Baustellentourismus am Gotthard boomt

Die Alptransit-Baustellen am Gotthard werden von Besuchern bestürmt. Doch nur wenige gelangen ans Herz des Bergs.
Am Zwischenangriff von Faido gibt es nun eine neue Offerte für Tunnelfreaks, welche die Entstehung des längsten Eisenbahntunnels der Welt bewundern wollen.
Wer in Sedrun GR, am zentralen Zwischenangriff für den neuen Alptransit-Basistunnel am Gotthard, die Baustelle unter Tag besichtigen will, wird enttäuscht sein. «Bis auf weiteres ausgebucht», lautet die Antwort am Besucherzentrum für Interessenten an der Schachtfahrt, die für 90 Franken 800 Meter senkrecht ins Berginnere zur Multifunktionalstelle führt und nur einmal wöchentlich 15 Personen vorbehalten ist.
Reservationen werden momentan keine mehr angenommen. Auch die dreistündige Baustellenführung, bei der man immerhin bis zum Schachtkopf vorstösst, ist für Gruppen bereits ein Jahr im Voraus ausgebucht.
Für Einzelpersonen gibt es noch ein paar Plätze. «Wir haben 50’000 Anfragen im Jahr, können aber nur 15’000 Besucher empfangen», bedauert Yves Bonanomi vom Besucherzentrum Sedrun.
Riesenandrang
Auch in Bodio TI am Südportal des neuen Gotthard-Basistunnels floriert der Baustellentourismus. Seit der Eröffnung des Besucherzentrums im April 2003 sind schon mehr als 85’000 Besucherinnen und Besucher gekommen.
Davon stammten 42% aus der Deutschschweiz, 44% aus dem Tessin und 10% aus dem Ausland. 4% kommen aus der Romandie – Tendenz steigend. Das fortgeschrittene Stadium des neuen Lötschberg-Basistunnels lockt zusehends auch Tunneltouristen aus der französischsprachigen Schweiz ins Tessin.
Das High-Tech-Besucherzentrum in Bodio bietet viel didaktisches Material sowie Führungen über die Baustelle über Tag. Doch ein Blick ins Tunnelinnere war bisher nicht oder nur am Tag der Offenen Tür möglich. Dann lag die Arbeit aus Sicherheitsgründen aber still.
«Viele Leute wollten jedoch gerne einmal die echte Baustelle im Berg sehen, wenn Betrieb ist», sagt Giosia Bullo, Informationsbeauftragte von Alptransit Gotthard Süd.
Blick ins Innere
Genau diese Lücke wurde inzwischen geschlossen: Zweimal täglich bietet das Besucherzentrum ab sofort eine dreistündige Tour an, bei der Besucher wenigstens für einen Augenblick die Grossbaustelle im Inneren des Berges ansehen und selber betreten können.
Mit einem Kleinbus geht es vom Infozentrum in Bodio zum höher gelegenen Zwischenangriff nach Faido. Von dort fährt man den 2,7 Kilometer langen Zugangsstollen mit 12% Gefälle abwärts ins Innere des Berges. Am Ende dieser Fahrt befindet sich die so genannte Multifunktionalstelle, wo dereinst – vermutlich im Jahr 2017 – die Züge in der 57 Kilometer langen Doppelröhre mit 250 km/h durchbrausen werden.
Ein Statue der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Mineure, begrüsst die Besucher hier. Auf Transportbändern rattert Ausbruchsmaterial tunnelauswärts. Ein Baustellenführer informiert während der Fahrt kompetent via Mikrofon – erklärt, wo der eigentliche Basistunnel ist, wo sich Schächte und Sicherheitsstollen befinden und was die verschiedenen Farben der Neonröhren bedeuten.
Sicherheit hat Vorrang
Die grosse Neugierde der Besucher beisst sich hier mit dem Sicherheits-Interesse der Tunnelbauer. Deshalb gibt es keinen Massenzutritt. Der Zugang ist auf 12 Personen pro Gruppe beschränkt; und dies unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen.
Zu Fuss werden nur ganz kurze Strecken zurückgelegt. Dafür darf man eine Weile in der Rettungskammer, der unterirdischen «Kantine», verweilen. «Wir haben zwei fixe Zeitfenster pro Tag, in denen die Mineure wissen, dass Baustellentouristen da sind», sagt Bullo.
Es sei gar nicht leicht gewesen, dies mit der Bauleitung auszuhandeln. 35 Franken kostet der Spass, Führungen gibt es in den drei offiziellen Landessprachen sowie in Englisch und Spanisch.
Während das Infozentrum Süd mit der neuen Offerte am Zwischenangriff Faido eine echte Attraktion schafft, müssen sich Baustellen-Touristen auf der Gotthard-Nordseite noch in Geduld üben.
Erst Ende dieses Jahres ist der Beginn der Bauarbeiten für das Besucherzentrum in Erstfeld UR vorgesehen, das von der AlpTransit Gotthard AG erstellt und betrieben wird. Die Eröffnung erfolgt 2006.
In Ergänzung zum Besucherzentrum wird es die Möglichkeit geben, über eine Passerelle und einen Baustellenweg die Neat-Grossbaustelle zu Fuss zu erkunden oder in geführten Gruppen einen Informationsrundgang unter Tag zu absolvieren.
swissinfo, Gerhard Lob, Faido
Das Schweizer Stimmvolk hat das Projekt der NEAT am 27. September 1992 gut geheissen.
Am 29. November 1998 hat es einen Rahmenkredit von 30,5 Mrd. für den öffentlichen Verkehr bewilligt, davon 13,6 Mrd. für die NEAT.
Am 30. März 2004 hat das Bundesamt für Verkehr angekündigt, dass die NEAT am Schluss 15,8 Mia. kosten werde.
Gemäss dem jüngsten NEAT-Standbericht wird nun mit Endkosten von 16,3 Mrd. Franken gerechnet.

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