehr Kapital zur Verfügung zu haben.

Diese Instrumente waren als “Hedging” (Gegenwette, Deckung) gegen Risiken erfunden worden. Sie wurden wieder populär, als man begann, sie auch zu handeln.

Man handelte sie als Wetten gegen Unternehmens-Insolvenzen.

Da diese CDS keiner Regulierung unterstehen, weiss niemand genau, wieviele solche Instrumente auf den Märkten ausgestellt wurden, wer sie herausgab und besitzt.

Schätzungen aus freiwilligen Daten beziffern die Summen auf rund 50 bis 55 Trillionen Franken.

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