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“Annus horribilis” für Finanzbranche und UBS

Keystone

Noch im Dezember 2007 hatte bei Prognostikern eine verhaltene Zuversicht für den Schweizer Finanzsektor überwogen. Was dann 2008 folgte, haben sich wohl nur wenige vorstellen können. Höhepunkt war das UBS-Drama, das in mehreren Akten ablief.

Im Dezember 2007 war zwar die Subprime- und Kreditkrise in den USA bereits am Laufen. In der Schweiz jedoch sprach man von Wachstumsdelle.

Finanzminister Hans-Rudolf Merz sah die UBS nicht in Gefahr, und Wirtschaftsministerin Doris Leuthard blieb dank der guten Auftragslage zuversichtlich, was die konjunkturelle Entwicklung betrifft.

Von einer Rezession war kaum die Rede, obschon die UBS, das einstige Flaggschiff des Finanzplatzes, wiederholt Abschreiber in Milliarden-Höhe bekannt gab. Bis Ende Januar hatten sie 21,3 Mrd. Franken erreicht.

Der 21. Januar brachte dann einen ersten rabenschwarzen Börsen-Montag – nicht der letzte des Jahres – die Schweizer Börse erlitt den grössten Kursverlust seit Juli 2002.

Ende Januar musste die UBS für das Jahr 2007 Riesenverluste ankündigen (4,4 Mrd. Franken). Der Staatsfonds Singapur und andere schossen rund 13 Mrd. Franken ein. Die Kritik um die Bonus-Zahlungen verschärfte sich.

Steueraffäre in Deutschland

Im Febuar flog in Deutschland eine riesige Steuerhinterziehungs-Affäre auf. Zahlreiche Deutsche sollen ihr Geld in Liechtenstein angelegt haben. Dabei geriet auch die Schweiz und ihr Finanzplatz ins Schussfeld.

Mitte März läuteten die Alarmglocken dann an der US- und Währungsfront: Der Dollarwert fiel zeitweise auf rekordtiefe 96 Rappen. Und Bear Stearns, die traditionsreiche US-Investment-Bank, wurde von der US-Handelsbank JPMorgan Chase mit aktiver Beihilfe der US-Notenbank übernommen.

Im April wurde Peter Kurer an Stelle von Marcel Ospel an die UBS-Spitze gewählt.

Im Juni zogen US-Behörden ihre Schlingen um das umstrittene Schweizer Bankgeheimnis weiter zu: Ein ehemaliger UBS-Banker bekannte sich in Florida vor dem Gericht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig.

Auf den Juni 2008 fiel auch der 10. Jahres-Tag des Holocaust-Bankenvergleichs. Doch im Schatten der laufenden Finanzkrise fand er wenig Beachtung. Die damals als riesig erachtete Summe von 1,25 Mrd. Dollar erschien nun im Vergleich mit den zweistelligen Abschreiber-Milliarden der UBS als gering.

UBS zwischen Klagen und Abschreibern

Im August fielen nochmals Milliarden-Abschreiber bei der UBS an. Im gleichen Monat folgten in der USA Steuerhinterziehungs-Klagen auch gegen die Credit Suisse. Die USA verlangten Einsicht in die Details der Schweizer Bankkonten, über die das mutmasslich hinterzogene Steuergeld lief.

Im September folgten weitere Hiobs-Botschaften aus dem US-Investment Banking: Lehman Brothers gab den Geist auf, Merrill Lynch wurde an die Bank of America notverkauft.

Solche Zusammenbrüche wirkten auch in der Schweiz nach, wo viele Institute, auch die von den Kleinsparern bevorzugten Kantonalbanken, ihren Kunden zum Kauf amerikanischer Wertpapiere geraten hatten.

Pierre Mirabaud, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung, bezeichnete im September das laufene Jahr 2008 als “Annus horribilis” auch für die inländische Finanzbranche.

Und Manuel Ammann, Leiter des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen an der Uni St. Gallen, sprach von einer “Jahrhundertkrise”.

Am 6. Oktober zogen Rezessionsängste und Furcht vor der Finanzkrise weltweit und auch in der Schweiz die Aktienkurse nach unten. Zwei Tage später senkten die wichtigsten Notenbanken der Welt, darunter auch die Schweizerische Nationalbank, erstmals seit 2001 in einer gemeinsamen Aktion die Leitzinsen.

