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Neugeldschwemme für die “anderen” Banken

Auch die Luzerner Kantonalbank hat neue Kunden erhalten. Keystone

Auch in der Schweiz reagieren viele Leute auf die Finanzkrise: Sie ziehen mit ihren Geldern und Konten um. Ein Geldsegen für Kantonal- und andere Banken, der aber nicht nur Freude, sondern auch Probleme bringt.

Viele Kleinanleger und Kunden haben das Vertrauen in die Schweizer Grossbanken, insbesondere die taumelnde und jetzt staatlich unterstütze UBS, verloren.

Die Leute wollen ihr Geld an einem sicheren Ort anlegen. Der Ansturm auf andere, kleinere Banken und Institute ist enorm.

Massiver Mittelzufluss bei Kantonalbanken und Raiffeisen

Neuer Star bei den Kleinanlegern ist die Zürcher Kantonalbank (ZKB). Laut Bankratspräsident Urs Oberholzer beläuft sich der Mittelzufluss per Ende August auf 8,5 Mrd. Franken. Die ZKB verzeichne “einige Tausend Neukunden” pro Monat.

Bei der Schwyzer Kantonalbank wurden bis Ende September netto 886 Mio. Franken Frischgeld deponiert, bei der Luzerner Kantonalbank im ersten Halbjahr gar 1,215 Mrd. Franken. Bei anderen Kantonalbanken tönt es ähnlich.

Den Raiffeisen-Banken fliesst pro Monat 1 Mrd. Franken Neugeld zu. Verwaltungsratspräsident Franz Marty berichtete in der Zeitung Zentralschweiz am Sonntag von einem regelrechten Ansturm von 100’000 neuen Kunden.

Auch Coop- und Migros-Banken, PostFinance und ABS legen zu

Die Coop-Bank verzeichnete in den ersten Oktobertagen nach eigenen Angaben rund 45% mehr Eröffnungen von Privat- und Sparkonti im Vergleich zum gleichen Zeitabschnitt im Vorjahr. Die Migros-Bank eröffnete von Januar bis September 46’000 neue Konten. Das sind 37% mehr als in der Vorjahresperiode, heisst es bei der Bank.

PostFinance hat zwar noch keine neuesten Zahlen. Doch gegenüber swissinfo sagte das bankähnliche Unternehmen des Gelben Riesen, dass in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 105’000 Kunden neue Konten eröffnet hätten, gegenüber 80’000 in der Vorjahresperiode.

Auch die Alternative Bank (ABS) verzeichnet derzeit “deutlich mehr Zufluss an Geldern und Kundschaft”, wie Sprecher Rico Kessler gegenüber swissinfo sagte.

“Es ist aber nicht so, dass wir überschwemmt werden.” Kessler geht davon aus, dass die ABS bis Ende Jahr zwischen 30 und 50% mehr Kunden haben werde. Da die ABS von der Grösse her im Bereich einer Regionalbank liege, müsse der Zuwachs aber relativiert werden. “Wir werden einige hundert Personen mehr haben als gegenüber anderen Jahren.”

Geldsegen bringt Kantonalbanken Anlagenotstand

Die Neugeldschwemme beschert den Kantonalbanken nicht nur Freude, sondern auch neue Probleme. “Gelder von Personen und Firmen, die nicht im Kanton Schwyz ansässig sind und bis jetzt nicht zu unseren Kunden gehört haben, lehnen wir zum Teil ab, weil wir diese Mittel kaum noch Gewinn bringend bewirtschaften können”, sagte Karl-Andreas Schuler, Direktor der Schwyzer Kantonalbank, gegenüber der Zeitung Zentralschweiz am Sonntag. “Es herrscht ein Anlagenotstand.”

Zu ähnlichen Einschätzungen gelangen die Nidwaldner, Obwaldner und Urner Kantonalbanken. Der Ansturm bringt für die Banken auch erheblichen Mehraufwand, der nur durch Überstunden oder Verstärkung des Personals bewältigt werden kann.

