Schweiz zwischen Spitze und Schlusslicht

Der im Tirol lebende Auslandzürcher und Architekt Christoph Achammer hat zur Schweiz ein spezielles Verhältnis: Bezüglich Bauplanung und Nachhaltigkeit sieht der CEO des österreichischen Gesamtplaners ATP die Schweiz in einer Spitzenposition, bezüglich Marktöffnung aber als Schlusslicht.
Christoph Achammer, 53, verkörpert vielerlei: Er ist zu gleichen Teilen Österreicher und Schweizer, respektive Tiroler und Zürcher. Als Tiroler Honorarkonsul vertritt er politisch die Schweiz. Geschäftlich versteht er sich als Architekt und Unternehmer. Und schliesslich ist er als Universitätsprofessor an der TU-Wien auch wissenschaftlich tätig.
Als Zürcher Bürger, der von Innsbruck aus in ganz Europa tätig ist, befindet sich Achammer in einer guten Position, die Verhältnisse in der Schweiz mit Österreich, Deutschland und anderen Ländern zu vergleichen.
Als eines der wenigen Planungsunternehmen in Europa versuche seine ATP, rund um den Bau von Gebäuden alles unter einem Dach zu integrieren: die Arbeit der Architekten und Planer sowie die Aufgaben der Bauingenieure und Haustechniker.
Unternehmenskulturelle Annäherungen
ATP ist in Innsbruck domiziliert, hat sieben Standorte in Europa und beschäftigt rund 440 Mitarbeitende. Seit 2009 unterhält das Unternehmen auch ein Büro in Zürich, die ATP kfp Architekten und Ingenieure. Diese «schweizerisch-österreichische Ehe», wie Achammer das Joint Venture nennt, sei auch deshalb zustande gekommen, weil die Eintrittshürden in den Schweizer Markt «besonders hoch» seien.
«Das Zürcher Büro mit rund 20 Leuten macht seit zwei Jahren eine unternehmenskulturelle Annäherung durch.» So wurde ein halbes Dutzend Zürcher für fünf Monate nach Innsbruck geschickt, und ein halbes Dutzend Österreicher ging nach Zürich arbeiten. «Jetzt beginnt man, sich auch sprachlich langsam zu verstehen», lacht Achammer. Auch grössere ATP-Projekte werden nun im tirolerisch-zürcherischen Team angegangen.
«Es war für mich wirklich eine spezielle Erfahrung, eine kulturelle Annäherung zwischen dem nur 250 km entfernten Zürich und Innsbruck herzustellen,» so Achammer. «Im Gegensatz zu jener mit Deutschland, wobei es Deutschland eigentlich gar nicht gibt»: Es gäbe beispielsweise München, so Achammer, und meint damit Bayern: «Da herrscht eine Beziehung vor, die jener zwischen einem Underdog und einem scheinbar Besseren gleicht!»
Oder Frankfurt, womit Achammer Deutschlands Mitte meint: «Da fällt die Beziehung vernünftiger aus.» Oder schliesslich Dresden für den Osten des Landes: «Eine Beziehung unter Gleichen. Fast wie in Zürich.»
«Auf gleicher Augenhöhe»
Zwischen Österreich und der Schweiz geschehe die Annäherung «auf gleicher Augenhöhe», denn Tiroler und Zürcher glaubten beide, im deutschsprachigen Raum eine Spezialposition einzunehmen. «Mit einem gewissen Selbstbewusstsein, aber auch im Wissen um ihren Status als Minderheit»
Achammer habe in all den Jahren beim internationalen Planungsunternehmen ATP noch nie eine derartige Begegnung unter Gleichen erlebt, erzählt er begeistert – und zwar von der Lehrtochter bis zum Architekten.
Hohe Hürden für Aldi
Dabei hatte das Abenteuer Schweiz für die Innsbrucker ATP schwierig angefangen. «Unsere erste Erfahrung mit der Schweiz war, dass sie immer noch ein geschlossener Markt ist.» Er wisse ja, dass Architekten üblicherweise nirgends willkommen seien, und ausländische noch viel weniger. Die Reaktion der Architekturbüros bestehe dann darin, internationale Teams zu bilden.
Dennoch seien in der Schweiz die Hürden ungewöhnlich hoch geblieben. Dies habe, sagt Achammer, wohl auch mit seinem Kunden, dem deutschen Billigdiscounter Aldi, zu tun gehabt, dessen Markteinstieg in der Schweiz nicht eben willkommen war. Für Aldi hat ATP sämtliche Shop- und Distributionskonzepte in der Schweiz erarbeitet.
«Man kann sich nicht vorstellen, wie viele Hindernisse man Aldi in den Weg gelegt hat:» Achammer kann die Situation einschätzen, denn ATP erhalte auch Aufträge von der Migros.
Auf die inoffizielle Frage an grosse Schweizer Detailhändler, ob sie sich denn nicht vor der ausländischen Konkurrenz fürchteten, hätten sie geantwortet: «Doch, schon, aber alle wettbewerbsrelevanten Grundstücke besitzen wir bereits!»