Vertrauensverlust und Hilfspaket

Dennoch schloss diese Börsenwoche rabenschwarz: Am 10. Oktober erfuhr die Schweizer Börse den grössten Kurseinbruch seit 17 Jahren – dem am 13. Oktober ein Rekord-Kurssprung nach oben folgte.

Die UBS bezifferte im Oktober ihre Vermögensabflüsse auf Ende September auf über 140 Milliarden.

Dieses verlorene Vertrauen in die (Gross-)Banken zeigte sich beim “Einlageschutz”. Viele Sparer zogen ihren Sparstrumpf bei den Grossen ab und brachten ihn zu den kleineren Banken, die die Einlagen garantierten.

Als Folge dieser Abflüsse griffen Nationalbank und Bund der UBS per Notrecht mit 68 Mrd. Franken unter die Arme.

Im November wurde immer stärker die Rückzahlung der Boni fällig: Der frühere UBS-Konzernchef, Peter Wuffli, machte mit 12 Mio. Franken den Anfang. Es folgten andere, schliesslich auch Marcel Ospel.

Konzernleitungs-Mitglied ins Gefängnis?

In den USA stand mit Raoul Weil, dem Chef der UBS-Vermögensverwaltung, zum ersten Mal ein Mitglied der UBS-Konzernleitung im Visier der US-Behörden.

Vorgeworfen wurde ihm Beihilfe beim Vorbeischleusen von Steuerflucht-Vermögen in der Höhe von rund 200 Mrd. Dollar.

Anfang Dezember berichteten die Finanzmedien, dass die US-Behörden die gleichen Vorwürfe auch gegenüber der Credit Suisse erhoben hätten.

Doch auch im eigenen Land hatten die US-Behörden zu tun: Mitte Dezember platzte die Betrugsaffäre um den Financier Bernard Madoff. Der US-Wertpapieraufsicht SEC wurde vorgeworfen, Madoffs jahrelang praktiziertes Schneeball-System nicht durchschaut zu haben.

Die Schadensumme soll sich auf 50 Mrd. Dollar belaufen. Über ihre Hedge-Funds sind auch verschiedene Schweizer Privatbanken und die Swiss Life betroffen. Weitere Schäden durch einen verstärkten Abzug von Kundengeldern sind zu erwarten.

swissinfo, Alexander Künzle

Wegen des Gewichts des Finanzplatzes ist die Schweiz bei Finanzkrisen besonders exponiert.

Allein die Bilanzsumme der UBS machte (bisher) das Fünffache des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) aus.

Die Bilanzsumme von Credit Suisse machte das Dreifache aus.

Dem steht aber eine stabile Währung gegenüber, die von anderen Notenbanken als Reservedevisen gehalten wird.

Stabilisierend wirken auch die Auslandguthaben der Schweiz. Sie betragen (netto) rund 700 Mrd. Franken. Dies entspricht dem 1,4fachen des BIP.

Der Börsenindex SMI bewegte sich von etwas über 8000 Punkten ab Januar 2008 kontinuierlich nach unten.

Anfang Oktober stürzte er jedoch von rund 7000 auf 5400 Punkte ab, um sich im Verlauf des Monats wieder auf 6400 zu erholen. Im November stürzte er dann ein zweites Mal auf fast 5000 Punkte ab.

Der Erdölpreis stieg ab Januar 2008 kontinuierlich von etwas über 80 Dollar je Barrel (Sorte WTI) auf über 140 im Spätsommer. Seither fiel er wieder kontinuierlich in die Nähe von 40 Dollar zurück.

Andere Länder griffen viel tiefer in die Staatskasse als die Schweiz:

In den USA kam es schon vor dem Oktober zur Mithilfe der Zentralbank FED bei den Aufkäufen der notleidenden Investment-Banken.

Die beiden riesigen Hypothekar-Institutionen Fannie Mae und Freddie Mac, die Billionen (!) von Hypo-Krediten garantieren, wurden de facto verstaatlicht.

Das US-Finanzministerium schnürte ein Rettungspaket in der Höhe von rund 700 Mrd. Dollar.

Im Oktober folgten dann andere Länder. Island verstaatlichte mit Notgesetzen seine grossen Banken.

Mitte Oktober stellte Deutschland ein Banken-Paket von 500 Milliarden Euro zur Verfügung.

Frankreichs Regierung machte 400 Mrd. Euro locker.

Zuletzt folgte die Schweizer Regierung mit ihrem zusammen mit der Nationalbank geschnürten 68-Mrd-Franken-Paket für die UBS.

swissinfo.ch

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