Weniger Probleme für Raiffeisen und ABS

Weniger Probleme haben die Raiffeisen-Banken. Glücklicherweise sei die Kreditnachfrage nach wie vor sehr hoch, sagte Raiffeisen-VR-Präsident Franz Marty in der Zentralschweiz am Sonntag. “Wir konnten in den ersten Monaten 5,1 Mrd. Franken ausleihen. Das ist ein Spitzenwert”, so Marty. “Normalerweise vergeben wir in einem ganzen Jahr rund 4 Mrd. Franken neu.”

Auch bei der Alternativen Bank ist keine Rede von einem Geldstau. “Bei uns halten sich Neugeldzufluss und Kreditnachfrage im Moment sehr gut die Waage”, so ABS-Sprecher Kessler zu swissinfo. “Wir können alle neuen Gelder in Krediten, die unseren ethischen Kriterien entsprechen, wieder weiter geben.”

Weg mit der Staatsgarantie

Zahlreiche Kantonalbanken – wie auch PostFinance – garantieren ihrer Kundschaft 100% ihrer Vermögenswerte, also oft mehr als nur den Einlegerschutz von 30’000 Franken.

Die Schweiz müsse prüfen, ob die Staatsgarantie für Banken noch Sinn mache, fordert Pierin Vincenz, Chef der Raiffeisen-Gruppe, in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger. “Es kann nicht sein, dass 80& der Banken eine Staatsgarantie haben. Erst wenn diese abgeschafft ist, haben alle wieder die gleich langen Spiesse.”

Nicht die Manager, sondern die Kunden schützen

Im Gegenzug sollte für den Raiffeisen-Chef der Einlegerschutz in der Schweiz verbessert werden, eine Massnahme, welche die Schweizer Regierung zur Zeit diskutiert. “Dann ist der Kunde geschützt, und nicht der Manager und das Geschäftsmodell, die versagt haben”, so Vincenz im Tages-Anzeiger.

Für Vincenz ist das Geschäftsmodell einer Bank für die Sicherheit der Kunden wichtiger als die Staatsgarantie. “Unser Geschäftsmodell ist so sicher, wie die Schweiz sicher ist.” Auch die UBS müsse jetzt – trotz Staatshilfe – ein neues Geschäftsmodell entwickeln.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

Noch zu Beginn der letzten Woche liess die Schweizer Regierung verlauten, man müsse dem Beispiel anderer Länder nicht folgen, “Bail outs” (Rettungs-Aktionen) für Banken und den Finanzplatz seien in der Schweiz nicht nötig.

Hinter den Kulissen waren die Weichen längst gestellt. Der Krisenstab, 2005 von Bundesrat Hans-Rudolf Merz initiiert, beauftragte bereits im März 2008 die Schweizerische Nationalbank, Ideen für ein mögliches Rettungs-Szenario einer Grossbank zu entwickeln.

Letzten Donnerstag früh verschickte die Regierung eine Meldung, wonach Massnahmen beschlossen seien: rund 60 Mrd. Franken über die Nationalbank, 8 weitere Milliarden in Form einer Zwangswandelanleihe.

Im Vergleich mit anderen Ausgaben helfen Regierung und Nationalbank der UBS mit einer riesigen Summe: Die 68 Milliarden Franken sind mehr als die gesamten Bundesausgaben 2007, nämlich 54 Mrd. Franken.

Zum Vergleich einige detaillierte Zahlen von Staatsausgaben:

Sozialversicherungen 2007 (AHV, IV, KVG, EO, Militärversicherung, ALV): 15,9 Mrd. Franken.

Gotthard-Basisitunnel: 9,7 Mrd. Franken.

Landesverteidigung 2007: 4,3 Mrd. Franken

Landwirtschaft 2007: 3,6 Mrd. Franken.

Spenden Tsunami 2004: 1,3 Mrd. Franken.

Unterstützung für Kinderkrippen: 40 Millionen Franken pro Jahr.

Schiesswesen:10,2 Mio. Franken Pro Jahr.

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