Planung: In der Schweiz grossgeschrieben
Dieser Abschottung gegen potenzielle Konkurrenz aus dem Ausland stehe im Planungsbereich eine beispiellose Weitsicht gegenüber: «Im Vergleich zur Schweiz macht man sich in Österreich die Sache hie und da etwas zu einfach», so Achammer. Für ATP, die sich ja zum Ziel setzt, nachhaltig und gesamthaft bauen zu wollen, sei das Schweizer Vorgehen deshalb eine «ganz neue Erfahrung» gewesen.
Als ATP in der Schweiz zu arbeiten begann, habe überrascht, wie hoch der Stellenwert einer durchdachten Planung im Baubereich in der Schweiz sei, wie intensiv und fundiert man die Dinge angehe, bevor überhaupt der erste Ziegelstein gelegt werde.
Von der durchdachten Planung bis zum Nachhaltigkeit sei es dann nur noch ein kleiner Schritt: «Diese Nachhaltigkeit – zumindest im Bausektor – ist in der Schweiz weltweit einzigartig.“
Schweizer Nachhaltigkeit: Luxus und Leitmodell
Die Position, aus der die Schweiz sich um Nachhaltigkeit bemühe, sei die des Luxus und der wirtschaftlichen Stärke, sagt Achammer. Es erstaune aber, wie weitsichtig auch aus dieser komfortablen Position in der Schweiz Entscheide für die Zukunft getroffen werden.
Dieser weite Horizont nach vorne zeige sich für Achammer vor allem im Energie- und Verkehrsbereich: «Die Einschränkungen im individuellen Autoverkehr, wie sie in Zürich gelten, sind im übrigen Europa undenkbar. Die Konsequenz daraus ist, dass in der Schweiz ungeachtet der sozialen Schicht der öffentliche Verkehr benutzt wird.» Das sei in anderen europäischen Ländern nicht selbstverständlich.
Als international versierter Bauplaner sieht Achammer den Erfolg dieses Vorgehens auch darin begründet, dass in der Schweiz die Rahmenbedingungen stimmen: «Die Gebäude und Bauten sind viel besser mit den Infrastrukturen abgestimmt.»
Das Einzige, was Achammer unter diesen Umständen der Schweiz vorhält, ist, dass sie «ihre Errungenschaften viel stärker als Leitmodell in Europa einbringen sollte». Wobei er einwendet, dass Vieles am beispielhaften Schweizer Modell mit der Basisdemokratie des Landes zusammenhänge. Mit anderen Worten: In der Schweiz tragen die Menschen die Nachhaltigkeit mit, weil sie oft selber darüber abgestimmt hätten.
1957 in Innsbruck geboren. Architekturstudium an der Technischen Universität in Wien.
1987 steigt der Architekt in das väterliche Architekturbüro ein. Das Büro in Innsbruck beschäftigte damals 80 Mitarbeitende.
Vor 1987 hatte der Absolvent der Technischen Universität Wien Lehr- und Wanderjahre in der Welt unternommen und aus den USA die Methode von Planungsteams mitgebracht, die interdisziplinär arbeiten.
Er baut dieses Modell im Unternehmen ATP weiter aus – zu jener Zeit gegen den Trend in der Branche. ATP beginnt, zweistellig zu wachsen.
Um die Fluktuation zu drücken, bauen Achammer und sein Ingenieurpartner Tritthart ATP in eine Aktiengesellschaft mit einer Führungs-Holding um. Die leitenden Mitarbeiter werden Partner.
Achammer ist ATP-Vorstandsvorsitzender (VR-Präsident) und Grossaktionär.
Heute ist ATP mit mehr als 420 Mitarbeitenden an den Standorten Innsbruck, Wien, München, Frankfurt/Main, Budapest, Zagreb und Zürich eines der grossen international tätigen Büros für integrale Planung in Europa.
ATP ist in den Bereichen Produktion, Logistik, Handel und Entertainment, Büro, Tourismus, Wohnbau und im Gesundheitswesen (Spitalbau) tätig.
1951 hatte Fred Achammer ein Ein-Mann-Architekturbüro mit Schwerpunkt Industriebau gegründet.
1976 wurde aus dem Büro ein Gesamtplaner, zum Architekten stiessen ein Bau- und ein Maschinenbauingenieur.
2009 geht ATP ein Joint Venture mit kfp architekten ag in Zürich ein.
Im November 2010 gewinnt ATP/kfp in Lenzburg nahe Zürich den Wettbewerb für zwei von acht definierten Baufeldern eines neuen Stadtquartiers (Areal des Nahrungsmittel-Konzerns Hero mitten in der Stadt Lenzburg).
ATP kfp arbeitet zur Zeit an Wohnbauten in Zürich, Stallikon und Cham und plant die Gesamterneuerung des Uni-Spitals Zürich.
Das englische Architektur-Magazin BD World Architecture weist ATP im internationalen Ranking den 7. Platz im Bereich Handelsarchitektur zu (weltweit: 26. Platz.

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